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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

dem Fenster hinübersehen kann, wo die Frau Marchesa wohnt. Wenn der Herr Marchese nichts dagegen hat, mir kann’s ja gleich sein. Ich bin ja auch nicht gefragt worden, ob wir den deutschen Herrn in’s Castell aufnehmen sollten oder nicht. Und wenn es ihm Spaß macht, mit Barborin zwei Stunden lang oben im Steinbruch zu plaudern –“

„Wer sagt das? Wer hat ihn gesehen?“

„Meneghin,[1] der Ziegenhirt. Sie hatten sich in die Hütte versteckt, da trieb er seine Heerde vorbei. Wie er herunterkam, stand ich gerade draußen an der Brücke. Da sagte er mir’s.“

„Was hat die Barborin draußen zu suchen?“

„In’s Kloster wollte sie, Schlafpulver holen, die Frau habe sie wieder nöthig; kann sein, daß auch Andere davon profitiren sollen.“

Eine Pause trat ein. Der Marchese lag im Lehnstuhl, er hatte die Feder weggeworfen und die Augen fest zugedrückt. Taddeo, der jede Miene in seinem Gesichte kannte, schien mit dem Eindruck, den seine Nachrichten gemacht, zufrieden zu sein.

„Was ich noch sagen wollte,“ fing er wieder an, indem er Pulverhorn und Schrotbeutel in den Schrank schloß und die Doppelbüchse über die Schulter hing, um sie draußen zu reinigen, „der Herr Capitano hat sich’s verbeten, daß ich die Thür zum Thurm wieder zuschließe. Ich sagte, ich hätte es so in der Gewohnheit. Und er, sagte er, sei gewöhnt, bei Nacht frisches Wasser zu trinken; und wenn’s ihm um Mitternacht einfiele, seinen Krug frisch zu füllen, wolle er nicht wie ein Sträfling auf verschlossene Thüren stoßen. Ich hab’ den Herrn Marchese nur fragen wollen, wie es damit gehalten werden soll.“

Der Marchese stand plötzlich auf; die Bewegung, die in ihm arbeitete, ließ ihn nicht ruhen. Er schritt mit gekreuzten Armen wohl zehn Minuten lang über den Teppich des tiefen Zimmers hinauf und hinab, während Taddeo scheinbar phlegmatisch mit seinem Taschentuch an dem Lauf des Gewehrs herumrieb. Zuletzt trat sein Herr in die Fensternische und sah in die Nacht hinaus.

„Thu’, was Dir gut dünkt, Taddeo,“ sagte er. „Ich glaube, daß Du wieder einmal vor Scharfsichtigkeit um die Ecke siehst. Aber ich verlasse mich auf Deine Treue. Die Thür zum Thurm bleibt offen. Ich will, daß Du thust, als hörtest und sähest Du nichts, während Du Alles hörst und siehst. Geh’ jetzt, dem Fremden magst Du sagen, daß ich schon zu Bett gegangen sei, aber morgen ihn zu begrüßen hoffte.“

Taddeo ging. Kaum aber war er hinaus, als er hastig auf den Zehen wieder eintrat und die Thür hinter sich offen ließ. „Hören Sie wohl?“ sagte er halblaut.

Die dünne, hohe Stimme der Barborin klang aus dem Hof herüber.

„Was soll ich hören?“ fragte der Marchese. „Die Alte singt am Brunnen.“

„Und was?“ flüsterte Taddeo mit einem Gesicht, das von List und Schadenfreude glänzte.

„Ich kann kein Wort verstehen,“ sagte der Herr, nachdem er eine Weile gelauscht hatte. „Was ist auch an ihrem Singsang gelegen? Geh’ und laß mich allein.“

„Jetzt wieder dasselbe!“ raunte der Bursch, das Auge zudrückend, als könne er so den Sinn des Gehörs schärfen. „Hören Sie nicht:

Im Garten hinter unserm Hause
Ein Schlänglein kriecht, ein Schlänglein kriecht.“

„Nun hör’ ich es auch! ‘s ist das Lied von der Donna Lombarda,[WS 1] das hier jedes Bauernweib singt.“

„Aber anders, Herr Marchese. Heißt’s nicht im Liede weiter:

Des Schlängleins Kopf zerstoßt im Mörser,
Zerstoßet ihn, zerstoßet ihn!

Und wie singt die verdammte Hexe draußen?“

Soeben erscholl die Stimme von Neuem, lauter und gellender. Man konnte deutlich die Worte verstehen:

„Um Mitternacht, nach Mondenaufgang
Erwartet mich, erwartet mich;
Die Schlange dann im Garten hab’ ich
In Schlaf gewiegt, in Schlaf gewiegt.“ – –

Dann ward es still. Herr und Diener sahen sich einen Augenblick voll in’s Gesicht, und das scharfe Auge Taddeo’s bemerkte, wie der Marchese vom Kopf bis zu den Füßen zitterte, als stehe er auf dem Sprunge, hinauszustürzen und die Sängerin draußen zu erwürgen. Gleich darauf war er wieder Herr seiner selbst. „Geh’,“ sagte er mit gelassener Stimme. „Es bleibt bei Allem, was ich Dir gesagt habe.“

Als Taddeo hinaus war, warf sein Herr sich in den Sessel und vergrub das Gesicht in seine Hände. Was für Gedanken mochten ihn bestürmen?

