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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Du mußt Wort halten …“ rief Sylvester, „ich will keine gesunde Stund’ mehr haben, aber ich hätt’s auch gethan und wenn’s noch so schlimm ausgefallen wär …“

„Ja,“ entgegnete der Dicke mit bitterem Lachen, „Du hast jetzt gut reden hintennach! Aber mir ist’s justament, als wenn ich mein Todesurtheil unterschreiben sollt’ … und nit geschwind den Kopf herunter, nein, schön langsam und nach und nach gebraten bei einem Kreuzerkerz’l … Ich riskir’ ja, daß sie mich beim ersten Bussel ersticht oder mitten von einand’ schneid’t, wie die eiserne Jungfrau!“

„Wenn ich nur wüßte, wer sie eigentlich ist!“ rief Sylvester vor sich hin; er war zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt und hatte die Lamentation des betrübten Clarinettisten ganz überhört. „Wer sind ihre Eltern?“

„Wer sonst, als die Kramerleut’ da oben, wo’s gegen den Rohnberg hinauf geht? Der Vater ist eine lange, dürre Hopfenstang’ und die Mutter …“

„Willst mich foppen?“ unterbrach ihn Sylvester unmuthig. „Ich red’ von der Meinigen … Von der möcht’ ich was wissen!“

„Ja – von der weiß ich auch nit viel …“ brummte Muckel, „aber da kommt die alte Austrags-Wirthin noch aus der Kirchen angehinkt … die kennt jedes Haushalten in und auswendig, die kannst ausfragen …“

Die redselige Alte kam heran; Gruß und Ansprache ergaben sich wie von selbst und es fiel nicht schwer, sie zur Mittheilung ihrer gesammten Wissenschaft zu bestimmen und das Brünnlein ihrer Rede plätschern zu machen. Was aber daher geplätschert kam, war wohl nur Wasser, aber rein, frisch und hell, wie es aus den Bergen quillt; auch die Klatschchronik des Dorfes wußte die klare Fluth nicht zu trüben. Die Alte wußte nicht genug zu rühmen, wie die Clar’l nicht blos ein braves Mädchen sei, eine gute Tochter und eine tüchtige Arbeiterin; wie keine Mühe ihr zu schwer sei und keine Arbeit zu schlecht; wie sie immer fröhlich und guter Dinge sei, für Jeden ein freundlich Wort habe und doch sich wieder ein Wesen zu geben verstehe, daß Keiner es wage, sie mit einem unrechten Auge anzusehen. Das habe sie erst in Tirol drinnen wieder gezeigt, wo sie, weil es den Eltern etwas sehr hinderlich gegangen, bei einem Verwandten mehrere Jahre gewesen und aufgezogen worden sei. Da sei in der Nachbarschaft ein Ritterschloß gewesen und in dem Schloß ein vornehmer junger Herr, dem habe das hübsche Mädel in die Augen gestochen und er sei ihr nachgegangen und habe ihr das Blaue vom Himmel herab versprochen für ein gutes Wort und einen freundlichen Wink, sie aber habe ihm heimgeleuchtet, und wie er einmal eine Gelegenheit abgelauert, wo sie allein gewesen, und zudringlich geworden sei … „da,“ sagte die Alte lachend, „da ist sie nicht faul gewesen, hat das vornehme Herrlein um die Mitt’ gefaßt, wie einen ungezogenen Buben, hat ihn in den Milchkeller hinuntergetragen und eingesperrt und nicht eher heraus gelassen, bis Alles vom Feld daheim war und von der Arbeit, daß er sich nirgends mehr hat sehen lassen können vor Schand’ und Spott und Gelächter. … Ihr fragt mich wohl,“ fuhr die Frau fort, „weil das Dirn’l heut’ unter den Prangerinnen gewesen ist? Ja, das ist eine merkwürdige Geschichte und müßt’ ich nit heim und nach der Kuchel schau’n, ich wollt’ Euch davon erzählen, eine Stunde lang … Sie ist erst gestern heim ’kommen aus der Fremd’ und hat wohl gar nit daran ’denkt, daß sie mit sollt’ prangen geh’n, es ist ja allemal eine hübsch lange Zeit vorher, daß die Dirndeln dazu ausgesucht werden. Aber unverhofft kommt oft und so ist’s da auch wieder so ’gangen; die Schmied-Zenzi von der Einöd’, die ist ausgewählt gewesen, die sollt’ die Ehrenführerin sein …“

„Was?“ rief Muckl und sprang von seinem Treppensitz auf, als hätt’ ihn eine Natter oder irgend ein Ungethier gestochen. „Die Schmied-Zenz? Das bildsauberste Dirnd’l auf sieben Meilen Wegs, und nit die schneidige Kramer-Waben? Warum ist sie nachher nit Ehrenführerin gewesen? Wer hat sich unterstanden und hat sie mir aus’tauscht?“

„Wer kann für’s Unglück, wenn ’s Haus davon voll ist?“ kicherte die Alte. „Gestern war die Zenz noch hechten-gesund, über Nacht ist s’ krank ’worden und liegt im Bett, über und über klitschroth, wie eine Kornrosen … Das war keine kleine Verlegenheit, wie heut’ der Zug in die Kirch’ geh’n soll: Alle sind schon da fix und fertig und die Ehrenführerin ist aus’blieben! Aber die Schwester vom Herrn Pfarrer, das alte Fräulein, die weiß Rath in Allem … die sieht die Kohlenbrenner-Clar’l, die vorbeigeht und an nichts denkt, als daß sie noch recht kommt zu Amt und Predigt; die muß herein und mag reden, was sie will, das Fräulein putzt sie auf, die Andern geben auch von ihrem Gewand, was sie nit ang’habt hat, und so muß sie mit in die Kirch’ …“

