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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Hiller leitete, als Mendelssohn, mit dem ihn die innigste Freundschaft verband, Leipzig mit Berlin vertauschte, die Leipziger Abonnementsconcerte, siedelte aber bald nach Dresden über, um dort ebenfalls Concerte im größeren Stil einzurichten und zu dirigiren. Dazwischen componirte er seine Oper „der Traum in der Christnacht“, seinen „Konradin von Hohenstaufen“, verschiedene Streichquartette, Sonaten, Capriccios, Etüden und seine schönen Impromptus, auch viele Lieder. Die „Zerstörung Jerusalems“ ging von Dresden aus in alle Welt, mit dem tiefsten Interesse und dem wärmsten Beifall aufgenommen. Wer könnte je den klagenden Chor wieder vergessen: „Eine Seele tief gebeuget“, oder das ergreifende: „Wir ziehn gebeugt, das Joch auf unserm Nacken“, und das herrliche Duett: „O wär’ mein Haupt eine Wasserquelle“

Im Jahre 1850 nahm Hiller einen ehrenvollen Ruf als städtischer Capellmeister und Director des Conservatoriums nach Köln an, und schafft und wirkt dort mit einer kurzen Unterbrechung, wo er einen Winter in Paris die italienische Oper dirigirte, bis zur Stunde in ungetrübter Kraft und Frische. Seine schöpferische Phantasie treibt immer neue Blüthen, unter welchen als eine der anmuthigsten wohl seine „Operette ohne Worte“ für Clavier zu vier Händen erscheint. Seine Oper „die Katakomben“ entstand, seine Symphonie mit dem köstlichen Veilchenduft und dem Motto: „Es muß doch Frühling werden!“ und ihre Schwester, die fröhliche „Im Freien“. Mehrere größere und kleine Gesangsstücke erschienen für Solo und Orchester, das Oratorium „die Gründung Roms“, mit dem Text des geistvollen Musikkenners und Kritikers Professor Bischoff. Trotz alledem fand Hiller noch immer Zeit, die feinsten ästhetisch-kritischen Artikel zu schreiben und manchen wunderschönen Nachruf heimgegangenen berühmten Freunden. Die lebenden Freunde, berühmte wie unberühmte, finden ihn immer bereit zu heiterem und ernstem Geplauder, und nicht nur männliche, sondern auch die bekanntlich viel plauderlustigeren weiblichen Freunde. Liebenswürdig, offenherzig, lebensfroh und opferbereit, ist er jeden Augenblick mit Rath und That bei der Hand, wenn man ihn persönlich oder brieflich aufsucht. Sein Haus ist noch immer, wie es überall war, das gastfreie Asyl der Künstler von Nah und Fern. In diesem Augenblick – Dienstag Abend, den 4. December – steht er am Dirigentenpult im Gürzenichsaal in Köln, den Tactstab in der Hand, es ist sein Oratorium „Saul“, das er dem dichtgedrängten Publicum zum zweiten Mal vorführt.

Welch’ ein gewähltes Publicum lauscht den „prächtigen Chören“ mit der „pomphaften Instrumentirung“! Wie heiter erscheint das Gesicht des kritischen Richters Professor Bischoff in der Nähe des Orchesters! Welch’ ein embarras de richesse von schönen und minder schönen Frauen, von Civil und Uniformen, Jugend und Alter! Und dabei die Sängerinnen „in Weiß“ und die Sänger „in Schwarz“! Das Orchester, das unter seinen Mitgliedern viele glänzende Namen zählt, schaut mit gespannter Aufmerksamkeit auf seinen König und Herrn, der Chor hängt an seinen Blicken und den Bewegungen seiner Hand. Wie sie mit sichtlicher Liebe und Lust unter seiner sichern Leitung spielen und singen!

Man nennt Ferdinand Hiller einen unübertrefflichen Dirigenten, und wer ihn einmal am Dirigentenpult stehen sah oder unter seiner Führung sang, den überkommt die felsenfeste Ueberzeugung seiner und der eigenen Unfehlbarkeit, und so kann also eine musikalische Leistung, die sich unter seinem Schutze hervorwagt, nicht verderben. Das letzte Düsseldorfer Musikfest hat den Beweis geliefert, wie elektrisirend die Persönlichkeit Hiller’s mit dem Tactstab in der Hand auf Chor, Orchester und Publicum wirkt. Der kleine, runde Mann mit dem edlen Kopfe wird der Größten Einer, wenn er das Podium des Orchesters betritt. Die Rheinländer sind stolz auf ihren Hiller, besonders aber die Kölner auf ihn als den Leiter und die Seele ihrer berühmten Gürzenich-Concerte.




Der Kanonenkönig.


Da wir jetzt so viel von der militärischen Größe und Vergrößerung Preußens hören, ist es natürlich, daß wir die Gründe derselben etwas genauer kennen zu lernen suchen. Sie stammt aus der Geschichte, noch mehr aus der Geographie, dem Klima, dem Königsgeschlechte und der Natur der alten Brandenburger und der späteren Preußen, Quellen, die wir aber hier nicht näher untersuchen wollen.