Spät kam der Mond. Eugen hatte schon lange am Fenster gestanden und auf ihn gewartet, und doch, wie jetzt der erste schmale Streif über die Thalwand heraufglänzte, erschrak er unwillkürlich. Es stritt wunderlich in ihm. Jetzt konnte er die Zeit nicht erwarten, durch die verbotenen Thüren zu schleichen, jetzt wieder, wenn das ernste Gesicht des Marchese vor ihn trat, wünschte er, dies Haus nie betreten zu haben. Er ging dann wieder in den wüsten Saal nebenan und spähte in den Hof. Aber unten blieb Alles dunkel. Das Herz klopfte ihm, wenn er dachte, wozu er hierhergekommen sei und was jetzt all’ seine Gedanken beschäftigte. Aber es riß ihn vorwärts.

Zur Stunde, die ihm die Alte bestimmt, tappte er sich im Finstern die Thurmtreppe hinab, ein Glas in der Hand, um, wenn er auf den Einäugigen stieße, einen Vorwand bereit zu haben. Aber er blieb im Hofe ganz allein, saß auf dem Steinrande des Brunnens und hörte, wie das schwarze Laub über ihm in der Nachtluft säuselte. Der Cypressengarten ward immer heller, so viel auch die traurigen dunklen Bäumchen vom Mond einsogen; aber die breiten Feigenblätter troffen förmlich von Glanz und die weiße Mauer starrte mit ihren versilberten Zinnen in den lichtgrauen Himmel, daß der Wiederschein Alles lichtete.

Plötzlich ging verstohlen eine Thür, Schritte kamen durch den dunklen Hof herangehuscht und er hörte die gedämpfte Stimme der Barborin: „Seid Ihr’s? Kommt!“

Dann, während sie auf den Zehen über die Steinplatten des Hofes gingen, sagte sie: „Alles ist in Ordnung. Es traf sich gut, daß er gerade heut’ durstig war wie ein Schwamm. Gar nicht erst in’s Glas goß er seinen Wein, sondern stürzte ihn nur so aus dem Kruge hinunter, und dann hatte er Noth, sein Bett zu finden. Wir müssen durch seine Kammer, aber fürchtet Euch nicht, er schnarcht, daß ein Regiment Soldaten mit der Musik an ihm vorbeimarschiren könnte. Da seht!“ und sie schob ihren Begleiter durch die schmale Thür in ein winkliges Zimmerchen, das nur durch ein kleines Rundfenster einen schwachen Mondschimmer empfing. Im Hintergrunde lag aus einem niedrigen Bett lang ausgestreckt und in seinen Kleidern Taddeo und athmete so schwer, daß es fast wie Röcheln klang.

„Wohl bekomm’s ihm!“ sagte die Alte und ballte die Faust gegen den Verhaßten. „Er hat die sechsfache Portion von unsern Pulvern. Ich wollt’, es machte sich jetzt eine wilde Katze über ihn her und drosselte ihn, daß er sein Schelmenauge nie wieder aufthäte. Nur immer mir nach, Herr Capitano. Hier –“ und sie öffnete die Thür zu dem geräumigen Gemach, in das er gestern Abend durch die Lücke im Laden geblickt hatte – „es ist dunkel hier, aber haltet nur meine Hand fest. Nebenan wohnt meine Frau, die ist schon zwei Stunden auf und schreibt und schreibt, der Himmel mag wissen, was, in ein Buch, das sie immer vor mir verschließt. Und seht, durch diese Thür geht’s in den Garten, den Schlüssel hab’ ich dem schnarchenden Ungeheuer abgenommen, da lass’ ich Euch vorangehen, und dann red’ ich meiner armen Frau zu, ein wenig Luft zu schöpfen, und bringe sie hinaus. Ihr aber haltet Euch im Schatten, und erst, wenn ich huste, tretet Ihr vor. Denn noch hat sie keine Ahnung, daß sie einen Fremden sehen soll, seit drei Jahren zum ersten Mal!“

Damit schloß sie eine Thür auf neben dem Betschemel, den er auch in der Dämmerung wohl wiedererkannte, und ließ ihn in das Gärtchen treten. Es war so eng und klein, daß es ihm, von den himmelhohen Mauern umschlossen, vorkam, als befinde er sich auf dem Grunde eines ausgetrockneten Brunnens, wo die letzte Feuchtigkeit allerlei Grün emporgetrieben habe. Schauerlich war’s ihm, zu denken, daß ein schönes junges Leben hieher flüchte, um vor dem Auge des Tages versteckt frischere Luft zu athmen. Alle Bedenken, ob er sich nicht gegen die Pflicht der Gastfreundschaft vergehe, wenn er in das Geheimniß dieser unseligen Ehe einbreche, fielen auf Einen Schlag von ihm ab.

  1. Domenico.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. italienisches Volkslied siehe: Donna lombarda (italienisch).
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_795.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)