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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Schleier. Seine Briefe an die treue Schwester waren anfangs voll trunkener Freude, die Künstlerseele schwelgte in dem Reichthum der Schätze, die ihm alle gewissermaßen gehörten; dazwischen freilich kamen oft Ausbrüche von jener Schwermuth, die das wahre Talent so oft beschleicht, wenn es sich den unvergänglichen Meisterwerken des Genius gegenüber sieht. Später schlich sich ein fremder Farbenton in diese Blätter, ein flammendes Roth, ein glühendes Licht, es stieg wie betäubender Orangenblüthenduft auf aus den seltsam räthselhaften, abgerissenen Zeilen, der das zärtliche Schwesterherz beängstigte. „Frage nicht,“ schrieb er einmal, „warte geduldig, bis ich komme um Dir zu erzählen und Dich mitzunehmen nach Rom. Hier nur ist der Himmel blau, hier nur blühen die Rosen, weiße und rothe, aber die rothen sind doch die schönsten!“

Was bedeuteten diese Worte? War ihm ein Götterglück geworden, von dem zu reden den Tod brachte? Hatte die Venus von Milo warme Menschengestalt angenommen, um ihn in ihre Arme zu ziehen? Wer weiß es?!

Es flogen nun lange, lange keine Briefblätter nach Deutschland mehr, aber der deutsche Maler selbst trat an einem Winterabend in das stille Stübchen der Schwester. Sie schrie auf, als sie ihn sah, und warf sich an seine Brust. Wie verändert er erschien, wie bleich und abgezehrt und doch wie hastig und unruhig in allen seinen Bewegungen! Die Augen glühten wie im Fieber und die Wangen waren eingefallen. Die Freude der Schwester, die bei seinem unerwarteten Erscheinen so hell ausgeflammt, sank rasch zusammen. Sie sah, der Bruder war krank, sehr krank.

„Ich muß rasch an die Arbeit, um Geld zu verdienen für Dich und mich,“ sagte er, „denn ich will im Herbst zurück nach Rom. Nur den ersten Cursus will ich abhalten, dann gehe ich fort. Aber frage mich nicht, frage erst, wenn wir Beide zusammen auf dem Wege sind.“

Und die treue Schwester fragte nicht, ob ihr auch schier das Herz brach vor Weh, wohl aber umsorgte sie ihn mit unermüdlicher Geduld und Liebe. Von seinen Arbeiten hatte er nichts mitgebracht, als ein Skizzenbuch voll loser Blätter, die andern waren verweht und zerstreut, wohin, sagte er nicht. Ueberall aber hatte er Rosen hingezeichnet, jedes Eckchen war verziert mit Knospen und Blumen oder verschlungenen Guirlanden. Keine anderen Blüthen – nur Rosen, nichts als Rosen mit ihren Blättern und Dornen. Der Arzt schüttelte den Kopf über ihn, die Herren Professoren der Akademie flüsterten miteinander über sein seltsames Wesen, aber als er sich zur Stelle eines Unterlehrers meldete, wagten sie nicht, ihr Versprechen zurückzunehmen; es stand etwas so Drohendes, Furchtbares in den einst so wunderschönen, schwärmerischen Augen. „Schnell! schnell!“ murmelte er oft, mit sich selber redend, sich selber antreibend, und dabei saß er doch müßig da, die blassen Hände lässig ineinander gefügt, den starren Blick in die Ferne gerichtet. „Glaubst Du wohl, daß wir genug Geld haben zur Reise?“ fragte er zuweilen unruhig.

Unter den Schülern wurde er lebendiger. Sie staunten ihn an, fürchteten sich aber nicht vor ihm, er war mild und geduldig mit ihnen. Nur daß er zuweilen ruhig sagte: „Raphael selbst hat mich’s so gelehrt, also müssen Sie es auch so machen,“ oder: „diese Verkürzung hat Giulio Romano mir gezeigt,“ oder: „Michel Angelo würde diese Linie mir nicht erlaubt haben, also kann ich sie Ihnen auch nicht erlauben.“

Zuweilen erzählte er ihnen, völlig klar, doch mit dem Ausdruck höchster Begeisterung, von Rom, von den Wundern des Colosseums, von dem Vatican, von dem Palast Farnese und der Farnesina des Chigi mit den Raphaelischen Fresken zu der Geschichte des Amor und der Psyche, von dem Garten der Villa Belrespiro und der Wiese der Anemonen, von feinen Feigen- und Orangenbäumen und dem Blick auf Rom und die sanften Linien des Sabinergebirges. Nur wenn er die Gluth der Farben schilderte, wie sie über den Bergen hing und vom Himmel strömte und auf der Erde zitterte, dann verwirrten sich seine Gedanken und Worte plötzlich, er fuhr mit der Hand über die Stirn – „es kann sie Keiner mehr festhalten,“ sagte er und brach ab.

