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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

um manch’ ein Blatt durchsichtiger geworden; daß das noch vorhandene Grün sich um vieles dunkler geröthet hatte.

Der Morgen vor dem Erwachen war so still, wie der Abend vor dem Einschlafen gewesen; drum ward auch das leise Knarren wohl hörbar, mit welchem die Hausthür langsam und vorsichtig in den Angeln gedreht wurde. Beinahe gleichzeitig war im obern Stockwerk an einem Fenster eine Hand zu sehen, welche geräuschlos den daran befindlichen Schieber in die Höhe drückte.

Auf der Schwelle stand Sylvester, schon im vollen Sonntagsstaat, und blickte wie unschlüssig in den kalten grauenden Morgen hinaus; hinter dem Fenster lauerte wie ein Füchslein aus dem Bau der alte Brunnhofer.

Die Blicke des Burschen kehrten immer wieder auf die Wand neben dem Thürgerüste zurück, denn dort prangte zierlich aufgehangen ein stattlicher Doppelstutzen, schön geschäftet und blank gehalten, daneben Waidtasche, Pulverhorn und Kugelbeutel, wie es sich für einen richtigen Jagdschützen schickt. Der Förster, der in dem Burschen einen waidgerechten Genossen sah, hatte nichts dagegen, daß im Bauernhause die Abzeichen der Jägerei prunkten, und ließ ihn gewähren, wenn er auf Bürsch oder Anstand gehen wollte, ganz nach eigenem Belieben. Schon hob er den Arm nach der lockenden Waffe. „Warum sollt’ ich nit?“ murrte er halblaut. „Es ist ja nichts Unrechtes … und heut’, bei dem prächtigen Reif, da muß die Fährt’ zu sehen sein, daß einem das Herz im Leib’ lacht! Weil’s der Vetter verboten hat? … Das ist seine Schuld, nit die meine: warum verbiet’t er was, das er nit verbieten soll? Ich bin ja kein Kind mehr …“ Dabei hatte er mit rascher Bewegung das Gewehr von der Wand gerissen, hielt es schußgerecht an die Hüfte und ließ mit sichtlichem Behagen den Hahn auf und nieder klappen … „Wahr ist es, ein Kind bin ich nimmer,“ fuhr er in seinem innern Selbstgespräch fort, „aber er ist d’rum doch der Vetter und wenn er’s halt justament haben will, könnt’ ich ihm ja einmal den Gefallen thun … Ja, wenn er’s nur nit so positiv verlangen thät … wenn er mir’s unter vier Augen g’sagt hätt’, in der Still’, nit vor der Bas’ und vor dem Muckl, der’s gewiß noch gestern im Wirthshaus drüben erzählt hat … Ich wollt’ ihm ja gern zeigen, daß ich ’was auf sein Reden geb’, aber er sollt’ nur nit gerade das verlangen, was mir das Allerliebste ist und von was ich einmal nit lassen kann. … Aber wie?“ sagte er plötzlich ernst und ließ die Büchse sinken. „Hat er mich nit ein’ Loder geheißen, der erst ein richtiger Mensch werden müßt’? Er soll nit Recht behalten, ein richtiger Mensch kann Alles, was er will … und jetzt will ich ihm einmal zeigen, daß ich ein richtiger Bursch bin und nit erst zu werden brauch’! Da häng’, mein’ liebe Kugelbüchs, hast Feierabend auf eine Weil’! Jetzt wird nimmer auf d’ Jagd ’gangen, sechs Wochen lang, aber nit weil’s der Vetter befohlen hat, sondern weil ich selber nit will, weil mich das Jagdgehn nimmer g’freut und das Schießen; damit muß er wohl zufrieden sein, so geh’s wenigstens in dem Einen Stuck nach sein’ Kopf, denn das andere … das mit dem Heirathen, das ist doch nur Narrethei!“

Während dieser Worte war der Stutzen wieder an seinen Platz zurückgekehrt; Sylvester machte, als wolle er verhüten, daß der Entschluß ihn nicht wieder gereue, einen raschen Schritt über die Schwelle und die Thür flog hinter ihm in’s Schloß.

