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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

über sie gekommen ist, schwarz wie das Grab, und es wäre besser gewesen, er hätte ihr damals gleich ein Messer in’s Herz gestoßen, als daß er sie so mit ihren eignen zweischneidigen Gedanken drei Jahrelang hinmordet!“

Da faltete sie wieder die Hände im Schooß und schluchzte leise vor sich hin. Eugen hörte, wie draußen eine Ziegenheerde den Steinbruch hinunterkletterte und die Stimme des Hirten in einer Art Singsang den Thieren zurief. Nun kam der Bursch näher, trat einen Augenblick in die Thür der Hütte, verschwand aber sogleich wieder, da die Heerde hastig bergab lief. Eugen wußte nicht, ob er, da er im Schatten stand, dem Hirten sichtbar geworden war. Die Alte mußte er jedenfalls bemerkt haben.

„Laß mich Alles wissen,“ sagte er rasch, „und spute Dich, Barborin. Man könnte uns hier stören, und dann wäre ich vielleicht nicht mehr im Stande, zu helfen. Was hat sich zugetragen, das die Gatten einander so feindlich gemacht hat? Es ist kaum zu glauben, daß ein Mann das Herz haben kann, seine schöne, junge Frau lebendig zu begraben[WS 1], wenn sie wirklich unschuldig und bei gesundem Verstande ist.“

Die Alte sah ihn groß an und schien einen Augenblick zweifelhaft, wie weit sie ihn in’s Geheimniß einweihen sollte. Dann nahm sie wieder mit ihren vom Alter verkrümmten Fingern eine Prise und sagte, indem sie an die Thür trat, dem Ziegenhirten nachzusehen: „Unschuldig? Wer ist unschuldig, lieber Herr? Der Gerechte fällt sieben Mal jeden Tag, und die Strafe hinkt, aber endlich kommt sie doch an. Wollt Ihr, daß ein armer Engel von achtzehn Jahren, den man gezwungen hat, einen Mann zu nehmen, ohne daß das Herz dazu Amen sagt, nun gar kein Herz mehr haben soll? Noch dazu, wenn sie ihres schon verschenkt hat und nicht mehr Herrin darüber ist. Ich höre noch, wie sie zu mir sagte: ‚Barborin,‘ sagte sie, ‚wenn ich den Marchese heirathen soll und nicht Gino‘ – so hieß nämlich ihr Vetter, den sie schon als kleines Mädchen geliebt hat – ‚Du wirst sehen, Barborin, es giebt ein Unglück!‘ Das sagte sie, und weil ich sie kannte und ihren Vater auch, und wußte, daß der von seinem Willen niemals abzubringen ist, ‚Täubchen,‘ sagt’ ich, ‚mein einziges Herz, ja wohl giebt es ein Unglück, aber die alte Barborin hat nicht das Herz, es mit anzusehen, und darum will ich fort nach meiner Heimath, wo ich geboren bin‘ – das ist nämlich ein kleiner Flecken, drei Stunden von der Stadt – ‚und da will ich für meine Giovanna beten Tag und Nacht,‘ sagt’ ich, ‚und der Herrgott wird wissen, was er giebt und nimmt.‘ So sagt’ ich und ließ mich auch nicht mehr halten, denn die Hochzeit war nahe, und Gino, der eben Lieutenant in der Marine geworden war, konnte nicht nach Mailand kommen, der alte Graf aber ließ nicht mit sich reden und auch die Gräfin war für den Marchese, weil er nämlich ein so angesehener Officier war, und sehr reich und auch sonst ein Galantuomo. Aber fragt danach ein Herz von achtzehn Jahren? Die erste Liebe ist die beste, heißt’s im Sprüchwort. Und so ging ich fort und wollte nichts mehr hören und sehen von Allem, was sich nun zutrug, und richtig, ein ganzes halbes Jahr lebt’ ich auch zu Hause, als wäre gar keine Contessina auf der Welt, nur an meinem schweren Herzen konnt’ ich merken, daß nicht Alles in Ordnung war.

Nun denkt Euch meinen Schrecken, als ich plötzlich einen Brief bekomme, worin steht, ich sollte auf der Stelle mich in einen Wagen setzen und nach der Villa des Marchese kommen, die junge Frau habe mich nöthig. Im ersten Augenblick dacht’ ich an frohe Hoffnungen und sagte bei mir selbst: Am Ende hat sie sich doch besser drein gesunden, als sie dachte, und wenn nun gar erst ein Kindchen da sein wird –! Aber ich machte doch die Reise mit schlimmen Ahnungen. Den Brief hatte nicht meine Giovanna geschrieben, sondern er, und wie sich endlich hinkam – es war schon dunkler Abend – empfängt mich der Spitzbube, der Taddeo – das Auge trug er damals verbunden, sonst war er schon ganz so garstig wie heut’ – und führt mich nicht zu meiner jungen Herrschaft, sondern, eh’ ich mich noch besinnen und den Staub aus meinen Kleidern schütteln konnte, geradewegs zum Marchese.

Ich hatte ihn früher nur ein paar Mal gesehen, fand aber doch keine große Veränderung auf seinem Gesicht, nur freilich – von Vaterfreude keine Spur!

