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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

des vorigen Abends nicht um ein Viertelstündchen seiner gewohnten festen Nachtruhe gebracht; erst der Tag erinnerte ihn an das, was geschehen sollte, und ließ ihm das Ganze gleich wieder von der gewohnten spaßhaften Seite erscheinen. In Gedanken zogen alle Mädchen der Pfarre und Gemeinde an ihm vorüber, welche bestimmt sein konnten, das Ehrenamt als Prangerinnen auszuüben: er kannte sie alle; bei seinem herumziehenden Gewerbe kam er in alle Häuser und kannte die schwache Seite eines Jeden, wie allen Dorfklatsch, der dazwischen hin und wieder getragen wurde. Wenn ihm dann die Eine oder die Andere einfiel, die mit unter den Wahljungfrauen sein konnte, und wenn er dann dachte, daß der Zufall sie an den entscheidenden Ort stellen werde, so begann er wie ein Unsinniger mit sich selber zu reden und laut aufzulachen – es kümmerte ihn nicht, daß es dabei auf schlimme Verwicklung, auf heillose Verwirrung hinauslaufen konnte: der Spaß war sein Lebenselement und wo es den gab, da war er zufrieden und guter Dinge und fragte nicht, was der Spaß einen Andern kostete und wer die Kosten zu tragen hatte.

In dieser fröhlichen Gemüthsverfassung wanderte er eiligen Fußes das Sträßchen zum Pfarrdorfe dahin, das meist zwischen dichtem grünem Gebüsch und mancher mächtigen Esche oder Ulme hinzieht, die am Raine stehen bleiben als ein durch Jahrhunderte von Allen geschonter Schutz und Schmuck. Manchmal blieb er stehen, drehte sich mit geschwungenem Hute juchzend auf dem Absatz herum und focht mit Hand und Clarinette in der Luft, daß es den von fern heran Kommenden wohl befremdlich erscheinen mochte.

Die Nächste unter diesen – es waren allerlei Kirchgänger, die von den zerstreuten Einzelhöfen herniedereilten – war ein Mädchen, das, schon ein wenig der ersten jugendlichen Blüthezeit entwachsen, durch die Pracht und Kostbarkeit des Anzugs es verdecken zu wollen schien, daß diese Blüthe überhaupt eine nicht sehr reiche gewesen war. Die ganze Gestalt mochte der bildenden Natur etwas zu hager und dürftig gerathen sein, denn die von dem kurzen weißen Hemdärmel unverdeckten Arme waren ohne Rundung und im Gesicht streckte sich eine beträchtliche Nase, deren Schärfe nur von dem spitzen Kinn übertroffen wurde. Dafür trug sie um den Hals eine zwanzigfache Goldkette mit Gestein und Perlen besetzt, Fürtuch und Aermel waren mit kostbaren Spitzen eingefaßt und das überreiche Silbergeschnür mit all’ den daran baumelnden Schaustücken, Schnürstiften und Schatzthalern war sicher, nicht so leicht durch ein anderes verdunkelt zu werden. Beim ersten Anblick machte die Waben (Barbara), des reichen Landkrämers einzige Tochter und Erbin, einen fast sonderbaren und keinenfalls einen gewinnenden Eindruck; man mußte erst länger mit ihr gesprochen haben, um gewahr zu werden, daß aus dem auch von Sommersprossen nicht verschont gebliebenen schneidigen Angesicht ein paar gutherzige und doch etwas listige Augen blickten, deren Wasserblau sogar recht anmuthig zu erglänzen vermochte.

Die Kramer-Waben war von der gewöhnlichen Schwäche alternder Mädchen nicht frei geblieben, welche aus Besorgniß, nicht unter die Haube zu kommen, anstatt sich finden zu lassen, anfangen, selbst auf das Suchen auszugehen. Sie fehlte bei keinem Feste und war überall eine der Aufgewecktesten und wenn sie auch nichts that, was geradezu Tadel verdiente, so verschmähte sie doch nicht, die Angel auszuwerfen und mit allerlei reizendem Köder zu versehen. Da war es denn gekommen, daß Mancher sich von der blanken Lockspeise des Reichthums verführen ließ, aber, eh’ er noch vollständig angebissen, darin das verborgene Häkchen erspürte und hurtig sich wieder los zu machen trachtete. Auch der Musikant war einmal solch’ ein dickes Fischlein gewesen; die Fischerin hatte sogar besonderes Wohlgefallen an ihm gefunden wegen seiner Lustigkeit, die ihn überall zum gern gesehenen Gesellschafter machte. Auch er hatte eine Anwandlung gehabt, in welcher es ihm bequemer erschien und einträglicher, den Bauern, statt ihnen bei Hochzeit und Kirchweihe für einige Gulden zum Tanze aufzuspielen, ihre schweren Kronthaler abzunehmen für leichtes Tuch und noch leichteren Seidenkram; als er sich aber diese Lebensweise näher besah, war ihm die Lust vergangen, er zappelte und riß so lange, bis er frei war, und hatte die Rückkehr in das freie Element, in dem er nun erst doppelt wohlig hin und wider schoß, statt mit einem wunden Kiefer mit einem schmerzlichen Rückzuge erkauft, denn der alte Krämer verstand keinen Spaß und hatte, als er wußte, woran er mit ihm war, dem unverlässigen Freier in fühlbarer Weise gezeigt, wo der Zimmermann eine Oeffnung gelassen hatte. Es war ihm zwar manchmal seither schlimm ergangen und kümmerlich, und manchmal fiel ihm ein, wie er es nun gut haben und in aller Ruhe und Behäbigkeit in dem Krämerhause sitzen könnte, anstatt mit der Clarinette durch das Unwetter und Gestöber eines stürmischen Wintertags zu wandern; wenn er sich aber die „schneidige Kramer-Waben“ neben sich dachte, mit dem hagern Gesicht und dem Auswuchs an der einen Schulter, die durch alles Ausstopfen nicht dazu zu bringen war, der gegenüberliegenden gleich zu werden, dann wies er die Lockung von sich und war mit seinem Schicksal mehr als zufrieden.

