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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

hörbar rief er „Herein!“ Die Thür ging auf und seine Frau trat über die Schwelle.

Er erschrak vor der Blässe ihres jungen Gesichts, das er so lange nur in dem grauen Zwielicht der Schloßcapelle gesehen hatte und auf das jetzt der kalte Tagesschein fiel. Ein scheuer Blick aus ihren schwarzen Augen streifte ihn; gleich darauf waren ihre Wangen tief in Gluth getaucht. Sie mochte gesehen haben was neben der Cassette lag.

Sie that unwillkürlich einen Schritt zurück, als hätte sie sich in ein falsches Zimmer verirrt. Aber sie blieb am Thürpfosten gelehnt stehen und sammelte all’ ihren Muth.

„Ihr wollt verreisen, mein Gemahl?“ sagte sie tonlos, mit der Hand das Kreuz festhaltend, das auf ihrer Brust hing. „Ich habe kein Recht zu fragen, warum Ihr geht und wohin. Aber die Angst hat mich überfallen, es möchte meiner Mutter etwas zugestoßen sein, das Euch so plötzlich nach Mailand riefe. Ich hatte einen ängstlichen Traum, wo ich sie sterbend sah. Sagt mir aus Barmherzigkeit nur das Eine, ob ich mich täuschte oder nicht.“

„Ich hoffe, die Gräfin ist wohl,“ erwiderte er mit gewaltsamer Fassung. „Wenigstens habe ich keine Nachricht, die das Gegentheil sagte. Wenn ich reisen muß, so sind es andere Gründe, die es mir dringend machen. Aber da ich vielleicht lange von hier abwesend bin, wollte ich vorher erfahren, ob Euch die Luft hier noch zusagt. Ihr seht blaß aus, Giovanna. Der Aufenthalt in dieser Enge mag Euch nicht länger zuträglich sein. Sagt es offen. Ich würde dann Vorkehrungen treffen, daß Ihr den Winter in Venedig zubrächtet, wo die feuchte Seeluft Euch ohne Zweifel heilsam wäre.“

„Ich danke Euch,“ sagte sie und ihre Stimme bebte, „ich verdiene nicht so viel Güte und Rücksicht. Laßt mich, wo ich bin. Ich möchte nirgend anders sterben, als in dieser Einsamkeit. Aber, wenn Ihr für eine Bitte von mir ein Ohr habt, so reis’t heute noch nicht; verschiebt es bis morgen – oder übermorgen – je nachdem.“

„Und aus welchem Grunde?“ fragte er.

„Ich möchte ihn Euch lieber nicht sagen, um Euch Unangenehmes zu ersparen. Wenn Ihr mir glauben wolltet, daß es besser wäre – aber Ihr habt Recht; Euer Vertrauen wäre eine zu große Gunst für mich.“

Er schwieg und ließ seine Augen fest auf ihren gesenkten Wimpern ruhen.

„Nun denn,“ fuhr sie fort, „so muß ich wohl sprechen, auf alle Gefahr. Ich habe es dem Fra Ambrogio vertrauen wollen, der sollte mir rathen. Nicht, was ich Euch schuldig bin. Darüber braucht mich Niemand zu belehren. Aber ob es nicht einen schonenderen Weg gäbe, auch einen Dritten, der mit betheiligt ist, in seine Schranken zurückzuweisen, ohne Euch zu kränken. Nun wollt Ihr so eilig fort; da bleibt nichts übrig, als Alles Eurer großmüthigen Entscheidung zu überlassen.“

„Wovon redet Ihr, Giovanna?“

Sie trat einen Schritt näher und zog die Thür hinter sich zu. „Ein Gast ist im Hause,“ sagte sie, „der ohne mein Wissen und wahrlich sehr gegen meinen Willen erfahren hat, was für ein unglückliches Leben noch unter diesem Dach athmet. Er hat Mittel gefunden, mich bei Nacht im Garten anzusprechen. Ich habe ihn mit aller Entschiedenheit bedeutet, daß ich ein zweites Einmischen in mein Schicksal ihm nicht verzeihen würde. Nun hat eine thörichte, fast wahnwitzige Theilnahme an meiner Lage, die er doch nur von außen kennt, ihn so kühn gemacht, mir zu schreiben, – diesen Brief. Les’t ihn, mein Gemahl. Er wird Euch überzeugen, daß ich mich hier nicht sicher fühlen würde, wenn Ihr mich mit diesem überspannten Mann allein ließet. Ich wollte ihm durch Fra Ambrogio einen Schwur abnehmen lassen, nie von dem, was er hier gesehen, zu einer lebenden Seele zu reden. Das, oder wie Ihr sonst mit ihm zu verfahren denkt, sei nun Euere Sache. Aber laßt mich noch auf meinen Knieen bitten, weder an ihm noch an Jemand sonst wegen dessen, was geschehen, rasch und grausam zu handeln. Sie meinen es gut, so verkehrt sie denken. Sie wissen Alle nicht, daß ich nichts Anderes wünsche, als was mir hier bereitet ist.“

Jetzt erst, während er den Brief in zitternden Händen hielt und lange hineinstarrte, wagte sie ihn anzusehen. Die Herrschaft über sich selbst, die ihn auch jetzt nicht verließ, hielt die Bewegung in ihm so weit nieder, daß sich nichts davon auf dem düsteren Gesicht spiegelte. Und so sagte er endlich auch mit gelassenem Ton, wie wenn er das Gleichgültigste hinwürfe:

„Ich finde diesen Brief ganz vernünftig. Der Schreiber sieht die Lage der Dinge zwar von außen, aber darum nur desto unbefangener, und Ihr thut ihm sehr Unrecht, wenn Ihr ihn für halb wahnwitzig haltet. In der That, auch mir ist der Gedanke mehr als ein Mal gekommen, daß es nicht so fort gehen könne. Denn einen Mord auf mich zu laden, jetzt mit kaltem Blute, nachdem ich damals mit meinem heißen es nicht habe über mich gewinnen können, dazu spüre ich keine Lust. Und doch wird das das Ende sein, wenn Ihr so fortlebt.“

„Gewiß,“ sagte sie, „ich werde sterben, aber daran habt Ihr keine Schuld, mein Gemahl. Und wenn Ihr es hättet, so würde ich Euch auch dafür danken; denn ich habe nichts mehr im Leben zu hoffen.“

„Ihr seid jung, Giovanna. Der Schatten, der auf Euer Leben gefallen ist, wird sich lichten. Was geschehen ist, stirbt endlich ab und läßt das Herz wieder los. Dann werdet Ihr Euch eines Tags wundern, wie Ihr so lange in dieser Dumpfheit ausgehalten habt, und wenn ich, der ich so viel älter bin, dann aus dem Leben gehe und Eure Hand wieder frei gebe, die ich nie hätte ergreifen sollen, da ich wohl wußte, daß Euer Herz sich von mir abwandte –“

„Ihr habt keine Schuld,“ unterbrach sie ihn. „Ich habe Euch nie gesagt, daß ich schon vor Euch geliebt hatte.“

„Aber ich wußte es. Ich sah es mit diesen meinen Augen. Leidenschaft verblendete mich. Ich hoffte, wenn Ihr mein wäret und den Ernst und die Stärke meiner Gefühle sähet, ich würde endlich den Nebenbuhler aus dem Felde schlagen. Ich hatte nicht bedacht, daß eine erste Neigung in einem Gemüth, wie das Eure, die tiefsten Wurzeln treiben müsse; dann kam Alles, wie es kommen mußte, wie es der Lauf der Welt mit sich brachte.“

„Nein, mein Gemahl,“ sagte sie mit erhobener Stimme und einem vollen Aufleuchten ihres traurigen Blickes. „Ihr thut Euch sehr Unrecht, wenn Ihr sagt, es sei hier nichts geschehen, was nicht alltäglich wäre. Ich war jung, als ich mich mit Euch verband, aber nicht so jung, daß ich nicht Euren Werth hätte erkennen sollen, wenn nicht ein kindischer Trotz, den ich in mir selbst nährte, sich in mir aufgelehnt hätte, je edler und gütiger Ihr waret, desto ungeberdiger Euch fremd zu bleiben, ja eine Todsünde zwischen uns zu stellen, die nichts auslöschen, keine Reue und Buße vergessen machen kann. Ob das noch alltäglich war, ich weiß es nicht, ich habe die Welt zu wenig gesehen. Aber, daß Ihr handeltet, wie Wenige Euch nachthun würden, davon bin ich in meinem Innersten überzeugt. Ihr hattet das Recht, mich und ihn in die ewige Nacht zu schicken. Niemand hätte Euch einen Mörder geheißen. Aber Ihr hättet Schande auf meinen Namen, auf den Namen meiner Eltern gehäuft, und das edelste Mitleiden hielt Eure Hand zurück, in der schon der Degen nach meinem schuldigen Blute zuckte. Und dann, statt mich in der Stille dieses Hauses mit Füßen zu treten, wie den Auswurf des Geschlechts, und davon zu gehen und mich meinen Qualen zu überlassen, habt Ihr es ertragen, die Luft mit mir zu theilen, und mir Muße gegönnt, in mich zu gehen und zu erkennen, wer ich bin und wie tief ich unter Euch stehe. Ich weiß, ich werde nie in’s Leben zurückkehren. Es ist ein Ekel in mir an allen Freuden, an die ich früher mein Herz gehängt habe. Und was hätte ich auch vom Leben, selbst wenn Ihr mir zureden wolltet, die Welt wieder zu sehen, da ich nie hoffen darf, wieder für Euch zu leben? Aber da wir doch gerade von all’ diesem Trostlosen sprechen – und ich danke Euch auf’s Innigste, daß Ihr mich anhört nach so langem Verstummen – Eine Hoffnung hege ich, mein Gemahl, Eine Bitte, die ich Euch in dieser glücklichen Stunde sagen will: Wenn ich sterbe, so bleibt mir nicht fern; wenn ich Euch dann bitten lasse, noch einmal zu mir zu kommen, so kommt und verweigert mir nicht Eure Hand, und wenn ich dann nicht mehr sprechen kann, Euch nur noch ansehe, so wißt, was der Blick bedeutet, daß er Euch anfleht, mir nur einmal die Hand auf die Stirn zu legen und zu sagen: Ich habe Dir verziehen!“

Er schwieg eine Weile und stand, die Augen fest geschlossen, im Kampf mit einer übermächtigen Bewegung. „Nein,“ sagte er endlich und seine Stimme bebte, „das kann ich nicht, das ist zu viel verlangt!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_811.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)