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23. von Sippersfeld, um zu erklären, daß sie ihre bisherige Renitenz bereuten, das ABC-Buch annehmen wollten und wegen ihres Aufstandes um Gnade bäten. Andere Gemeinden ließen Aehnliches durch ihre Schultheißen melden. Schon nach wenigen Tagen war das Ländchen wieder so beruhigt, daß die Pfälzer Truppen in ihre Garnison zurückkehren konnten.

Mit der Bestrafung der Theilnahme am Aufstande, an dem übrigens etwa die Hälfte der Gemeinden keinen Antheil genommen, hätte nun die ganze Angelegenheit ihre Erledigung gefunden, wenn nicht einige Rädelsführer, darunter der mit andern geflüchtete Morgenstern, sie klagend vor das Kreiskammergericht nach Wetzlar gebracht und dadurch die volle Herstellung der Ruhe im Lande noch längere Zeit verhindert hätten. In ihrer schon am 27. Februar eingereichten Beschwerdeschrift gegen den Fürsten traten die Kläger im Namen der „Bürger und Unterthanen der Stadt und des Amtes Kirchheim“ auf. Allein die Bewohner dieser fürstlichen Residenz protestirten feierlich gegen eine solche Verdächtigung ihrer Loyalität, weshalb der Proceß später im Namen der „lutherischen Unterthanen der Herrschaft“ fortgeführt ward. Als vorzüglichsten Beschwerdepunkt brachten sie vor, daß dem Lande ein ABC-Buch „ohne alle Religionsbegriffe, welches von lutherischem Glauben nichts enthalte“, aufgedrungen werde, während die lutherische Confession als die herrschende im Besitz gewesen sei, die Kinder nach ihren Grundsätzen und im alten ABC-Buch zu unterrichten. Hieran reihten sich dann noch andere Religionsbeschwerden und baten um richterlichen Schutz gegen diese den Friedensschlüssen zuwiderlaufenden Störungen.

Da die Regierung, welcher die Klage vor dem Reichsgerichte, wie begreiflich, im höchsten Grade ärgerlich war, den Veranlassern und Begünstigern derselben in aller Weise entgegentrat, indem sie u. A. zahlreiche Unterthanen gefänglich einzog, den übrigen bei Strafe der Einthürmung die Reise nach Wetzlar verbot und den zur Abfassung der Klagschrift benützten Advocaten auf vier Wochen suspendirte: so gab dies zu neuen Beschwerden Veranlassung und der Proceß würde bei der bekannten Schwerfälligkeit der Reichsjustiz wohl Jahrzehnte gewährt haben, wenn nicht die nassauische Regierung, von Wetzlar aus selbst dazu aufgemuntert, die Sache schließlich in der Güte beigelegt hätte.

So endigte der berühmte Kirchheimer ABC-Buch-Krieg, der durch ganz Deutschland Aufsehen erregt und namentlich die Freunde der neupädagogischen Richtung unangenehm berührt hatte. Confessionelle Aufhetzung war im Stande gewesen, eine sonst intelligente Bevölkerung wegen eines simpeln Kinderbuches gegen ihren wahrhaft väterlich gesinnten Fürsten in Aufstand zu bringen; sie hatte das Ländchen viele Monate lang in Unruhe versetzt, zahlreiche Unterthanen an ihrer Freiheit und noch mehrere an ihrem Vermögen geschädigt. Auch der spätere Hauptschürer des Aufstandes, Pfarrer Nacke in Wachenheim, war von seiner Regierung zur Verantwortung gezogen und durch eine von der Universität Göttingen bestätigte Sentenz zu einem Verweise, zur Suspension von seinem Amte und Einkommen auf vier Wochen, sowie zur Abbitte vor dem Fürsten von Nassau-Weilburg verurtheilt worden.

Das confessionelle Verhältniß im Nassau-Weilburg’schen gewann übrigens später eine freundlichere Gestalt. Schon im Herbst des Jahres 1786 nahmen die Reformirten in Kirchheimbolanden das einige Jahre zuvor in der lutherischen Gemeinde eingeführte Gesangbuch ohne allen Widerspruch auch für ihren kirchlichen Gebrauch an, bei welcher Gelegenheit Fürst Karl Christian jeder Familie zwei Exemplare desselben zum Geschenke machte. Von den Bewohnern jener Gegend, die zu den gebildetsten und freisinnigsten der schönen Pfalz gehört, wissen aber heute die wenigsten mehr, ob ihre Groß- und Urgroßeltern lutherisch oder reformirt – lesen gelernt haben.




In der Central-Telegraphenstation zu Berlin.
Von George Hiltl.

