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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

allein die Freude war von kurzer Dauer. Bereits am 23. December gelang es Brinkhoff seine Freiheit wieder zu erlangen. Von dem Krankenzimmer des Arresthauses kletterte er, nachdem er auf unerklärliche Weise die Angeln der Thüre der Krankenstube abgebrochen, über Mauern bis auf das Dach des neben dem Arresthause liegenden Landgerichtsgebäudes, deckte dort einen Theil der Dachpfannen. ab, gelangte auf diese Weise auf einen kleinen Söller, wo er sich, nachdem er die Pfannen wieder eingesetzt hatte, bis zum Abend ruhig verhielt. Als der Castellan des Landgerichts am Abend die Lichter anzünden wollte, huschte auf der Treppe ein Schatten an ihm vorbei. Es war Brinkhoff.

Vergeblich wurden abermals alle Polizeibehörden in Bewegung gesetzt, man konnte seiner nicht habhaft werden, und erst am 13. Februar wurde er wiederum zur Haft gebracht, nachdem er freiwillig sich den Behörden ausgeliefert hatte. Ein Vorfall während dieser Zeit belehrt uns, daß Brinkhoff es verstand, sich auch als Flüchtling den Verhältnissen nach so angenehm wie möglich einzurichten.

In der Nähe von Rüderich bei Wesel liegt ein allerliebstes Gütchen, genannt „Jägersruh“, ziemlich entfernt von andern Höfen, das einer in Köln wohnenden Familie gehört. Das Haupthaus wird nur im Sommer von den Eigenthümern bewohnt, ist deshalb mit allen zu einem längeren Aufenthalte nöthigen Mobilien versehen, im Winter abgeschlossen und wird nur zuweilen von dem in einem daneben liegenden Hause wohnenden Pächter des Guts geöffnet und nachgesehen.

Hier ließ sich Brinkhoff nach seinem Entspringen häuslich nieder. Schön möblirte Zimmer, gute Betten, ein guter Weinkeller bildeten zwar eine einsame, jedoch für einen Flüchtling gewiß beneidenswerthe Wohnung. Durch ein Fenster des zweiten Stockes wußte er sich Eingang in das Haus zu verschaffen. Er fand auch ein Jagdgewehr, Pulver und Blei. Am Tage blieb er ruhig in seinem Schlosse, Nachts aber ging er aus und verschaffte sich die nöthigen Lebensmittel. Leider dauerte dieses idyllische Leben nicht lange. Eines Tages, am 8. Januar, bekam der Pächter von Jägersruh Besuch von seinem Bruder. Dieser sprach den Wunsch aus, das Herrenhaus zu sehen, dem auch entsprochen wurde. Als man nun die Thür öffnete, stand Brinkhoff mit einem Doppelrohr in der Hand vor den Eintretenden und rief: „Zurück!“ Man verständigte sich jedoch bald. Brinkhoff bat die Pächterin, ihm eine Wurst, die er ihr überreichte, zu braten, zog sodann eine Flasche Wein hervor und lud die Gesellschaft zum Essen und zum Trinken ein. Brinkhoff aß und trank, das Gewehr mit gespanntem Hahn auf dem Schooße, entschuldigte sich sodann durch seine eigenthümliche Lage auf das Höflichste, daß er ohne Miethcontract gewohnt habe, und verschwand im Dunkel der Nacht.

Lange hörte man nichts von ihm. Er würde sicher entkommen sein, wenn er nicht das Mißgeschick gehabt hätte, sich aus Unvorsichtigkeit durch die Hand zu schießen. Heimlich ging er nach Rheinberg zu einem Arzte, und als dieser ihm erklärte, wenn die Wunde nicht sorgfältig behandelt würde, könnte der kalte Brand eintreten, entschloß er sich, freiwillig sich zu stellen. Dem armen Teufel von Besenbinder, in dessen Höhle er versteckt war, gab er den Auftrag, seinen Aufenthalt anzuzeigen, damit derselbe die ausgesetzte Belohnung verdiene. Am 13. Februar erfolgte die Wiederverhaftung. Die Frau Brinkhoff, die man unter der Beschuldigung der „Landstreicherei“ fest genommen, wurde indessen in Freiheit gesetzt, weil aus Amerika die Atteste darüber eingelaufen waren, daß sie die rechtmäßige Gattin Brinkhoff’s sei.

Mildthätige Seelen brachten die Protestantin in dem sogenannten protestantischen Stift zu Cleve unter. Das arme Weib kam hier aus dem Regen in die Traufe; sie wurde einer moralischen Folter unterworfen. Es wurden Bekehrungsversuche mit ihr angestellt; sie sollte ihren Wilhelm verlassen und sich von dem Verbrecher scheiden lassen. Man hatte sie so weit, daß sie die Ehescheidungsklage einleiten wollte. Nach der dortigen Gesetzgebung muß der Kläger die Klage durch persönliches Erscheinen vor dem Präsidenten des Landgerichts einleiten, und der Präsident soll demselben die geeigneten Vorhaltungen machen. Als sie nun zu dem alten ehrwürdigen Präsidenten kam, soll dieser sie darauf aufmerksam gemacht haben, daß Brinkhoff die ihm vorgehaltenen Verbrechen ja gerade begangen habe, um sich nicht von ihr zu trennen, daß also ihrerseits kein Grund zur Scheidung vorliege. So erzählte man; gewiß ist aber, daß seit dem Besuche bei dem Herrn Präsidenten jene Bekehrungsversuche wirkungslos blieben und von Ehescheidung nicht mehr die Rede war. Durch eine Collecte wurden die Mittel zur Reise nach Amerika aufgebracht, sie reiste dahin ab, um ihrem Wilhelm das Haus einzurichten.

