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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

und sei überzeugt, daß die Rosel gut und brav geblieben ist und Dich von Herzen lieb gehabt hat – willst Du mir das versprechen? – und Du darfst’s.“

„Ich will’s Dir versprechen,“ sagte Bruno, indem er ihr noch einmal die Hand reichte. „Und so sollen wir jetzt wirklich Abschied für’s Leben nehmen?“

„Für’s Leben, Bruno,“ sagte Rosel, während ihr ein paar große helle Thränen an den Wangen niederrollten und als Thau auf die Blumen fielen, die sie noch immer in der Hand hielt – „ich hätt’ Dir gern den Schmerz erspart, wenn es mir möglich gewesen wäre, aber Du hast’s ja selber so haben wollen.“

„Ich kann mir’s noch immer nicht denken,“ nickte der junge Mann betrübt vor sich hin, „es ist mir fortwährend, als ob wir Beide in irgend einem schweren, entsetzlichen Traume lägen und jeden Augenblick daraus erwachen müßten. Und doch ist’s wahr und wirklich! So leb’ denn wohl, Rosel,“ fuhr er fort, indem er einen leisen, kaum fühlbaren Kuß auf ihre Stirn hauchte, „ich will Dir den Abschied nicht schwer machen. Ich geh jetzt fort zu meinem Beruf und hetze, wie die ganze letzte Woche, hinter Raubmördern und Falschmünzern her und liefere die Verbrecher den Gerichten aus. Glückliche Menschen bekomme ich nicht zu sehen, die ich neiden könnte, und da will ich versuchen, ob ich’s wenigstens vergessen mag. – Leb’ wohl, Rosel.“

Rosel war’s, als ob ihr Jemand mit einer eiskalten Hand das Herz zusammenpresse, und hätten Bruno nicht die Augen so voller Thränen gestanden, so mußte er sehen, wie blaß sie plötzlich bei seiner letzten Rede geworden.

„Hinter wem hetzest Du her?“ sagte sie fast tonlos, ohne die Hand loszulassen, die sie noch in der ihren hielt.

„Hinter einer Falschmünzerbande, Rosel,“ antwortete der junge Mann, „von der ich vorgestern selber das Glück hatte, einen der Agenten einzufangen. Ich freute mich damals darüber, weil ich dachte, daß es mir vorwärts helfen würde.“

„Und hat er gestanden?“

„Noch nicht, aber wir haben trotzdem allen Grund zu vermuthen, daß wir das Nest hier in der Nähe finden werden. So will ich denn wieder an meine Arbeit gehen. Lebe wohl, Rosel, und wenn ich Dich noch um Eines bitten darf, so – vergiß mich nicht ganz, denk’ manchmal an den Bruno, der es treu und ehrlich mit Dir gemeint hat und Dich lieben wird, so lange er lebt.“

Wie er noch einmal nach ihrer Hand griff, faßte er eine der Blumen, die aus dem Bouquet gefallen war; er hielt sie fest, und sich dann rasch abwendend, schritt er, ohne sich auch nur noch einmal umzusehen, aus dem Garten.

Rosel war, als er sie verlassen, kaum eines Gedankens fähig, mitten im Weg stehen geblieben; die Blumen fielen aus ihrer Hand auf den Boden nieder, sie merkte es gar nicht. Sie that einen Schritt vorwärts, als ob sie ihm nacheilen möchte; sie wollte rufen, aber sie brachte keinen Laut über die Lippen, und lange, lange schon war er im Gebüsch verschwunden und außer Hörweite, als sie erst wieder die Kraft erlangte, sich zu bewegen.

Mit dieser Kraft kehrte aber auch das Bewußtsein ihrer Lage, das Entsetzliche des über sie hereinbrechenden Unglücks zurück, und Bruno selber, der Mann, den sie mehr als ihr eigenes Leben liebte, war der Träger desselben. Aber sie mußte ihren Vater sprechen, mußte ihn warnen und mit flüchtigen Schritten eilte sie in das Haus.

Ihr Vater war noch nicht da und, wie ihr Bärbel sagte, nach Hellenhof gegangen, hatte jedoch gesagt, daß er nicht lange ausbleiben würde. Sie wartete und wartete in peinlicher, verzehrender Ungeduld, doch er kam nicht. Sollte er wieder über Nacht ausbleiben? Der Abend dämmerte schon, indessen sie die einzelnen Minuten gezählt, die noch nie so langsam geschlichen waren, Paul Jochus ließ sich nicht blicken, und jetzt litt es sie nicht länger in dem alten Haus, wo es ihr war, als ob es über ihr zusammenbrechen müsse. Sie warf Hut und Capuze über und eilte den weiten Weg nach Hellenhof hinaus.

Wohl schauderte ihr dabei, wenn sie daran dachte, daß sie auch jenem unheimlichen Fremden begegnen müsse, aber die Angst um den Vater überwog das Alles und fast athemlos erreichte sie, schon lange nach Dunkelwerden, das etwas abgelegene Gartenhaus, das ihr Bruder bewohnte. Kein Licht brannte darin, sie klopfte an die Thür, Niemand antwortete ihr, kein Zeichen, kein Laut verrieth, daß sich ein lebendiges Wesen in der Wohnung befände.

