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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Kind niederwerfen. Er war wie gebrochen, und ließ Alles mit sich geschehen, sträubte sich auch nicht im Geringsten, als man ihm die Hände auf dem Rücken zusammenschnürte und so jeden Fluchtversuch abschnitt.

Da fielen draußen am Hügelhang rasch hintereinander zwei Schüsse, dann war Alles still und nicht einmal die in das Gewölbe Gestiegenen kehrten zurück.


Assessor Schüler kannte das alte Nest, in dem er sich schon als Knabe herumgetummelt, ziemlich genau. Er wußte auch, daß es unterwölbt sei, und war schon als Kind, wo man den Platz noch häufiger besuchte, überall darin umhergekrochen. Lagen auch lange Jahre dazwischen, so erinnerte er sich doch des Terrains noch deutlich genug und traf danach seine Vorsichtsmaßregeln. Es schien ihm nämlich nicht unwahrscheinlich, daß die Verbrecher, wenn sie sich wirklich dort oben sollten eingenistet haben, auch schlau genug gewesen wären, irgend einen ihnen durch die verschiedenen Gänge gebotenen Vortheil zu benutzen; wohin diese auszweigten, wußte er freilich nicht.

Er begnügte sich indeß auch nicht damit, bloß die Burg selber geräuschlos zu ersteigen und zu besetzen, sondern er ließ den ganzen oberen Hügel, auf welchem sie stand, richtig bestellen, wie bei einer Treibjagd, so daß Soldaten mit scharfgeladenen Gewehren immer etwa vierzig Schritt von einander an kleine Lichtungen oder Pfade postirt und einander noch in Sicht waren. Erst als er sich in dieser Hinsicht so viel wie möglich gesichert wußte, folgte er selber den vorangeschickten Polizeidienern und erhielt von diesen schon an der steinernen Treppe die Meldung, daß man einen kellerartigen Eingang, der nach unten führe, entdeckt habe und dort unten ein dumpfes Klopfen hören könne.

Nachdem man sich nun rasch überzeugt hatte, daß dies wirklich der einzige sichtbare Weg sei, der oben von der Burg aus in das Innere führe, wurde derselbe besetzt und der Assessor machte sich gerade selber bereit hinabzusteigen, als sie den Wirth langsam heraufkommen hörten. Seine Gefangennahme erfolgte dann, wie vorher beschrieben, und Assessor Schüler säumte nun keinen Augenblick, um das Nest da unten selbst auszustöbern.

Das hämmernde Geräusch hatte gleich nach dem ersten Angstschrei des Gefangenen aufgehört. Todtenstille herrschte und die matt brennenden Laternen warfen ein unheimliches Licht auf den schmalen, düsteren Gang, aber unaufhaltsam und so rasch es der schlüpfrige Boden erlaubte, drangen sie vor, als sie sich plötzlich an einem Loch sahen, in das weder Leiter noch Treppe hinabführte und dessen Tiefe sie auch in der Dunkelheit nicht erkennen konnten. Die Leute wußten sich aber zu helfen, denn daß sie auf dem richtigen Pfad seien, bewiesen die dem weichen Boden hier eingedrückten vielen Fußspuren. Einer der Polizeidiener knüpfte rasch ein mitgenommenes Seil an die Laterne und ließ sie in das Loch hinab, wonach sich dann bald herausstellte, daß es kaum zehn Fuß tief sei und unten weichen Boden habe. Wahrscheinlich hatte hier eine Leiter gelehnt, die bei dem ersten Alarm von den unten Befindlichen weggezogen worden, um den Verfolgern den Weg abzuschneiden.

Da hörten sie draußen die Schüsse.

„Ob ich’s mir nicht gedacht habe,“ brummte der Assessor. „Vorwärts, Leute, wir müssen hinunter. Wer springt dort zuerst hinab?“

Einer der jüngsten Polizeidiener ließ sich nicht lange bitten, denn auch sein Geschäft war Jagd und was thut ein Jäger nicht, um dem verfolgten Wilde beizukommen? Er hob sich die Laterne ein wenig aus dem Weg und war mit Einem Satz unten.

„Geh’ ein kleines Stück vor, ob Du keine Leiter findest.“

„Hier liegt sie schon!“ rief der Mann, der mit der aufgenommenen Laterne nach vorn geleuchtet hatte.

„Her damit! Bravo, mein Bursch, das war gut gemacht, und nun hinunter mit Euch, Ihr Leute!“

Rasch ging es immer nicht, denn es war nachtdunkel dort unten, aber sie schienen hier auch den tiefsten Platz des Gewölbes erreicht zu haben. Ein schmaler Gang bog links ab und wenige Schritte weiter fanden sie sich in dem Gewölbe, das Paul Jochus vor noch nicht langer Zeit verlassen hatte und wo seine beiden Helfershelfer zurückgeblieben waren. Von diesen ließ sich jedoch nirgend mehr eine Spur erkennen.

