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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

hatte zu Montefiascone verkündigt, daß die Gläubigen diesmal die Füße des heiligen Vaters nicht küssen würden. Diese Verheißung war sehr kühn! Doch ging sie in Erfüllung, da der Papst schon bei lebendigem Leibe zu verfaulen schien.“

Auf die Beschreibung der Krankheit des Papstes übergehend, spricht Proyart wie folgt:

„Gewissensbisse verfolgten ihn seit der Unterdrückung des Ordens Jesu und ließen ihn nicht mehr los. Gegen sein sonstiges Naturell von einer finstern Melancholie erfüllt, trat er aus dieser nur heraus, um sich Ausbrüchen der Wuth zu überlassen. Er beleidigt, zankt, droht, steigt dann wieder zu Entschuldigungen und einer unziemlichen Familiarität herab. Er verbringt die Tage in Unruhe, die Nächte schlaflos. Er wacht plötzlich auf, ruft die Wachen und läßt sechs Wochen lang Niemand vor. Sein Kopf ist offenbar wirr (weil er die Jesuiten beschuldigt?), er glaubt sich verfolgt von den frömmsten der Menschen! Dieser Geist der Unruhe, dieser verfolgende Dämon, der erste Richter strafbarer Herzen, macht ihn blind und verläßt ihn selbst im Tode nicht.“

So Proyart, mit echt jesuitischer oder vielmehr teuflischer Kniffigkeit. Die hülflose Verzweiflung des gemarterten Opfers, welches fühlt, wie es wiederholter Giftdarreichung unterliegt, das unbestimmte Mißtrauen, der sichere Verdacht des Unglücklichen, dann wieder die Reue des edlen Herzens, das vermeint, Dem oder Jenem Unrecht gethan zu haben – das Alles wird gegen das Opfer selbst gewendet. Und die Reue, die der Henker empfinden sollte, wird dem Opfer zugeschoben!

Es wäre seltsam zugegangen, wenn die Hände, welche Clemens dem Vierzehnten Speise und Trunk mischten, nicht auch dafür gesorgt hätten, daß sich nach seinem Hingang ein Papier finde, in welchem Ganganelli seine Reue über die Maßregel der Aufhebung kundgethan. Dies war auch wirklich der Fall. Es zeigte sich, daß der Todte, der jetzt freilich nichts mehr desavouiren konnte, in den Händen seines Beichtvaters einen bestimmten und motivirten Widerruf des Breves vom 16. August 1773 niedergelegt, in welchem er erklärte, daß er das Breve nur gezwungen erlassen.[1] Es ist wirklich merkwürdig, wie oft sich schon im Laufe der Zeiten Documente, besonders Testamente und Schenkungsbriefe fanden, welche dem Orden der frommen Väter zu statten kamen. In solchen Dingen hatten sie von jeher ein ganz besonderes Glück gehabt.…

Das ist die Geschichte vom Ende Clemens’ des Vierzehnten. Bei der Mangelhaftigkeit der vorhandenen Krankheitsberichte und der Unvollständigkeit des Sectionsbefundes ist aus ihr ein juridischer Beweis des Giftmordes nicht zu liefern. Der stärkste Grund des Verdachts wird aber stets in der Ueberzeugung Ganganelli’s selbst und seiner Umgebung zu finden sein. Wer, muß man fragen, hatte die Prophezeiungen in Scene gesetzt? Wer konnte sich einen Nutzen von seinem Tode versprechen als die, welche von seinem Nachfolger die Aufhebung des Breves hoffen konnten? Wenn man früher meinte: Ereignisse treten ein, weil sie prophezeit wurden, so sagt man jetzt: Ereignisse wurden prophezeit, weil sie eintreffen sollten und es für gerathen galt, die Gemüther darauf vorzubereiten. An ein göttliches Strafgericht, welches so schnell bei der Hand ist, wenn man einer Gesellschaft nahe tritt, welche in religiösen Gewändern politische Zwecke verfolgt, glaubt jetzt Niemand, und so wird man denn wohl die Ueberzeugung gelten lassen müssen, daß Clemens des Vierzehnten Ende ein gewaltsames war und von den Vätern der Gesellschaft Jesu, die eine so unheilvolle Rolle in der Geschichte gespielt haben, oder ihren Helfershelfern herbeigeführt wurde.




Vom alten Pfuel.
Charakterzüge aus dem Leben eines Veteranen. Nacherzählt von Franz Wallner.