Der Alte oben am Guckloch duckte sich und lachte zufrieden in sich hinein, während er noch einmal sein Bett aufsuchte. „Er geht ohne Gewehr,“ brummte er, „na, so ist Hopfen und Malz doch noch nicht ganz verloren an ihm!“

Der Bursche schritt indessen rüstig die Berghalde hinan, quer durch das bereifte Gras; das war nicht der Weg, der zum Dorfe und zur Kirche führte, wo heute das Erntefest stattfinden sollte und die verhängnißvolle Wahl, aber dazu war es auch noch viel zu früh und wenn er auch entschlossen war, nicht zu jagen, unwillkürlich und fast unbewußt zog ihn doch die alte Lust, die liebe Gewohnheit in’s Freie, dem Walde zu, von dem ein leichtes Morgenlüftchen den Harzduft herübertrug wie Lockung und Gruß. Die Nacht war ihm unruhig und fast schlafslos vergangen: die Ereignisse des Abends erfüllten sein Gemüth und noch mehr das, was kommen, die Frucht, die aufkeimen sollte aus der rasch in den Augenblick geworfenen Saat. Und wenn er die wachenden Gedanken und Bilder von sich gescheucht, dann kam es in Träumen mit gesteigerter Unruhe mit allerlei beängstigenden Gestalten über ihn: bald kamen die Hasen und Füchse an sein Bett, machten Männchen und Kreuzsprünge und neckten ihn, daß sie nun Ruhe haben sollten vor ihm; bei näherem Herankommen aber hatten die Thiere Menschengesichter und verwandelten sich in die Köpfe der Jäger und der Bauernburschen, die lachend und höhnisch vor ihm einen lustigen Tanz aufführten. Dann schien es ihm wieder, als sei er mitten unter den Tanzenden und höre die Clarinette seines Cameraden, der einen Ländler blies, wie man noch keinen gehört hatte in den Bergen, er flog, sprang und drehte sich und hatte eine Tänzerin in den Armen, die sich schwang wie eine leichte Feder, aber das Gesicht konnte er nicht sehen; das war abgewandt und wie er sich auch mühte, es war und blieb undeutlich … allmählich aber ward die Gestalt immer körperhafter und hing sich immer schwerer an ihn wie eine bleierne Last … und jetzt – jetzt konnte er auf einmal auch das Gesicht sehen … große eulenhafte Augen guckten auf ihn herab, eine spitze Nase, die einem Schnabel glich, senkte sich immer tiefer, und wie der Spuk näher und näher kam, da schleuderte ihn das Entsetzen aus den Armen des Schlafes auf, mit Einem Satze war er aus dem Bette und hastete sich, aus Stube und Haus und mit beiden aus dem Wirrsal unfreundlicher Gedanken zu entkommen.

Aber wie er auch eilte, die Gedanken gingen mit ihm, die Bilder gaukelten nebenher in den Büschen und Zweigen, waren sie auch mit dem Tage und der Helle des Tages andere geworden. Kaum hatte er den Wald selber betreten, als es in den Gesträuchen zu rauschen und zu knicken begann: er erkannte den Ton, ein Reh mußte in voller Flucht herankommen und quer über die Blöße setzen. Lautlos stand er und regungslos – da brach das schöne geschmeidige Thier aus dem krachenden Geäst und machte noch ein paar Sprünge, dann hielt es an, wandte den schlanken Hals gegen den Lauschenden hin, den es mit klugen Augen wie prüfend betrachtete, und trippelte dann ruhig weiter. „Hätt’ ich meinen Stutzen bei mir,“ grollte Sylvester, „Du solltest es wohl eiliger haben und bald ruhig liegen! Ist es nicht gerade, als ob’ das Gethier Menschenverstand hätte und hätte gewußt, daß ich kein Gewehr habe und ihm nichts thun kann? Ich mein’, es hat mich ordentlich spöttisch angeschaut!“

Als wär’ es eine Zustimmung, ertönte helles Gelächter in das Selbstgespräch des Burschen: es kam aus der Luft, eine Moosgeis, auch Moosgrille geheißen, strich in der Höhe vorüber und ließ ihr meckerndes Geschrei ertönen, das sich deutlich anhört, wie stoßweises spöttisches Lachen.

(Fortsetzung folgt.)




Neue Charakterbilder aus der Thierwelt.
Von Brehm.
1. Gemalte Hunde.


Man sagt, daß es in jeder Familie wenigstens ein durch seine Begabung ausgezeichnetes Mitglied giebt. Auf menschliche Familien bezogen, mag dieser Satz bestritten werden können; für die Thierfamilien hat er Gültigkeit.

Jedermann kennt eine Hyäne, meint sie zum Mindesten zu kennen; Jedermann weiß, daß sie nicht gerade zu den anmuthigen Geschöpfen gehört. Ich schweige von den abscheulichen Verleumdungen, welche die Herren Thierschaubudenbesitzer zu Nutz und Frommen glaubensstarker Zuschauer ihnen noch immer anthun, ebenso auch von dem schlechten Rufe, in welchem sie bei den Arabern stehen; denn ich gedenke eben daran, wie gemüthlich die beiden Hyänen waren, welche ich während meines Aufenthaltes in Afrika besaß und so weit gezähmt hatte, daß sie mit mir Thee tranken, mindestens neben dem Theetische saßen und auf Zucker warteten; – aber auch ich muß zugestehen, daß es sehr viele Raubthiere giebt, welche schöner, anmuthiger und liebenswürdiger sind als die Hyänen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_020.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)