Wo waren sie Alle? In der Ruine? Sie hätte vor Angst und Entsetzen in die Kniee brechen mögen, aber es war keine Zeit, um sich irgend einer Schwäche hinzugeben, und noch einmal klopfte sie, stärker als vorher, und wartete auf Antwort.

Da öffnete sich in dem nächsten kleinen Haus ein Fenster, und eine Stimme rief von dort heraus:

„Da drin ist Niemand zu Haus.“

„Und wo ist der Besitzer?“ frug Rosel zurück, dabei so viel als möglich ihre eigene Stimme verstellend.

„Ja, das soll Unsereins wissen,“ lautete die mürrische Antwort, „wo sich das liederliche Volk herumtreibt! Nach Wellheim zu Wein wahrscheinlich, wohin sie alle Abende gehen, die Gott werden läßt,“ und das Fenster wurde wieder zugeschlagen, denn die Nachtluft war kalt und unfreundlich.

„Jeden Abend!“ nur das eine Wort fand einen Wiederklang in ihrem Herzen. Also waren sie jeden Abend fort, und ihr Vater dann auch nicht in Hellenhof gewesen! Was half es ihr da, wenn sie hier ihre Rückkehr erwarten wollte? Mit schwankenden Schritten machte sie sich auf den Heimweg.

Wohl gab es einen Platz, wo sie fürchtete sie treffen zu können – in der Ruine, und als sie Hellenhof wieder verließ, war sie sich ihrer Absicht noch nicht klar bewußt, ob sie auch das Letzte wagen sollte, sie dort aufzusuchen. In flüchtiger Eile verfolgte sie ihre Bahn, und fast unbewußt lenkte sie, als sie die Abzweigung des Weges erreichte, ihren Fuß der alten Burg zu. Unten am Hügel aber verließ sie ihr Muth. Einmal ja, einmal hatte sie den Schrecken des alten Gemäuers getrotzt, wo sie es nur von den albernen Phantasiegebilden abergläubischer Thoren bevölkert glaubte. Jetzt stiegen entsetzlichere Bilder vor ihrer Seele auf, als der alte Ritter von Wildenfels mit seinem kopflosen Rumpf, Bilder, die ihr das innere Mark gerinnen machten; ihnen Trotz zu bieten, wagte sie nicht.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Warum Dickens den Schriftstellernamen „Boz“ annahm. Boz war der Spitzname eines jüngeren Bruders von Charles Dickens, zu welchem jener dadurch gekommen, daß Bruder Charles ihn nach dem Knaben in Goldsmith’s „Vicar of Wakefield“ Moses getauft hatte, was, durch die Nase gesprochen, zu „Boses“ entstellt wurde und dann zu „Boz“ abgekürzt ward. Das ganze Haus nannte schließlich den Knaben nur noch Boz, und so kam Charles Dickens auf die Idee, diesen ihm seit so lange vertraut gewesenen Namen anzunehmen, als er seine Schriftstellerlaufbahn begann. Jener jüngere Bruder, Augustus Dickens, ist jetzt kürzlich in Chicago gestorben, wo er seit mehreren Jahren lebte. Vor langer Zeit schon war er nach Amerika gekommen, hatte sich im Westen angesiedelt und sich neben seiner Farm auch mit kaufmännischen Geschäften abgegeben; indessen war ihm das Glück dabei nicht hold gewesen und er war froh, als er 1860 eine Anstellung bei der Central-Eisenbahn in Illinois erhielt, die er bis zu seinem Tode verwaltete. Er war als höchst liebenswürdiger und gutmüthiger Mensch allgemein beliebt und geschätzt, glich im Aeußern sehr seinem berühmten Bruder Charles und besaß auch in hohem Maße dessen genialen Humor.




Photographische Kunstwerke. Hans Hanfstängl’s Photographien der besten Meisterwerke der Dresdner Gemäldegalerie erwerben sich mehr und mehr die Anerkennung aller Kunstfreunde. Die jetzt erschienene sechszehnte Lieferung (jede Lieferung ein Blatt in der Größe von 65/48 Centimetern zum Preise von drei Thalern) enthält die Madonna delle Sedia von Raphael, nach einer so vortrefflichen Kreidezeichnung und in einer so schönen und künstlerisch vollendeten Ausführung, daß wir das Blatt als einen wirklichen Kunstschmuck allen Lesern unserer Gartenlaube dringend empfehlen können. – Liebhaber der Jagd und guter Jagdbilder machen wir auf das von Franz Hanfstängl in München jetzt herausgegebene Jagd-Album von Carl Ockert aufmerksam. Es enthält in seinen bis jetzt erschienenen fünf Lieferungen dreißig der besten Schöpfungen des bekannten Jagdmalers Ockert, in ebenfalls ganz vortrefflichen scharfen und gut ausgeführten Photographien. Die Lebenswahrheit und Frische dieser Bilder müssen jedem Jäger ein Lächeln der Zufriedenheit ablocken.


Kleiner Briefkasten.


An O. E. in Oels.

Der Du Dich als „grauer Spatz“
Meldetest der Gartenlaube,
Du verdienst schon Deinen Platz
Neben mancher Liedertaube.

Doch der Laube Raum ist halt
Viel zu klein für all’ das Singen,
Das vom deutschen Dichterwald
In der Völker Ohr will dringen.

A–a verw. Sch–r in Berlin. Artikel, nach dem Sie fragen, gar nicht erhalten.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_776.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)