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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Streckfuß, der Uebersetzer des Tasso und des Ariost, saß plaudernd und debattirend mit Gruppe zusammen, während August Kopisch seine Worte neckend dazwischen warf, als liebe er es auch hier seine Wichtelmännchen und seinen Hausgeist: „Hätchen!“ walten zu lassen.

Gubitz lehnt unwohl am Tisch; seine Worte, die er an Ludwig Rellstab richtet, kommen etwas gezwungen heraus. Vielleicht gedenkt er der Zeit, wo in den ersten Tagen des Vereins Fleck, sein Schwiegervater, in diesem Hause sprach und las.

Rauch sitzt zurückgelehnt im Stuhl. Er freut sich sichtbar der Ankunft Tieck’s und hofft, schöne Abende an seiner Seite und in seiner Gesellschaft zu verleben. Viele Andere, mehr oder minder Berühmte, sind noch zugegen. Auch jüngere Genossen fehlen nicht. E. Ferrand, der jugendliche Sänger der Liebe, steht bescheiden im Hintergrund. Sein Auge ruht voll Verehrung und Liebe auf dem Angesichte Eichendorff’s. An seinen Freund Hermann Kletke sich wendend, schildert er in beredten Worten, mit volltönendem Organ jenen Vorlese-Abend, den er im Hause Tieck’s zu Dresden erlebt.

Wer ahnte und glaubte, daß auch dieser Sänger bereits im nächsten Jahre in das Grab steigen würde! Die Hoffnungen, welche die Ankunft Tieck’s erweckt hatte, gingen dem größten Theile nach nicht in Erfüllung. Wohl erfreute er von Zeit zu Zeit noch einzelne seiner Freunde und Bekannten durch eine Vorlesung, aber seine Blüthezeit war dennoch vorüber und die ihm seit langer Zeit innewohnende Krankheit beugte Geist und Körper nieder.

Auch Rückert fühlte in Berlin sich niemals wohl, wie ja der bei der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm des Vierten erhoffte Frühling sich als das letzte gelb und roth gefärbte Blatt eines Herbstes kund gab. Es war das letzte Aufglimmen der Leuchte der Romantiker.

Die neue Zeit mit ihren gährenden und brausenden Ideen, Hoffnungen und Wünschen löschte auch diese Flamme aus und streute das Blatt in den Wind. Die Harmlosigkeit der Vereine war vorüber; die Sonne einer anderen Zeit begann ihre Morgenröthe leuchten zu lassen.

Ist sie eine bessere als die damalige?




Blätter und Blüthen.


Rossini zu Hause. Das Winterquartier des berühmten Musikers in Paris in der ersten Etage des Hauses, welches die Ecke zwischen der Chaussee d’Antin und dem Boulevard bildet, ist mit der elegantesten Einfachheit und dem gemüthlichsten Comfort möblirt. Der große Salon enthält zwei lebensgroße Portraits des Meisters; auf dem Tische des kleinen blauen Salons liegen die Werke, welche der Maler Gustav Doré, ein vertrauter Freund des Hauses, illustrirt hat, und im Speisesaal erblickt man verschiedene prächtige Büffets mit hohen Glasschränken aus Palissanderholz, die das reiche Silbergeschirr enthalten.

Jeden Sonnabend ist großer Empfangsabend, wo sich eine zahlreiche, gewählte Gesellschaft bei dem berühmten Manne versammelt; der Salon ist dann ausschließlich für die Damen vorbehalten, während der Speisesaal von besternten und ordengeschmückten Männern wimmelt. Mitten unter all’ diesen schwarzen Fracks und weißen Cravatten bemerkt man einen kleinen Greis in einer groben, bunten Weste, einem Paar alter Beinkleider und einem abgeschabten Ueberzieher. Sieht man sich diese eigenthümliche Gestalt jedoch näher an, so vergißt man den schäbigen Anzug über der Schönheit dieser olympischen Stirn, dem spottsüchtigen Humor, welcher aus den geistvollen Augen blickt, der Festigkeit seiner Züge und dem feinen Lächeln, das um den immer noch hübschen Mund spielt – kurz, man erkennt, daß man vor Gioachimo Rossini steht.