Die halb zugeworfene Grube fanden sie, mit dem Werkzeug noch daneben, doch kein menschliches Wesen, und erst als Assessor Schüler selber die Laterne nahm und an den Wänden rings herumleuchtete, entdeckte er eine kleine Oeffnung, durch welche eben gebückt ein Mann kriechen konnte. Dort waren sie jedenfalls hinaus; ohne weiteres Zögern folgte er nach.

Die rings um den Hügel postirten Soldaten hatten indessen ihre Plätze mit dem Gefühl eines Jägers behauptet, der mitten im Wald angestellt ist, ohne zu wissen, von welcher Seite das Treiben kommt. Sie drehten, das Gewehr in Anschlag, den Kopf bald nach der, bald nach jener Seite und fuhren fast erschreckt zusammen, wenn ein Eichhörnchen von Zweig zu Zweig sprang oder eine Maus im Laub raschelte, ja begriffen zuletzt nicht recht, was sie hier draußen eigentlich sollten, denn befanden sich die Verbrecher wirklich in der Ruine und wußten sie einen geheimen Weg zur Flucht, so würden sie doch nie in dieses Dickicht hineingekrochen sein. Allerdings kam es ihnen so vor, als ob sie irgendwo ein dumpfes Klopfen hörten, aber woher das tönte, ließ sich nicht bestimmen, und es konnte ebensogut von irgend einem Holzfäller herrühren, der weit im Walde drin an einem Baum hackte. Bald schwieg auch das und Todtenstille lag im Wald.

Der eine Soldat, ein Jägerbursch aus dem Spessart, stand etwa zehn Schritt über einer schmalen Felsplatte, wo er eine kleine, mit Heidelbeerbüschen überwachsene Lichtung unter sich hatte. Da, horch! was war das? Ein Fuchs, der vielleicht hier seinen Bau hatte und den schönen Morgen zu einem Spaziergange benutzen wollte? Unbewußt fast machte er sich schußfertig. Da wurde Moos bei Seite geworfen, das konnte ja doch kein Fuchs sein. Das Herz schlug ihm wie ein Schmiedehammer in der Brust. Jetzt arbeitete sich eine dunkle Gestalt unter dem Felsen vor – das war ein Mensch und mit zwei Sätzen stand der Jäger unten auf der Platte.

„Halt oder ich schieße!“ schrie er und suchte sich festzustellen, allein der Flüchtige hielt nicht. Im Nu hatte er den freien Boden erreicht und wie ein flüchtiger Hirsch setzte er mitten in das Dickicht hinein. Er war aber an den richtigen Mann gekommen, denn der gelernte Jäger brauchte nicht lange, um wieder einen festen Stand zu bekommen, und ehe der Fliehende das schützende Dickicht erreichen konnte, fiel sein Schuß, bei dem der Getroffene in den Busch hineinschlug. Fast zugleich feuerte auch der ihm nächststehende Soldat, durch den Ruf aufmerksam, nach der Gestalt, die er ebenfalls durch die Büsche erkennen konnte, und von allen Seiten flogen die dort postirten Soldaten jetzt herbei, um Theil an der Verfolgung zu nehmen. Sie hatten aber leichte Arbeit, denn während zwei hinuntersprangen, um den Verwundeten aufzunehmen, bewegte sich das überhängende Moos und Gestrüpp noch einmal und ein bleiches, zitterndes Menschenbild kam daraus vorgekrochen, das nicht mehr den geringsten Widerstand leistete.

Es war Franz. Hinter sich die Verfolger, der Vater gefangen, der Freund erschossen, der Platz von Soldaten umstellt, auf den sie ihre letzte Hoffnung gesetzt, was hätte da noch ein verzweifelter Fluchtversuch genützt? Er war verloren und ergab sich, vollständig gebrochen, in sein Schicksal.


Der Verlauf des Processes nahm das allgemeine Interesse des Publicums in Anspruch, die Beweise waren jedoch zu klar, als daß auch nur einer der Gefangenen hätte wagen dürfen, zu leugnen. Nicht allein der ganze Vorrath gefälschter Noten war aufgefunden worden, sondern auch die Presse, die zu der Arbeit gedient. Das Urtheil für Paul Jochus und seinen Sohn lautete auf acht Jahre Zuchthaus.

Anders war es mit Brendel, der einen Kugelschuß in den Schenkel bekommen hatte und wochenlang lag, ehe er transportirt werden konnte. Man erkannte in ihm während der Untersuchung einen schwereren, lang verfolgten Verbrecher, der einst in der unmittelbaren Nähe von Berlin einen frechen Raubmord verübt, und auf Requisition des dortigen Gerichts wurde er dahin abgeliefert.

Einer der Inhaftirten aber entzog sich der Strafe. Am fünften Tag der Untersuchung fand man Paul Jochus in seinem Gefängniß erhängt. Er hatte sich mit seinem Taschentuch an dem eisernen Gitter seines etwas hochgelegenen Fensters erdrosselt.

Das Weinhaus zum Burgverließ war mittlerweile von den Gerichten in Beschlag genommen worden und Rosel zu ihrem Pathen, dem alten Registrator, gezogen.

Dorthin kam Bruno von der Haide, um sie aufzusuchen. Das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_822.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)