Nach all’ dem war es begreiflich, daß, als sie in dem lustigen Morgenwanderer den frühern Bewerbers erkannte, das Verlangen in ihr erwachte, den Grund dieser besondern Fröhlichkeit zu erfahren. Sie verdoppelte ihre Schritte und kam, als es eben um eine Ecke ging, aus den Büschen hervor, unbefangen und wie unerwartet, ihm in den Weg.

„Guten Morgen, Muckl,“ sagte sie mit ihrem freundlichsten Gesicht, „was für ein Glück ist denn Dir in die Haut geschossen, daß Du heute schon so gar alert bist?“

„Guten Morgen auch,“ erwiderte der Musikant etwas überrascht und mit einem kurzen Seitenblick auf die Grüßende. „Weißt ja, was ich für ein narreter Ding bin! Ich kann lachen über ein’ Vogel auf der Stauden und nachher,“ setzte er kichernd hinzu, „nachher gieb’ts oft allerhand, was man nit sagen kann …“

„O, ich verlang’s nit zu wissen!“ rief sie schnell verletzt. „Kannst Deine Geheimniss’ schon für Dich behalten! Die Mutter laßt Dich fragen, warum Du denn gar nimmer einkehrst bei uns?“

„Ist’s wahr?“ entgegnete er, „laßt sie mich fragen? Dann soll sie sich nur vom Kramer, von ihrem Mann, die Antwort sagen lassen …“

„Ach nein,“ entgegnete das Mädchen unbefangen, „Du mußt dem Vater nichts nachtragen, Du kennst ihn ja und weißt, daß er ein rescher (rascher) Mann ist …“

{{center|(Fortsetzung folgt.)}




Auch aus der „guten alten Zeit“.


In jener vielgerühmten „guten alten Zeit“, auf die noch Manche wie auf ein verlorenes Paradies zurückblicken, konnte man in mehr als einer Stadt wohl dem Ausspruch begegnen: „Unser Pranger ist unser Stolz!“ – Fragt man, wie ein solcher Ausspruch irgend einmal möglich geworden sei, so muß man leider antworten: nur dadurch, daß der einst bessere Sinn des Volks so weit heruntergebracht worden war, daß er in Schandbühnen und Hochgerichten auszeichnende Ortsvorrechte zu erkennen vermochte.

In der Heimath des sogenannten Schwabenspiegels kamen mit dem Eindringen des römischen Rechts in Deutschland die allgemeinen deutschen und Kaiserrechte, nach welchen bis dahin öffentlich des Rechts gepflegt worden war, ebenso in Verfall, wie im übrigen „Reiche“. Die ganze richterliche Gewalt, welche das Volk als ein Kleinod so lange als möglich fest gehalten hatte, wurde ihm durch die gelehrten Juristen entwunden und in die Hände der Fürsten gelegt. Von dem alten Volksgericht, für welches jede Gemeinde die Richter selbst wählte, blieb nichts übrig, als – die Heimlichkeit der Vehme. Die freien Gerichtsstätten unter den Eichen Westphalens und Niedersachsens, wie unter den Linden Frankens und Schwabens verödeten, und um so dichter füllten sich die der Oeffentlichkeit verschlossenen Amtsstuben mit kostspieligen Actenstößen. Denn das Volk, das einst sein gutes Recht umsonst hatte, mußte nun das schlechte bezahlen. Fürstliche Richter wurden die gestrengen Herren und Advocaten die Alleinpächter des Rechts; in Beider Hand war es gelegt, nach Gutdünken die Processe auszuspinnen und das Volk auszubeuten. Die traurigste Folge dieser undeutschen Wandelung war aber die, daß der alte Rechtsstolz, das Rechtsgefühl im Volke erlosch und einestheils einer entwürdigenden Furcht vor den allmögenden Gerichtsherren, anderntheils einem Haß gegen die Advocaten Platz machte, der in ohnmächtigen Ausbrüchen des Volkswitzes seine einzige Genugthuung

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