Mit der größten Sorgfalt wurde nun Brinkhoff bewacht, die Untersuchung gegen ihn wurde mit Energie betrieben, so daß er schon am 28. März vor den königlichen Assisenhof zu Cleve gestellt werden konnte. Der Vertheidiger hatte gewünscht, daß die Frau Brinkhoff’s den Verhandlungen beiwohne, weil er es für unzweifelhaft hielt, daß der Anblick der jungen Frau einen günstigen Einfluß auf die Herren Geschworenen ausüben würde, allein die um ihr Seelenheil besorgten Freunde hielten sie davon ab; sie durfte das Verbrechen nicht unterstützen, sie durfte nicht bei der Verhandlung erscheinen.

Brinkhoff war angeklagt; in der Nacht vom 1. zum 2. December 1859 zu Alpen den Polizeidiener Husmann vorsätzlich und mit Ueberlegung zu tödten versucht; am 5. December 1859 in der in dem Walde bei Alpen belegenen Wohnung des Jagdhüters Jakob Esselborn diesem unter Drohungen ein Gewehr, in der Absicht, sich dasselbe rechtswidrig zuzueignen, weggenommen; am 11. December 1859 zu Saalhof den Tagelöhner Ingenilm vorsätzlich und mit Ueberlegung zu tödten versucht; am 11. December zu Saalhof den Polizeidiener Murmann vorsätzlich und mit Ueberlegung getödtet; endlich in der ersten Nacht des Januar 1860 zu Jägersruh, in dem Hause des Directors Götz, mittelst Einbruchs und Einsteigens ein Gewehr, ein Pulverhorn und einige Munition an sich genommen zu haben.

Wurde dieser Anklage, aus der indeß das Vergehen des eigentlichen gemeinen Diebstahls nirgends hervorgeht, entsprochen, so mußte auf die Todesstrafe erkannt werden.

Auf der Bank der Angeklagten erschien ein schlanker junger Mensch, mit blassem, länglichem Gesichte, schwarzen langen Haaren und einem dunkeln, brennenden Auge. Sein ganzes Auftreten war ruhig und gemessen, seine Haltung anständig. Nach zweitägiger Debatte bejahten die Herren Geschworenen die ihnen vorgelegten Fragen, jedoch mit der Modification, daß Brinkhoff zu der Tödtung durch den getödteten Polizeidiener selbst, der ihm eine schwere Mißhandlung zugefügt, gereizt worden sei. Der Assisenhof erkannte auf eine Zuchthausstrafe von zehn Jahren. Brinkhoff nahm das Urtheil mit großer Ruhe auf. Einige Tage darauf erkundigte er sich, wann die Abfahrt der Schiffe von Rotterdam nach Amerika stattfinde, und als man ihn auf seine Ketten und die starken Wände seines Gefängnisses aufmerksam machte, antwortete er „die würden ihn nicht belästigen, wenn er nur Reisegeld hätte.“

Er wurde wiederum nach Werden abgeführt, ließ sich dort seine durchschossene Hand gründlich curiren und – eines Tages war er wieder verschwunden. Seine glückliche Ankunft in Amerika hat er den Beamten, denen er so viele Sorge gemacht, schriftlich angezeigt. Seitdem hat man keine bestimmte Kunde mehr von ihm. Ob er dort in geordneten Verhältnissen an der Seite seines treuen Weibchens noch lebt oder ob auch ihn der große amerikanische Krieg verschlungen – Niemand weiß es. Kommt ihm die heutige Nummer der in Amerika in so vielen Tausenden von Exemplaren verbreiteten „Gartenlaube“ zu Gesicht, so liest er wohl mit Interesse die Geschichte von seiner deutschen Vergangenheit.




Der Kirchheimer ABC-Buch-Krieg.
Von Eduard Geib.


Oft genug hat zwar in Deutschland wie anderwärts die Einführung neuer Religionsbücher, weil in das Volksleben tief eingreifend, Aufregung und selbst schwere Unruhen hervorgerufen; wir brauchen z. B. nur an die Schicksale des Heidelberger Katechismus, sowie an den jüngsten, das ganze Speierer Consistorium aus dem Sattel hebenden Gesangbuchsstreit der Protestanten zu erinnern. Daß aber ein harmloses ABC-Buch einen Volksaufstand hervorgerufen, der mit Waffengewalt unterdrückt werden mußte, dürfte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_056.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2017)