‚Barborin,‘ sagte er, ‚ich habe Euch kommen lassen, daß Ihr der Marchesa Gesellschaft leisten sollt. Denn sie ist krank, im Gemüth nämlich, und Ihr seid Ihr von Kindheit an treu gewesen und sie hat Zutrauen zu Euch.‘ ‚Himmlische Barmherzigkeit,‘ sagt’ ich, ‚wie ist das nur zugegangen, Herr Marchese? Meine kleine Giovanna, die so munter war,‘ sagt’ ich, ‚und das ganze Haus lustig machte mit ihrem Lachen!‘ – ‚Ja,‘ sagte er und seufzte dabei, daß ich ein rechtes Mitleiden mit ihm hatte, ‚es ist geschehen!‘ Dann erzählte er mir kurz, ein Dieb sei bei Nacht in ihr Gemach gedrungen, er, der Marchese, sei zwar noch zur rechten Zeit herbeigeeilt, um ihn zu verscheuchen, aber es habe einen Kampf gegeben zwischen dem Räuber und Taddeo, der dabei ein Auge verloren, und der Schreck und die Aufregung seien die Ursache, daß die Marchesa in Tiefsinn verfallen sei, Niemand sehen und sprechen und an einen Ort fliehen wolle, wo sie mehr in Sicherheit wohnen könne, als in der offenen Villa oder selbst in der Stadt. Darum gedenke er morgen nach seinem Schloß am Gardasee aufzubrechen und dort zu bleiben, bis sich die Angst der armen Frau beruhigt habe.

Das sagte er mir, und mit einem so stillbetrübten Ton, dabei sehr resolut und fest, daß ich auch Alles glaubte und am wenigsten gewagt hätte, eine Einwendung zu machen. Ich sagte ihm, ich sei Willens, meine junge Herrschaft nicht zu verlassen, bis sie mich wieder entbehren könnte, worauf er nickte und seinem Kammerdiener befahl, mich zu ihr zu führen. Aber wie fand ich den armen Engel! Nicht wiederzuerkennen! Bleich und stumm, keine Thräne, keine Klage, daß ich heftig erschrak, denn man sagt mit Recht: Wer noch wimmert, kann wieder gesund werden. Werdet Ihr glauben, daß sie nicht eine Miene veränderte, als sie mich sah? Und auf all’ mein Zureden nur Kopfschütteln und Abwenden und endlich geradezu der Befehl, sie allein zu lassen. Ach, du himmlische Mutter der Gnaden, wie das einer treuen alten Person in’s Herz schneidet! Und am andern Tage ging’s richtig fort, ich mit der Marchesa im Wagen, Taddeo auf dem Bock und neben ihm die Küchenmagd Martina, die Alle für einfältig hielten, weil sie nicht viel redete und dabei erbärmlich stotterte, obgleich sie klüger ist als Manche. Der Marchese war zu Pferde und blieb immer hinter dem Wagen. Und so ging’s Tag und Nacht mit frischen Pferden, bis wir in das gottverlassene Kerkerloch einfuhren, und wie der Wagen über die Zugbrücke rollte, war mir’s doch, als wenn ich Erdschollen auf einen Sarg nieder rollen hörte. Die Marchesa schien nichts zu hören noch zu sehen. Sie lag die meiste Zeit mit geschlossenen Augen im Wagen, und auch hier oben warf sie sich gleich auf ein altes Canapee und blieb wie eine Todte, nur daß sie dann und wann einen Bissen aß. Mit ihrem Gemahl wechselte sie in all’ der Zeit keine Silbe. Und kaum waren wir unter Verschluß, so ritt auch der Herr wieder fort und der garstige Mensch, der Taddeo, war unser Castellan und Kerkermeister.

Ihr könnt denken, daß mir das Alles nach und nach wunderlich vorkam. Ich fragte den Taddeo – aber die Wand da giebt mehr von sich als der. Desgleichen meine junge Herrschaft. Doch schon am ersten Abend, wie ich mit der Martina am Heerde zusammensitze, denn die Marchesa hatte mich wieder fortgeschickt, da kam ich hinter Alles, denn ich kann die Martina ganz gut verstehen, wenn es auch Zeit braucht, bis sie sich explicirt hat. Wer meint Ihr, wer der Dieb gewesen, der meine Frau so erschreckt haben sollte? Niemand anders als Gino, und der Schrecken sah der Freude so ähnlich wie Geschwisterkinder. Der Marchese war gerade abwesend von der Villa, auch waren sie noch nicht lange draußen. Die Eltern wollten ihr Kind so bald nicht fortlassen. Aber dort auf dem Lande, sagte Martina, sei die junge Marchesa sehr traurig gewesen, nachdem sie sich in der Stadt lange Gewalt angethan. Ach, Herr Capitano, was wollt Ihr? Man ist nur Einmal achtzehn Jahre und nur Eine Liebe ist die erste. Also leben sie in der Villa ganz still etwa eine Woche hin und der Taddeo war schon damals so eine Art Haushofmeister, da sitzt die Martina am Abend in der Küche und plötzlich tritt ein Bauernbursch mit einem Zettel herein, legt den Finger auf den Mund, und da er sieht, daß sie allein ist, schiebt er ihr den Zettel unter die Schürze und fort! Sie sah gleich an der Aufschrift, daß es an die Marchesa war, und bringt’s ihr, und die wird über und über roth vor Freude, armes Herzchen! und schreibt rasch zwei Worte auf ein Blatt und bedeutet ihr, das soll sie dem Boten geben, wenn er sich wieder blicken lasse. Der aber kam erst am folgenden Abend; wahrscheinlich fürchtete er den Taddeo. Und besser wär’s gewesen, er wäre nie wiedergekommen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: begaben
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_779.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)