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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

fand. Nie hat das deutsche Volk sich mit diesem fremden, gelehrten Rechte versöhnt, und die Bestrebungen in vielen deutschen Ländern, durch die Errichtung von Friedens- und Schwurgerichten zu den besten der alten deutschen Rechtsformen zurückzukehren, sprechen es deutlich aus, daß man auch auf dem Rechtsgebiete sich in Deutschland nach Erlösung von Rom sehnt.

Die Hauptursache des Widerwillens der Deutschen gegen das fremde Recht lag aber in der Barbarei, welche dasselbe durch seine Strafen verübte. Gesetze, welche zum Theil in den gesunkensten Zeiten des römischen Lebens für Sclaven aufgestellt worden waren, verhängten diese deutsch-römischen Richter über freie Männer und Frauen; sogar die Folter entnahmen sie denselben und setzten damit der sogenannten „Carolina“, d. h. „Kaiser Carl’s des Fünften und des heiligen römischen Reichs peinlicher Gerichtsordnung“, die Krone „gesetzgebender Weisheit und Güte“ auf, wegen welcher ein berühmter Rechtsgelehrter sie heute noch „verehrungswürdig“ nennt.

Welche Summe von Justizmorden begann mit diesem Augenblick! Und keine Erfahrung, kein noch so offenkundiger Beweis von falschen, durch die Tortur erpreßten Geständnissen fand bei diesen gelehrten Richtern Beachtung. In Basel verließ ein böses Weib ihren Mann. Das Gerücht nannte ihn den Mörder seiner Frau und die Folter peinigte ihm das „Ja“ ab zu einer Unthat, die er nicht begangen hatte. Ein paar Tage nach der Hinrichtung desselben kehrte das Weib zurück, um sich mit ihrem Mann zu versöhnen. Der Justizmord war geschehen, aber die Tortur blieb. Um dieselbe Zeit, 1518, wurden in Stettin einhundert und achtzehn Menschen wegen Kirchendiebstahls hingerichtet, die alle auf der Folter ihre Schuld eingestanden hatten und die sämmtlich unschuldig waren, wie später vier eingefangene Diebe den Herren Richtern bewiesen. Aber die Tortur blieb. – Und welche Phantasie entfalteten die Criminalisten jener Zeit in der Erfindung steigend scheußlicher Martern und Hinrichtungsarten! Was die Despoten des Morgen- und Abendlandes und die wilden Völker jenseits der Meere Raffinirtes im Menschenhinschlachten ersonnen, ward von den deutsch-römischen Rechtstyrannen oft mit förmlichem Witz der Grausamkeit in ein System gebracht und mit kältester Ruhe decretirt und exercirt. Falschmünzer (so belehrt uns Wolfg. Menzel, Geschichte der Deutschen) wurden gesotten, weil sie selbst Kupfer in Silber gesotten hatten. Bigamie wurde in der Schweiz dadurch gestraft, daß der Schuldige mitten entzwei gehauen und jeder seiner beiden Frauen eine Hälfte überlassen wurde. Geistliche wurden in Augsburg in eiserne Käfige gesperrt und wie Singvögel an Thürme aufgehängt, wo sie verhungern mußten, weil man sie bei schweren Verbrechen nicht ungestraft lassen wollte und weltlicherseits geweihten Priestern doch nicht an den Leib konnte. Juden, die gestohlen hatten, wurden zwischen zwei Hunden an den Beinen aufgehängt. In Halle an der Saale hing 1462 ein Jude auf diese Art einen ganzen Tag lang, ohne zu sterben, und bat endlich, Christ werden zu dürfen. Die Mönche tauften ihn, wie er da hing, und suchten ihm nun das Leben zu erbitten. Der Stadtrath weigerte sich aber noch zwei Tage, während der Unglückliche immerfort hängen blieb. Erst am dritten Tage machte man ihn los und er starb erst zwanzig Tage später. Baumschändern riß man den Nabel aus, nagelte denselben an den verletzten Baum und trieb den Unglücklichen so lange um den Stamm herum, bis ihm alle Eingeweide aus dem Leibe gewunden waren. Wilddiebe wurden in Ketten auf Hirsche geschmiedet und in den Wald gejagt. Noch 1666 ließ sich zu Friedberg in der Wetterau ein Hirsch sehen, auf dem ein blutender Mann gefesselt war, der um Hülfe rief und aussagte, er komme aus Sachsen und werde schon drei Tage so umhergeschleift. Man konnte den geängstigten Hirsch nicht einfangen, fand ihn aber später bei Solms zusammengestürzt, Mann und Hirsch todt. Oft nähte man die Wilddiebe in Wildhäute und gab sie den Hunden preis. Im weißen Thurme zu Köln hing man hoch über den Verbrechern Brod auf, und sie mußten entweder darnach kletternd den Hals brechen, oder verhungern. Zu Schweidnitz in Schlesien zwang man einen alten Rathsherrn, zur Strafe den höchsten Thurm auswärts herunter zu klettern; er kam bis zu einem Absatz, wo er stehen blieb und erstarrte, bis ihn der Wind herabstürzte etc. Soweit Menzel, und damit genug der Proben, wie das römische Recht durch deutsche Hände gewüthet hat. Wie werthlos das Menschenleben dadurch geworden, wie ungeheuerlich die Zahl der Hinrichtungen war, möge die eine Notiz andeuten, daß Benedict Carpzow, der berühmteste Jurist des Schöppenstuhls zu Leipzig, von 1620 bis 1666 nicht weniger als zwanzigtausend Todesurtheile gefällt hat.