Obwohl der liebenswürdige alte Herr durch musikalische Beschäftigungen und gesellige Pflichten vielfach in Anspruch genommen ist, bekümmert er sich dabei doch mit großem Eifer um den Haushalt und führt selbst Buch und Rechnung über Alles, was eingenommen oder ausgegeben wird. Selbst für seinen Weinkeller hat er ein kleines Contobuch, dessen Genauigkeit jeden Kellermeister in Verzweiflung setzen würde; jede Weinflasche ist darin verzeichnet und, falls sie angerissen und wieder zurückgestellt ist, erhält sie ein kleines rothes Kreuz. Der Meister giebt splendide Diners, aber er weiß ganz auf’s Haar, wie viel Wein bei dieser Gelegenheit darauf gegangen ist. Im Monat December macht er stets seinen Jahresrechnungsabschluß, indem er schwere Seufzer über die vielen Ausgaben ausstößt und bei jeder Addition stöhnt: „Gott, wie glücklich sind doch die Armen, daß sie nicht viel Geld auszugeben brauchen!“

Ueberhaupt hat Rossini seine Lieblingsredensarten, die er sehr häufig wiederholt. Macht man ihm irgend ein Compliment über dies oder jenes seiner Werke, das uns entzückt hat, so erwidert er gewiß: „Sie sind doch sehr gütig, sich für die Sünden eines alten Mannes zu interessiren, denn ich componire nicht mehr, ich habe Alles vergessen. Ich bin jetzt nur ein großer Pianist und Diemer, Lavignac, Delahaye sind eifersüchtig auf mich, überhaupt verschwören sich sämmtliche Pianisten gegen mich, weil ich eine andere Methode befolge, aber ich werde jetzt in’s Conservatorium eintreten, und dann mögen sie sich in Acht nehmen.“ (Wörtlich.)

Spricht man mit ihm darüber, wie es ihm in Frankreich gefällt, so entgegnet er: „Frankreich ist das Land der hübschen Frauen, der kleinen Pasteten und der guten Weine, kurz ein ganz charmantes Land, dem nur die Contre-Altstimmen fehlen, um ganz vollkommen zu sein.“

Täglich componirt er kleine Phantasiestücke für das Pianoforte, denen er oft höchst bizarre Titel giebt, wie z. B. „Die vier Bettler: Feigen, Trauben, Haselnüsse und Mandeln; die vier horsd’oeuvres: Butter, Radieschen, Anchovis und Pfeffergurken; das Alpdrücken; der tiefe Schlaf; Asthmatische Etude; Romantisches Haché; Eine Liebkosung für meine Frau; Ouf; Grüne Erbsen; die französische Unschuld; Chinesischer Chaml; der Folter-Walzer; der hinkende Walzer; der Anti-Tanz-Walzer; der Boudoir-Walzer; der Schlafstuben-Walzer; der Water-Closet-Walzer mit Variationen über das Ricinus-Oel“ etc. etc.




Handeln die Thiere nur aus Instinct oder mit Ueberlegung? Auf dem Strohdache einer Scheuer in W. bei Hannover befindet sich seit langer Zeit ein Storchnest, dessen Inwohner als alte Bekannte von Niemandem im Geringsten belästigt werden und sich jedes Jahr von Neuem mit Ruhe und Behaglichkeit ihren häuslichen und elterlichen Sorgen hingeben können. Vor etwa drei Jahren indeß sollte dieser stille Hausfrieden eine unerwartete und unangenehme Störung erleiden.

Zur Zeit, als die jungen Störche schon ziemlich herangewachsen waren, unterhielten sich dieselben eines Mittags während der Abwesenheit der beiden Alten damit, erfolglos nach einzelnen umherfliegenden Bienen zu schnappen. Zufällig flog bald darauf ein Bienenschwarm aus einem nahen Bienenstande dicht über dem Neste hin und die jungen Störche, welche die Bienen wohl als passendes Dessert zu einem Frosch- oder Mäusediner ansahen, verschlangen so viele davon, als sie in der Geschwindigkeit erhaschen konnten. Der übrige Schwarm, dadurch erzürnt, suchte sich an den Räubern zu rächen, flog eine Weile dicht um dieselben herum, konnte aber doch nichts gegen sie ausrichten, während die Störche sich immer mehr von der wohlschmeckenden Atzung eroberten. Es schien deshalb natürlich, als die Bienen sich endlich salvirten und in der Richtung nach ihrem Stande zu davoneilten.