Sömmering, der berühmte Arzt und Naturforscher, war es, der vor nunmehr fast sechszig Jahren die erste Idee zu den elektrischen Telegraphenleitungen gab. Vierundzwanzig Jahre später erfand Morse seinen noch heute fast unübertroffenen Apparat und bald zogen nun England, Amerika, Frankreich, Holland, Belgien, in Deutschland Preußen, dann Oesterreich die elektrischen Drähte durch ihre Gefilde. Am längsten blieb Spanien zurück, aber heute ist die Verbindung aller Länder durch den wahrhaft göttlichen Funken hergestellt.

Eine der größten und bedeutendsten dieser elektrischen Werkstätten ist die Central-Telegraphenstation zu Berlin in dem großen, aus rothen Backsteinen erbauten Hause, welches die Ecke der Französischen und Wallstraße bildet. Mitten im Verkehre und Gebrause der Stadt und des Geschäftslebens arbeiten hier die Apparate und deren Leiter nach allen Weltgegenden hin, und unter dem Pflaster der von Carossen, Reitern, Müßiggängern, Gaffern und Arbeitsamen durcheilten Straße fahren an ihren Drähten die Wortblitze hin. Die Central-Telegraphenstation zu Berlin vereinigt die Drähte von sechsundneunzig Leitungen in ihrem Apparatsaale und hier concentrirt sich die Verbindung mit all’ diesen Punkten und von ihnen aus also mit der ganzen civilisirten Welt.

Wir betreten das hohe Erdgeschoß des Gebäudes und befinden uns in dem Annahmebureau für die Depeschen. Ein großer, saalartiger Raum ist zur Hälfte von Pulten eingenommen, hinter denen die fungirenden Beamten ihren Platz haben. Sobald der Beamte den Wortlaut der Depesche schriftlich in den Händen hat, wird die Depesche in eine lederne Hülse gesteckt und diese Hülse in eine mit verschließbarem Ausläufer versehene Röhre gethan, auf welche von unten her das Mundstück eines großen Blasebalges trifft. Hat der Verschluß die Depesche aufgenommen, so giebt der Beamte ein Klingelzeichen, hierauf erfolgt eine Antwort ebenfalls durch die Klingel, daß man sein Zeichen vernommen habe, alsdann tritt der Beamte den Blasebalg und durch den ausströmenden Luftdruck wird die in der ledernen Hülse befindliche Depesche fünfzig Fuß hoch in den im dritten Stock des Hauses gelegenen Apparatsaal getrieben und von hier aus nach ihrem Bestimmungsorte befördert. Die im Stations- oder Apparatsaal für Berlin ankommenden Depeschen werden ebenfalls durch eine Röhre in die tiefer liegende Expedition befördert und von hier aus durch den bereitstehenden Boten an die Adressen gesendet.

Die Central-Station correspondirt auf vier verschiedenen Linien. Die erste oder internationale Linie wird nicht eigentlich in eine Station geführt, sondern zur Beförderung der Depeschen auf dieser Linie eine besondere Kraft eingeschaltet, von welcher weiter unten gesprochen werden soll. Auf den internationalen Linien gehen die Depeschen Tag und Nacht ohne Unterbrechung, denn im großen Weltverkehr giebt es keinen Tag und keine Nacht. Die internationalen Linien verbinden außerdem nur direct die Hauptstädte und sie betragen ein Viertel des gesammten telegraphischen Verkehrs, der also ganz der Central-Station zufällt. Die zweite Linie verbindet die größeren Städte des preußischen Telegraphennetzes, z. B. Berlin, Köln, Königsberg, Frankfurt etc. Auf diesen Linien wird z. B. mit Königsberg und Frankfurt direct verhandelt und gesprochen. Diese Leitungen gehören zu den vorzüglichsten, denn ohne Einschaltung besonderer Kraft arbeiten die Apparate und Drähte und wirken unmittelbar in die bedeutendsten Entfernungen mit großer Präcision. Die dritte Art wird die große Omnibus-Linie genannt. Sie verbindet die mittleren Städte des Netzes. Die vierte Abtheilung oder die kleine Omnibuslinie vermittelt den Verkehr zwischen Punkten, die nur zwei bis vier Meilen auseinander liegen. Sie schließen sich an größere Linien an, um auf solche Weise in den allgemeinen, großen Verkehr aufgenommen zu werden.

Gegenwärtig haben die preußischen Linien und Leitungen des Telegraphennetzes die Länge von zehntausendneunhundert und zwei Meilen Draht erreicht. Die Linie für den norddeutschen Bund zieht sich im Süden zwischen Myslowitz und Trier resp. Saarbrücken hin; im Norden läuft sie hinauf bis in die äußerste Spitze Holsteins und von da bis zur russischen Grenze – Alles ein verbindender Blitz – eine belebende Kraft, welche diese Spannungen, diese Winkel und Biegungen unter und über der Erde durcheilt, ohne Zeit oder Raum zu achten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_059.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2020)