Wir haben das Zündnadelgewehr kennen gelernt und dessen Erfinder besucht und sehen darin, wie alle Welt, wenigstens eine Hauptquelle der neuesten Siegesthaten Preußens, dürfen indeß auch den Kanonenkönig Krupp in Essen nicht übersehen, obgleich die achttausend und einige Hundert Eisen- und Stahlmänner seiner größten Cyclopen-Schmiede für alle Welt und sogar für die Japanesen arbeiten. Die weltberühmte Anstalt liegt ungemein günstig, da sich um sie drei große Eisenbahnlinien des westlichen Deutschland kreuzen und zwar zwei Stunden Weges von Köln, in der Richtung nach Berlin. Hier in Essen erbte der vierzehnjährige Knabe, Alfred Krupp, eine kleine Werkstatt für die Fabrikation von Schneideinstrumenten. Durch Genie, Muth, Geschicklichkeit, Energie und Glück dehnte der Mann seine kleine Werkstatt allmählich so weit aus, daß er im Jahre 1865 mit Hülfe von hundertundsechszig Dampfmaschinen, neununddreißig Dampfhämmern und vierhundert Schmelz-, Glüh- und Cementöfen nicht weniger als eine Million Centner Gußstahl zu einem Drittel in Kanonen und das Uebrige in mächtige Barren für Dampfmaschinen, Achsen, Räder, Dampfmaschinenkessel und sonstige stählerne Werkzeuge und Bekleidungen verarbeitete.

Krupp’s erste Stahlkanonen wurden im Jahre 1849 gegossen und den hauptsächlichsten deutschen Mächten angeboten, aber von ihnen abgewiesen, da ihnen die Sache zu neu und kostspielig erschien. Merkwürdiger Weise war der Vicekönig von Aegypten der Erste, der Stahlkanonen bestellte. Seitdem haben wohl alle Großmächte der civilisirten Welt Krupp’sche Stahlkanonen gekauft und zum Theil bereits in ihre Artillerie eingeführt. Rußland entschied sich zuerst für vollständige Umwandelung seiner Kanonen in stählerne nach Krupp’schem Muster, welche jetzt in einer besonderen Fabrik zu Alexandrosssky ausgeführt werden. Preußen läßt nur allmählich Krupp’sche Stahlkanonen, die in Essen gegossen und in Spandau gereifelt werden, an die Stelle seiner bisherigen gußeisernen und bronzenen treten; es hat aber noch ein besonderes System von Hinterladung, das mit dem Krupp’schen nicht verwechselt werden darf. Belgien und einige kleinere Staaten haben das Krupp’sche Princip angenommen oder gebrauchen noch zum Theil die preußische Waffe. Die österreichische und holländische Flotte sind zum Theil mit Krupp’schen Stahlkanonen versehen worden. Die Italiener haben zunächst einige Sechszoll-Hinterladungskanonen von Krupp gekauft. Seine besten Kunden waren bisher die Türken, die ihm nicht weniger als zweihundert Sechspfünder abgekauft haben, und die Japanesen, welche vor zwei Jahren ihre interessante Reise durch Europa machten, bestellten bei ihm sofort sechszig Sechszoll-Kanonen, von denen dreißig im vorigen September abgeliefert wurden. Bis zum Herbste dieses Jahres hat die Krupp’sche Anstalt nicht weniger als zweitausend fünfhundert gußstählerne Feuerschlünde geliefert, größtentheils gezogene Hinterlader, von denen vierhundert ein Kaliber von acht Zoll und mehr, die andern drei bis vier und einen halben Zoll haben.

Die Werkstätten Krupp’s bedecken jetzt über fünfhundert Morgen Landes, verzehren täglich fünfzehntausend Centner Kohlen, arbeiten mit dem Dampfe aus einhundert und zwanzig Kesseln, werden durch siebentausend Gasflammen erleuchtet und beschäftigen, wie bereits erwähnt, mehr als achttausend Männer und Knaben, welche jährlich etwa zwei Millionen fünfmalhunderttausend Thaler Lohn beziehen und außerdem noch manche andere Vortheile genießen. Um nämlich einmal eingelernte Arbeiter durch ihr eigenes Interesse zu fesseln, ist eine Casse gegründet worden, für welche jeder Arbeiter einen halben bis einen ganzen Groschen von jedem Thaler seines Lohnes beitragen muß, wofür er im Krankheitsfällen Unterstützung für sein Alter eine ordentliche Pension bezieht. Herr Krupp selbst trägt zu dieser Casse die Hälfte der von den Arbeitern gezahlten Summe bei. Aus dieser Geldquelle bezieht jeder Arbeiter nach fünfundzwanzigjährigem Dienste eine anständige Pension, eine Wohlthat und eine Gerechtigkeit, wovon gar viele andere Arbeitgeber noch keine Ahnung haben, da sie sich bei uns nur noch auf Staatsdienste

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_819.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)