      „Sie haben
Einen braven Mann begraben,
Und mir war er mehr.“



Es sind jetzt ungefähr zehn Jahre her, da ließ sich in meiner Wohnung eines Tages der „General von Pfuel“ anmelden. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß mir dieser hochverdienstvolle Name des ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten und Kriegsministers noch ganz fremd an’s Ohr schlug, obgleich ich hätte wissen müssen, welche Bedeutung Ernst von Pfuel für Preußen besaß. Mein Lebelang hatte ich mich mehr um die Helden der Bühne, als um die der europäischen Kriegsschauplätze und Cabinete bekümmert, daher wußte ich nicht, daß der mir gemeldete Besucher bei der Schlacht von Belle-Aliance Oberst in Blücher’s Hauptquartier gewesen und nach dem zweiten Einzuge der Verbündeten in Paris Commandant der französischen Hauptstadt war, um nachmals Gouverneur von Neuchâtel und später von Berlin zu werden. Ja, ich wußte sogar nicht, wie volksthümlich den alten Pfuel die Errichtung seiner Schwimmschule gemacht hatte und welche wichtige Rolle ihm im Jahre 1848 zugefallen war, wo er als Kriegsminister und Ministerpräsident das Ruder des preußischen Staates in die Hand nahm, bis er den Verhältnissen und dem Ministerium Brandenburg-Manteuffel weichen mußte und sich nun in die Stille des Privatlebens zurückzog.

Es war damals eine peinliche Zeit für mich. Ich war dem Verpächter der Concession, auf welche hin ich in Berlin Vorstellungen gab, in dem vorher ganz werthlosen, vollständig bankerotten Geschäft zu sehr gewachsen; er hatte damals schon die Absicht, das jetzige Victoriatheater zu bauen; eine Concurrenz, selbst in dem winzigen, aber von der Gunst der Berliner getragenen Hause, das ich bereits gekauft hatte und in welchem ich waltete, wäre ihm sehr unbequem gewesen, und so wollte er mit mir keinen neuen Contract in Bezug auf das Concessionsrecht abschließen, obgleich ihm derselbe die ganz annehmbare Summe von ungefähr dreitausend Thalern pro Jahr einbrachte. Eine neue selbstständige Concession zu geben, weigerte sich der Oberpräsident der Provinz Brandenburg, der in Potsdam residirte, die Theater nie besuchte und dem die Bühnenverhältnisse Berlins vollständig unbekannt geblieben. Man wollte dem künftigen Erbauer eines neuen, Berlin zur Zierde gereichenden Theatergebäudes nicht wehe thun, lieber sollte ich mit Sack und Pack Berlin verlassen. Darauf war ich denn auch vollständig gefaßt, obgleich mein Vermögen in dem Hause steckte, welches ohne Concession für mich ganz werthlos geworden wäre. Man wird also begreifen, daß meine Situation damals nicht zu den beneidenswerthesten gehörte; die Früchte jahrelanger, rastloser Bemühung sollten im Winde zerstieben, weil mir eine Unterschrift fehlte, die mir die Erlaubniß gab, meine Saat reifen zu lassen und meine Ernte einzuheimsen!

Ich bin diesmal genöthigt von mir selbst zu sprechen und muß das oben Erwähnte als Einleitung meiner Bekanntschaft mit dem „alten Pfuel“ vorausschicken, denn ich war damals nicht wenig erstaunt, als mir der Diener meldete: „Se. Excellenz General von Pfuel wünsche mich in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen.“

Der Mann hatte nichts Kriegerisches in seiner äußeren Erscheinung; auf einem schmächtigen Körper saß einer jener Charakterköpfe, die in ihrer Aehnlichkeit mit Rauch, Oehlenschläger, Thorwaldsen uns sofort für sie einnehmen und gewinnen. Ein Wald von langem, blüthenweißem Haar umrahmte das schmale, intelligente Gesicht. Gutmüthige, geistreiche Augen blickten uns freundlich entgegen, diese Augen pflegte aber Pfuel, ob aus Schwäche oder Gewohnheit, im Gespräche meistens halb zu schließen, und nur, wenn die Debatte lebhaft wurde, schossen dieselben lebhaftes Wetterleuchten in die Umgebung. Er trug ein einfaches schwarzes Kleid, von allen Orden und Auszeichnungen nur das eiserne Kreuz. So fand ich ihn am ersten Tag unserer Bekanntschaft, bis wenige Tage vor seinem Tode, unverändert, liebenswürdig, ein treuer Freund meines Hauses, eine durch und durch noble Natur, offen, stets mit Rath und That bei der Hand, im Umgang mehr als bescheiden, anregend und belehrend.

  1. Der angebliche Widerruf datirt vom 29. Juni, dem Feste St. Peter’s 1774, lateinisch abgefaßt, findet sich in Wolf’s Geschichte der Jesuiten. Zürich 1791. 3. Theil. S. 296.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_011.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)