Daheim aber hörte ihn die Schwester wieder und immer wieder murmeln: „Schnell! schnell!“ An einem Sommertage war es, als sie leise in sein Zimmer trat und ihm einen Strauß weißer Rosen brachte. Aber sein Gesicht wandelte sich in so erschreckender Weise bei diesem Anblick, daß das Herz der Schwester still stand vor Angst. Hastig griffen seine Hände nach dem Strauß, im ersten Augenblick war es, als wolle er die Blumen zerreißen und zertreten, dann aber preßten sich die feinen Lippen zusammen, die blasse Stirn neigte sich über die Blumen, in langen, tiefen Athemzügen sog er ihren Duft ein. Der Kampf löste sich, die Züge wurden mild, schwere Thränentropfen fielen auf die weißen Rosen.

„Woran denkst Du, Theurer?“

„An das Fest in der Kirche Maria Maggiore, das schönste Rosenfest der Erde.“

„Willst Du mir davon erzählen?“

„Ich will mich besinnen.“

Und halblaut, wie im Traum, mit der einen Hand den Strauß fest umschließend, die andere in die Schwesterhände versenkend, erzählte er, als ob er von einem Fremden redete:

„Es war auch an einem Sommertage, als der deutsche Maler wieder einmal, wie so oft, das Grab des Salvator Rosa besuchte in der Kirche des Michel Angelo bei den Thermen des Diocletian, die man Maria degli Angeli nennt. Dort sann er am liebsten nach über das Geheimniß der Farbe und wie der Meister es wohl angefangen, daß er sie mit seinem Pinsel so fest gehalten und warum es dem armen Deutschen nicht gelingen sollte. Und die Mönche des Karthäuserklosters neben der Kirche grüßten freundlich herüber, denn sie kannten den Fremden und hatten ihm erlaubt, ihren schönen Hof mit den dorischen Säulen und den Cypressen, die Michel Angelo’s Hand gepflanzt, zu zeichnen. An der Mauer des Klostergartens rankten weiße Rosen empor, und solch’ eine weiße Blume in der Hand und sein Skizzenbuch unter dem Arm, ging er an dem Tage des fünften August fort aus seinem Friedensversteck, mit dem Vorsatz, einmal eine Osteria zu besuchen und ein Glas feurigen Orvieto’s zu trinken. Als er aber an der Fontana de’ Termini vorüber kam, schnitten ihm die steinernen Fratzen des Prosper da Brescia allerlei seltsame Gesichter und streckten ihre Riesenarme aus, ihn festzuhalten. Er eilte jedoch nur um so schneller vorwärts, der lieblichen Kirche Maria Maggiore zu, deren Pforten eine Schaar Frauen und Männer eben belagerte. Immer mehr Menschen strömten herzu, und der junge Maler fragte endlich einen Mönch, der eben daher schritt, ob man dort ein Fest feiere. Die Antwort lautete: ‚Man begeht heut das Fest ad nives, – das Schneefest der Maria!‘ Aber Schnee im hohen Sommer, Schnee in Rom?! Der Deutsche vergaß seinen Orvieto und trat in die heiligen Hallen. Weihrauchduft wallte ihm entgegen, eine süße Dämmerung füllte die drei Schiffe, nur die Marmorsäulen schimmerten in blendender Weiße. Am Altar leuchteten aber zahllose Kerzen neben der Gestalt der Himmelskönigin und die reiche Decke des San Gallo mit den Arabesken des Giotto hing wie ein golddurchwirkter Schleier über ihm. Er trat an die herrliche Capelle der Sforza, die fast im Dunkeln lag, kaum unterschieden seine Augen die Umrisse einer Frauengestalt, die vor dem Seitenaltar kniete. Ein greiser Priester erzählte eben der andachtsvollen Menge die Entstehung der Kirche Maria Maggiore in schlichter Rede.

‚Ein reicher Patricier Rom’s, dessen einzige wunderschöne fromme Tochter von einer gefährlichen Krankheit erstanden war, auf besondere Fürbitte des Papstes Liberius, bat die Gebenedeite von ihm ein Opfer zu verlangen, zum Dank für die Errettung seines Kindes. Und ein ähnliches Gebet schickte zu derselben Stunde Liberius zum Himmel, er dankte unserer lieben Frau, daß sie seine Fürbitte angenommen und erhört, und flehte sie an, ihm ein Zeichen zu geben, welches Dankopfer ihr wohlgefällig. Beiden Betern aber erschien die Mutter Jesu in strahlendem Glanze im Traum und befahl ihnen eine Kirche zu errichten auf jener Stelle, wo sie am Morgen den ersten Schnee finden würden. Sie begegneten einander an einem großen Platze, woselbst der Wind in vergangener Nacht von dem Gemäuer rings umher die Blätter weißer Rosen in dichten Massen zusammengeweht, daß sie fußhoch den Boden bedeckten. Und die Kirche Maria Maggiore wurde genau dort errichtet durch die reichen Gaben eines dankbaren Vaters und eines frommen Papstes, und sie erstand in nie gesehener Pracht. An einem fünften Augustustage wurde sie eingeweiht und alljährlich fällt von der Decke herab auf die Menge der Gläubigen der Schnee aus der Hand unserer lieben Frau.‘

So redete der Priester, und als er verstummte, rieselten aus der Höhe der Kirche tausend und aber tausend weiße Rosenblätter auf die Schaar der Beter nieder. Alles war im Nu bedeckt von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_015.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)