Sylvester hatte schweigend zugehört; er war immer ernster und ernster geworden und bei den letzten Reden hatte er den Hut in der Hand und fühlte es durch seine Seele gehen wie warmen Märzwind, der den Schnee mürbe macht, daß die ersten Blumenglocken darunter hervorbrechen können. „Ja,“ flüsterte er in fromm bereuender Regung in sich hinein, „ja, die Heirathen werden im Himmel geschlossen! Ja, das ist wahrhaftig eine Schickung … ich dank’ Dir, lieber Gott, daß Du’s so gnädig g’macht hast mit mir … verdient hab’ ich’s wahrhaftig nit!“

Er eilte fort, unbekümmert um den Genossen, der seinerseits zu sehr mit sich selber beschäftigt war, um seine Entfernung zu beachten.

„Aber wie war’s denn mit der Ehrenführerin?“ fragte Muckl die Alte, die sich ebenfalls zum Gehen anschickte. „Wenn die Clar’l für die Kranke hat eintreten müssen, warum ist sie dann doch nit Ehrenführerin gewesen?“

„Ich hab’ wahrhaftig keine Zeit mehr,“ sagte die Alte und wollte sich los machen, „das wär’ auch wieder eine lange G’schicht …“

„Halt, Alte,“ rief Muckl, „ich laß’ Dich nit fort, und wenn Deine ganze Kuchel in Rauch aufgeht, das muß ich vorher wissen! Es ist meine Haut, um die es dabei geht! Wenn die Clar’l die Ehrenführerin hätt’ sein sollen, dann gehört sie von Gott und Rechtswegen mir und es kann leicht sein, daß die Waben auf’n Sylvester seinen Antheil trifft …“

„Das mußt halt mit der Waben ausmachen, Du narreter Ding,“ lachte die Alte, hinweg trippelnd, „der Clar’l ist’s gleich gewesen, wo sie sie hingestellt haben, aber die Waben hat’s verlangt, daß man sie zur Ehrenführerin machen sollt … sie hat sich’s eigens ausgebeten …“

„Ausge …,“ stammelte der Musikant und sah der Alten mit offenem Munde nach. „Das gilt nit!“ rief er dann plötzlich und sprang vor Ingrimm mit beiden Beinen in die Höhe. „Die Clar’l war mir vermeint! Die Wab’n gehört dem Sylvester zu, er kann schauen, was er mit ihr anfangt! … Ausgebeten? Warum denn etwann?“ Im Augenblick verstummte er wieder, denn wie ein Blitz schoß ihm die Antwort auf diese Frage durch den Kopf. „Herrgott, was geht mir auf einmal für ein Licht auf! … Wenn die Waben was gemerkt hätt’? … Ah, das kann ja nit sein … Aber warum nit? Hab’ ich mich nit an den Zaun hing’setzt und an die offene Straß’ und hab’s in Wind hinaus erzählt, wie ein Narr … Es ist nit anders! Sie ist in der Näh’ gewesen und hat zugehört … und d’rum hat sie sich die Zugführerin ausgebeten … Aber nein, das gilt nit! So ist’s nit ausgemacht worden … da thu’ ich nimmer mit! Vest’l, he, Vest’l … wo bist denn? Das gilt nit …“

Er eilte fort, am Pfarrhofe vorüber; im nämlichen Augenblicke traten Clar’l und die Krämerstochter aus der Thür. Er prallte zurück und machte einen Seitensprung, als er sie erblickte; sie aber lachte und nickte ihm zu mit der freundlichsten und vertrautesten Miene und rief: „Wo ’naus, Muckl? Wie ist’s, wann wollen wir denn d’ Stuhlfest machen?“

Er war nicht aufzuhalten. „Wenn Pfingsten vor Ostern kommt, Du … Du Kreuzspinn’ Du!“ rief er im Entspringen, halb zurückgewendet, und verschwand um die Ecke.

„Lauter Neuigkeiten, die ich erfahr’!“ sagte die Köhlerin. „Das hab’ ich ja auch nit gewußt, daß Du mit dem Clarinetten-Muckel so gut bekannt bist! Seit wann denn?“

„Das will ich Dir wohl erzählen,“ sagte die Waben mit bissigem Lächeln, „jetzt ist ja keine Gefahr mehr dabei … aber komm’, nur, ich möcht’ den ersten Tanz nit versäumen, das können wir auch unterwegs ausmachen!“

Im Wirthshause war es schon lebendig und laut; in den Trinkstuben summte es wie in einem schwarmbereiten Bienenstock, vom Tanzboden herab begann es zu poltern und die Töne des ersten Ländlerischen machten die fröhlichen Paare drehen und sich schwingen. Die Kramer-Waben konnte es kaum erwarten, die Stiege hinauf zu kommen; ihre Gefährtin aber war nicht zu bewegen, ihr zu folgen; es war während des kurzen Weges, den sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)