Doch die Sache kam bald anders. Es dauerte nicht lange, so kam eine stärkere Anzahl von dem Bienenschauer heran; immer neue Schwärme folgten, welche demnach sämmtlich von dem vorhergegangenen Vorfalle Kenntniß haben mußten. Das ganze Bienengewimmel warf sich mit Erbitterung auf die jungen Störche, und obwohl diese die verzweifeltsten Anstrengungen zur Gegenwehr machten, so war doch ihr dünnes, zartes Gefieder in kurzer Zeit von den kleinen geflügelten Angreifern wie übersäet.

In diesem kritischen Momente kehrten die beiden alten Störche von ihrem Ausfluge zurück. Sie mußten die Noth ihrer Lieblinge wohl schon aus der Ferne bemerkt haben, denn mit verdoppelter Schnelligkeit und lautem Angstgeschrei eilten sie herzu; sofort suchten sie durch eine mörderische Vernichtung der Bienen, durch Beißen, Schlagen und auf jede sonst nur mögliche Weise die Jungen von ihren Quälern zu befreien; aber umsonst. Obgleich nach Beendigung des Kampfes die todten Bienen haufenweise im Neste und um dasselbe her lagen, so waren die jungen Störche doch nicht mehr zu retten gewesen und mußten eines elenden Todes sterben.

Uebrigens scheint dieser einmalige Act der Rache keine fortdauernde Feindschaft herbeigeführt zu haben; man hat nie gesehen, daß Störche und Bienen sich nachher noch gegenseitig belästigt hätten, und in den folgenden Sommern genoß die Storchenfamilie wieder eines ungestörten häuslichen Glückes.




Ein Bonmot Canrobert’s. In einem Salon des kaiserlichen Schlosses zu Compiègne saß kürzlich die Kaiserin Eugenie auf einem Divan neben der Thür zu einem kleinen Salon und hörte mit immer größerem Interesse einer sehr lebhaften Unterhaltung zwischen zwei Herren im Nebenzimmer zu, die sie Wort für Wort vernehmen konnte, da die Thürvorhänge halb geöffnet waren und die Herren sehr laut sprachen. Sie blickte hinein, um zu sehen, wer die Sprecher wären, und erkannte den einen derselben als Herrn Viollet-Leduc, während ihr der Andere ganz fremd erschien. Sie winkte den in der Nähe befindlichen Marschall Canrobert herbei und sandte ihn auf Kundschaft aus, um zu erfahren, wer der zweite Herr sei, dessen kluge Sprache ihr namentlich wohlgefiel.

Bald darauf kehrte Canrobert zurück und brachte den Bescheid: „Majestät, den Namen des Herrn weiß ich im Augenblick nicht, aber er ist ein Gelehrter, einer jener Leute, die Vieles wissen, was alle Welt nicht weiß, und nichts von Dem wissen, was aller Welt bekannt ist.“




Inhalt: Die Brautschau. Ein Bild aus den oberbairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Fortsetzung.) – Neue Charakterbilder aus der Thierwelt. Von Brehm. 1. Gemalte Hunde. Mit Illustration von H. Leutemann. – Rom am Rhein. I. – Die erste und einzige Liebe Abraham Lincoln’s. Von H. L. Bernays in Missouri. – Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege. Nr. 6. Die letzten Tage eines Tapfern. (Aus der Mappe eines Arztes.) Mit Illustration von Chr. Sell. – Zwei Leseabende in der Stadt der Intelligenz. Literarische Erinnerung von F. Brunold. – Blätter und Blüthen: Rossini zu Hause. – Handeln die Thiere nur aus Instinct oder mit Ueberlegung? – Ein Bonmot Canrobert’s.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_032.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)