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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

hatte ihm hier das Anerbieten gemacht. Wo der die Noten her habe, könne er nicht sagen. Er wollte oder konnte nichts weiter gestehen und mußte in seine Zelle zurückgeführt werden.

Es war zehn Uhr geworden, als der ausgesandte Bote zurückkehrte und dem Herrn Actuar meldete, die beiden Graveure Franz Jochus und Wilhelm Brendel seien nicht in ihrer Behausung, wohl aber wollte ein Weinbauer vor kaum einer halben Stunde gesehen haben, wie sie draußen von dem Weg nach Wellheim abgebogen und der Wildenfels-Ruine zugeschritten wären.

Jetzt durfte er seinen Verdacht nicht länger zurückhalten und ließ sich bei seinem Vorgesetzten melden, dem er die einzelnen Thatsachen mittheilte, ja selbst seine Neigung zu der Tochter des Paul Jochus nicht verschwieg und seine Befürchtung aussprach, daß jener nächtliche Besuch der Ruine ihr irgend etwas verrathen haben müsse, das sie unglücklich und elend gemacht, denn sie sei von der Zeit an wie umgewandelt gewesen.

Der alte Criminalrichter hörte ihm aufmerksam zu und nickte nur manchmal leise mit dem Kopfe.

„Und was gedenken Sie jetzt zu thun?“ frug er, als der junge Mann schwieg.

„Ich wollte Sie bitten, einen Anderen mit der augenblicklichen Untersuchung der Ruine zu beauftragen; in wenigen Stunden könnte es zu spät sein.“

„Aber es ist nicht möglich, daß die Herren schon irgend welchen Verdacht geschöpft haben. Sie können nicht einmal wissen, daß ihr Bundesgenosse eingebracht ist.“

Der Actuar zögerte mit der Antwort, denn er mußte sich selber dadurch anklagen; er dachte dessen, was er gestern Abend mit Rosel gesprochen. Erst nachträglich war ihm aufgefallen, welchen Antheil sie gerade in dem Augenblick an einer Sache genommen, die ihr doch eigentlich so fern liegen mußte. Wer hätte es der Tochter verdenken wollen, wenn sie den Vater gewarnt, und wenn er jetzt dem Vorgesetzten seine Befürchtung verheimlichte, machte er sich dann nicht zum Mitschuldigen an dem Verbrechen?

Es war ein augenblicklicher Kampf zwischen Liebe und Pflicht, aber die Pflicht siegte, noch dazu, da er nur dadurch hoffen durfte, das ihm theure Mädchen von all’ jenen entsetzlichen Verbindungen zu befreien und dennoch für sich zu gewinnen.

Er erzählte dem Untersuchungsrichter sein gestriges Gespräch mit dem armen Mädchen und verschwieg nichts. Kaum aber hatte er geendet, als der alte Herr sich von seinem Stuhle erhob und rief:

„Sie haben Recht, Herr Actuar, und hier meine Hand, ich verstehe, welche Ueberwindung Ihnen das Geheimniß gekostet haben mag, und verspreche Ihnen auch, daß Sie mit der Sache nichts weiter zu thun haben sollen. Ueberlassen Sie das Andere mir und senden Sie mir nur augenblicklich den Herrn Assessor Schüler herüber. Mit dem werde ich das Weitere besprechen.“

Jetzt entwickelte sich in dem alten Gebäude eine ganz merkwürdige Thätigkeit und es dauerte keine Viertelstunde, so wurden Leute nach allen Seiten ausgeschickt.

Drei berittene Gensd’armen trabten, so rasch ihre Pferde sie bringen konnten, den Weg nach Wellheim; ihnen folgten etwas langsamer drei andere in Begleitung einer kleinen Abtheilung Militär und mehrere Polizeidiener. Assessor Schüler selber mit einem jungen Prakticanten fuhr in einem Einspänner den nämlichen Weg.

Zu gleicher Zeit wurde Polizei nach dem Hause der beiden Graveure Jochus und Brendel gesandt, sie trafen aber noch Niemanden daheim und postirten sich dann, ohne Lärm zu machen, in der Nachbarschaft. Die Gensd’armen waren direct vor das Wirthshaus zum Burgverließ geritten. Rosel stand gerade in der Thür, als sie hielten, und jeder Blutstropfen mußte ihr Antlitz verlassen haben, denn sie sah blaß aus wie eine Leiche. Aber jede Schwäche war auch von ihr gewichen, denn seit heute Morgen wußte sie, was kommen mußte. Daß es etwas früher kam, als sie erwartet haben mochte, konnte sie nicht überraschen. Sie beantwortete die Fragen nach ihrem Vater ruhig und gefaßt; er habe heute Morgen das Haus verlassen und sei noch nicht zurückgekehrt; wo er sich aufhalte, könne sie nicht sagen, vielleicht drüben in Hellenhof, bei ihrem Bruder.

