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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 51.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Auferstanden.
Von Paul Heyse.
(Fortsetzung.)


„Lebt der Marchese ganz von seiner Gattin getrennt?“ fragte unterbrechend Eugen, der, während die Alte sprach, in steigender Aufregung zugehört hatte.

„Er spricht nie mit ihr,“ sagte die Amme, „und sieht sie auch von allen sieben Tagen der Woche nur am Sonntag, wenn sie in der Capelle die Messe hört. Dann kommt er und kniet neben ihr im Stuhl nieder, sieht sie aber nicht an und auch beim Hinausgehen spricht er kein Wort, sondern verneigt sich nur ganz vornehm und höflich und geht dann wieder auf sein Zimmer. Dabei läßt er es ihr freilich an nichts fehlen, schickt ihr Bücher und Vorräthe zu Handarbeiten, und auch für den Tisch muß ich sorgen, wie wenn wir im besten Glück lebten. Aber Ihr wißt wohl:

Besser trocken Brod von Herzen,
Als Kapaunen mit Schmerzen,

und besser, ein Loth Freiheit, als zehn Pfund Gold. Das ist wenigstens meine Meinung, und daher, als wir das Leben einen ganzen Sommer lang ertragen hatten und nun zum ersten Mal einschneiten und ich stellte mir vor, wie’s erst im Winter werden sollte, da faßte ich mir einmal ein Herz und ging zum Herrn und sagt’ ihm, es könne nicht so fortgehen; die Frau würd’s nicht lange mehr machen und, sagt’ ich, es wäre auch schändlich, daß er die arme Creatur so mißhandelte, und wenn er glaube, auf die Art ihre Liebe zu gewinnen, sei er hundert Meilen vom Ziel, denn selbst einen Hund zähme man besser mit Streicheln als mit der Kette, und ich wisse sehr wohl, daß das Alles nicht wahr sei, mit ihrer Unvernunft, sondern es habe ganz andere Gründe, aber wundern sollt’s mich nicht, wenn er sie am Ende wirklich zum Rasen brächte. Das sagt’ ich und weiß heute noch nicht, wie ich mir so viel gegen ihn herausnehmen konnte, aber weil er mich einmal reden ließ, gab ein Wort das andere. Als ich nun endlich fertig war, stand er ganz ruhig auf und sagte mit einem Ton, wie wenn man ‚Guten Morgen‘ sagt: ‚Ich will Euch nur darauf aufmerksam machen, Barborin, daß ich immer geladene Gewehre in meinem Schrank habe und daß es besser ist, Ihr laßt dergleichen Reden, zu mir und zu Andern, da ich sonst genöthigt wäre, Euch niederzuschießen wie eine tolle Hündin. Und nun geht und sagt dasselbe auch an die Martina, falls Ihr Euern Wahnwitz von der haben solltet.‘ Heilige Mutter der Gnaden, wie erschrak ich! Wie machte ich, daß ich ihm aus den Augen kam! Denn er sah schrecklich aus, so leise er sprach. Und seitdem habe ich nie wieder das Herz gehabt, von dergleichen mit ihm anzufangen. Aber noch kein halbes Jahr war vergangen, da sprach meine Frau das erste Wort zu ihm. Nämlich die Mutter, die ihr alle Wochen schrieb, hatte ihr einen Brief geschickt – ich nahm ihn hernach ihr heimlich fort und las ihn – darin stand, daß Gino in Paris leichtsinnige Streiche gemacht und sich mit einem Franzosen duellirt habe, weil beide einer Tänzerin den Hof machten, und Gino habe eine Kugel in die linke Schläfe bekommen und sei augenblicklich todt geblieben. Das schrieb die Mutter ohne alle Ahnung, was es ihr sein mußte, und der Brief kam an einem Freitag. Von da an bis zum Sonntag Morgen lag meine Frau im Fieber. Ich rieth ihr ab in die Messe zu gehen. Aber da war kein Halten. Gut, so geht sie denn hin. Aber als die Messe aus ist und sie neben dem Marchese aus der Capelle kommt, bleibt sie auf der Schwelle stehen und fängt an mit ihm zu sprechen, so leise, daß ich kein Wort verstand; es mag auch wohl Französisch gewesen sein.

Er aber, nachdem er sie eine Zeitlang angehört hat, zieht plötzlich eine Uhr aus der Tasche, dieselbe, die der Taddeo damals in der Nacht aus dem Handgemenge mitgebracht hatte und sagt: ‚Es wird bald Mitternacht sein, Signora Marchesa!‘ – und damit verneigt er sich und geht, so kurzweg, daß ich kaum noch Zeit hatte hinzuzuspringen und meine Frau, die eine Ohnmacht bekam, in meinen Armen aufzufangen.

Was sagt Ihr dazu, Herr Capitano? Kann ein Christenmensch auf Vergebung seiner Sünden hoffen, wenn er nicht betet: Wie wir vergeben unsern Schuldigern? Und wenn’s noch etwas so Gefährliches gewesen wäre! Aber sie war jung und liebte ihn ja nicht, und an Gino hatte sie ihr Herz geschenkt, seit sie zuerst an etwas Anderes dachte, als Puppen und Zuckerbrod, und war sie nun nicht schwer genug gestraft, da der Leichtfuß sie und sein junges Leben hingeopfert hatte – um eine Tänzerin?“

Die Alte schnaufte heftig ein paar Mal hinter einander und wartete offenbar, daß Eugen in Verwünschungen ausbrechen sollte. Der aber stand in tiefen Gedanken und bohrte die Spitze seines Stockdegens in den mürben Steingrund. Endlich sagte er nur: „Und seit der Zeit?“

„Seit der Zeit haben wir gelebt, als wenn wir Sonne, Mond und Sterne vom Himmel gestohlen und den Erzengel Michael ‚Dieb‘ geschimpft hätten. Ja, lieber Herr Capitän, wenn man so wie Ihr in den Bergen spazieren geht und sieht das Castell so zwischen dem Wald vorschauen, da mag sich’s ganz lustig ausnehmen, und ein paar Mal habe ich auch Fremde auf der Brücke sitzen sehen, unter einem weißen Schirm, und die malten es ab. Aber manche schöne Nuß hat einen schwarzen Kern, den die Würmer zu Staub fressen. Wie wir da zwischen den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 793. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_793.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)