Derselbe „Witz der Grausamkeit“, wie bei den Todes-, machte sich bei den sogenannten Ehrenstrafen geltend. Nur er konnte jenes Eselslehen der Herren von Frankenstein zu Bissingen erfinden, die der Stadt Darmstadt den Esel zu liefern hatten, auf welchem böse Weiber durch die Stadt geführt wurden; ebenso jene beiden durch eine Kette verbundenen Steine in Dortmund, die von zwei Weibern, die sich gezankt hatten, umwechselnd durch die Stadt getragen werden mußten, wobei eine die andere mit einem Stachelstocke vorwärts trieb; ebenso die sogenannte Geige, ein Bret mit zwei Löchern, durch welche zwei zankende Weiber die Köpfe stecken und einander ansehen mußten; ebenso den Drillkäfig, in dem man Betrunkene und Unbändige herumdrehte, den hölzernen Esel, auf dem sitzend man Polizeistrafen erlitt, und endlich den Pranger, der den Bestraften dem Spott und Hohn der Menge öffentlich preisgab.

Wie nämlich mit der Einführung des römischen Rechts in Deutschland jedes Städtchen, das ein Gerichtssitz wurde, seine Folterkammer erhielt und sein Hochgericht aufbaute, so daß in gebirgigen Gegenden noch heute kaum eine solche Stadt zu finden ist, die nicht aus jener Zeit ihren „Galgenberg“ hätte, ebenso ward vor jedem Raths- oder Amtshause ein Prangerstein oder eine Schandbühne errichtet. Die Einrichtung derselben war sehr verschieden; man hatte stehende, aus Steinbau, aber auch transportable, als Holzgerüste, die man erst für den bestimmten Zweck aufstellte. Der Pranger in Stuttgart z. B. konnte nur mittels einer Leiter bestiegen werden, die der Delinquent selbst an Ort und Stelle tragen mußte; sobald er auf derselben seinen Standpunkt erreicht hatte, wurde sie weggenommen und ihm dadurch der beliebige Rückzug unmöglich gemacht. An der Wand oder Säule der Schandbühne war mittels einer Kette ein Halseisen befestigt, dessen Bestimmung sich selbst erklärt. Oft bot die Bühne auch Raum für mehrere Personen und Halseisen; immer aber befanden sie sich an dem besuchtesten Platz, in der Regel dem Markte der Stadt.

Unsere Illustration führt die Leser der Gartenlaube vor einen solchen Gesellschaftspranger, der aber noch in anderer Weise sich auszeichnet. Es gehört gewiß zu den liebenswürdigsten Eigenthümlichkeiten der Meister der Gothik, daß sie ihre verzierenden Formen überall anzubringen wußten, vom ehrwürdigsten Dome bis zum holzgeschnitzten Großvaterstuhl und zum eisengetriebenen Thürschloß; daß sie aber selbst den Pranger nicht ungeschmückt ließen, ist eine fast rührende Thatsache. Wie schmuck jedoch viele derselben auch gewesen sein mögen, schöner war keiner, als die gothische Schandbühne, welche in der würtembergischen Stadt Schwäbisch-Hall noch heute als ein architektonisches Zierwerk über dem Stadtbrunnen vor dem Rathhaus emporragt.

Das alte Hall in Schwaben kann selbst als ein mittelalterliches Cabinetsstück in der Sammlung deutscher Reichsstädte gelten, soweit es aus dem großen Brande von 1728 gerettet worden ist. Schon die Art des Ursprungs der Stadt läßt auf architektonische Absonderlichkeiten schließen. Bekanntlich hat die Natur dort eine ihrer besten Salzquellen erschlossen, und dieser Segen ist gar bald von den Menschen erkannt worden. Die Chronisten erzählen, daß die Grafen von Westheim und andere Edelleute, welche Herren dieser Gegend waren, seit dem neunten Jahrhundert nach und nach vierzig Schlösser und verschiedene geistliche Orden zugleich mehrere Klöster um die Soolquellen herum erbauten und daß diese vornehmen Steinpaläste den Kern gebildet, um und zwischen welche später der bürgerliche Fleiß seine Werkstätten gründete. Als freie Reichsstadt hatte Hall sogar über ein Gebiet von sechs Quadratmeilen zu verfügen. Um diese Zeit, ungefähr 1400, baute es sein Rathhaus und wohl nicht viel später die Spitzsäule seines Prangers. Den Brunnen darunter schmückt das Steinbild des Lindwurmtödters St. Georg. Der Act der dargestellten Prangerstrafe gehört dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts an, also der ersten Blüthezeit jenes Rechts, das es für uns sehr ungewiß läßt, ob der Mann am Schandpfahl schuldig oder unschuldig leidet.

Die Ausstellung am Pranger wurde zu derjenigen Classe von Ehrenstrafen gezählt, welche nur auf eine Kränkung des Ehrgefühls oder auf eine Beschämung abzielen sollten, ein Beweis, wie tief man sich das Ehr- und Rechtsgefühl im Volke

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_038.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)