„Thun Sie Ihre Pflicht,“ sagte sie seufzend zu den Gensd’armen, die ihr das Bedauern aussprachen, das Haus besetzen zu müssen, „ich kann’s nicht hindern, und wenn ich’s könnte,“ setzte sie leise und scheu hinzu, „weiß ich nicht einmal, ob ich’s thäte.“

Damit ging sie in ihr Zimmer hinauf, setzte sich an’s Fenster und starrte still und schweigend, doch mit thränenlosen Augen, nach der alten Ruine hinauf, deren halbverfallenen Thurm sie von dort aus deutlich durch die Wipfel der Büsche und Obstbäume unterscheiden konnte.


9. Schluß.

Indessen verfolgten die drei Verbrecher ihre verschiedenen Bahnen, die sie an den Schauplatz ihrer Thätigkeit – und zwar zum letzten Mal – zusammenführen sollten. Anfangs hatten sie sich völlig Zeit genommen und Brendel selber war in einem mäßigen Schritt, doch düster brütend vorwärts gewandert. Aber je länger er sich seinen alten Erinnerungen überließ, desto mehr trieb ihn die Angst vor Entdeckung weiter und zuletzt eilte er in einer solchen Hast vorwärts, daß ihm Franz kaum zu folgen vermochte.

„Zum Teufel,“ rief dieser endlich ärgerlich, „was hetzest Du denn nur so furchtbar heute Morgen? So eilig ist die Geschichte nicht, daß wir uns unnöthiger Weise den Athem aus der Seele laufen sollten.“

„Wir sind Thoren gewesen,“ knirschte Brendel zwischen den Zähnen durch, „daß wir uns so lange Zeit genommen haben, und mir hat geahnt, wie es noch Alles kommen würde.“

„Aber was ist denn eigentlich gekommen?“ rief Franz ärgerlich. „Sie haben irgend Jemanden dabei ertappt, falsche Banknoten auszugeben, das ist Alles, und was wollen sie machen, wenn er nicht gesteht? Indeß wirklich den schlimmsten Fall genommen, daß er gestände, was er weiß, so verräth er doch unser Versteck nicht, das Niemand weiter kennt, als wir selber. Wie ich’s mir unterwegs überlegt habe, glaub’ ich, es wäre am Ende gar das Beste, wir ließen Alles dort oben ruhig, wie es steht, denn kein Mensch denkt an die alte Ruine, um dort Nachsuchung zu halten.“

„Und Deine Schwester kennt unser Geheimniß wohl nicht?“

„Du glaubst doch bei Gott nicht, daß die uns verrathen würde?“

„Ich will wünschen, daß wir uns nicht vom Gegentheil überzeugen,“ brummte Brendel, „aber so viel weiß ich gewiß, nicht eine Viertelstunde vertrau’ ich länger einer Weiberzunge. Macht Ihr, was Ihr wollt, mir kann’s recht sein; schon heut’ Abend jedoch bin ich auf dem Weg zur französischen Grenze.“

Franz hatte, wenn auch im ersten Augenblick durch die Nachricht überrascht, noch nicht so recht an eine wirkliche Entdeckung ihres verbrecherischen Treibens geglaubt, da sie ihm so lange und ungestraft gefolgt waren; durch Brendel’s Angst wurde er jetzt selber mit angstvoll. Die Möglichkeit eines Verraths ließ sich allerdings nicht leugnen, und doppelt schwer würde sie derselbe in einem Augenblicke betroffen haben, wo sie wirklich am Ziel ihrer Wünsche standen und ein bedeutendes Capital meisterhaft gefertigter Noten in ihrem Besitz wußten. Jedenfalls war es deshalb vorsichtig gehandelt, diese wenigstens in Sicherheit zu bringen, vielleicht auch gerathen, sich selber eine kurze Zeit aus dem Weg zu halten, bis man erst gewiß wußte, daß der Sturm vorübergebraust sei. Mit diesen Gedanken beschäftigt, erstieg er schweigend mit dem Gefährten den rauhen, buschbewachsenen Hügel, bis sie den Pfad erreichten, der hinaufführte.

Paul Jochus war noch nicht da, lange ließ er indeß nicht auf sich warten. Kaum hatten sie das Gewölbe betreten, als sie seinen Schritt und gleich darauf sein Zeichen hörten.

„Aber Vater, wo hast Du nur gesteckt?“ rief ihm Franz entgegen, „wir hatten fast noch einmal so weit als Du.“

„Dann müßt Ihr gelaufen sein,“ sagte der Alte mürrisch, „ich hielt mich noch unterwegs auf. Wie ich kaum die Büsche erreicht hatte und ein Stück hinangeklettert war, bis zu der Stelle, wo früher die hölzerne Bank stand und von wo aus man einen Theil der Chaussee übersehen kann, kamen plötzlich drei Gensd’armen im scharfen Trab die Straße gen Wellheim hinunter geritten.“

„Nun – und?“

„Und?“ brummte Jochus, „ich möchte wissen, weshalb die in so verdammter Eile waren und wohin sie wollten.“

„Hast Du’s denn nicht gesehen?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_803.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)