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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 5.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.




Die Brautschau.
Ein Bild aus den oberbairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


3. Christmette.

„Tausend, tausend! Ist das eine Kälte, das Holz im Ofen könnt’ gefrieren! Es schneidet Einem fast das Gesicht auseinander und die Haut bleibt schier hängen, wenn man das Thürschloß anfaßt! Ich mein’, ich höre die Füchse bellen, dort drüben am Waxenstein!“

Es war die Hauserin vom Brunnhofe, welche auf diese Weise mit sich selbst plauderte; sie stand unter der Thür des Hauses, hauchte sich in die erstarrenden Hände und blickte nach allen Richtungen umher in der schneebedeckten, dämmerverhüllten Wintergegend. Das Bild war, wie es vor Wochen gewesen, voll einfacher schweigender Erhabenheit, nur die Farbengebung war eine andere – das Grün der Matten und Hänge war zum hellen eintönigen Weiß geworden, von welchem nur strichweise die graubraunen laublosen Buchenstämme sich abhoben oder die Tannenwälder mit ihrem schwarzdunkelnden Grün, oder die blauen Schatten, mit welchen die Häupter und Schluchten der Berge sich selbst abzeichneten auf dem lichten gleichgespannten Grunde. Wieder verriethen nur noch die fernen Rauchsäulen, wo das Leben des Dorfes um Heerd und Ofen zusammengeflüchtet war; nichts ließ sich vernehmen, als manchmal ein dumpfer Knall, wenn droben im Bergwald ein Stamm unter der Schneelast brach oder der See den Eispanzer zu sprengen suchte, in den er eingezwängt war – über all’ dem ein frischer klarer Himmel, an dessen Saum ein winterliches Abendroth erkaltete.

„Schaust Dich nach dem Wetter um, Hauserin?“ fragte es von unten nach der Schauenden herauf, die eben kopfschüttelnd in’s Haus zurückkehren wollte. „Das giebt einmal kalte Feiertage – ich weiß schier seit meiner Jugend nimmer, daß wir solche Weihnachten gehabt haben …“

„Wer bist?“ fragte die Hauserin entgegen und machte einige Schritte gegen das Geländer; der an der Oberfläche gefrorene Schnee trug sie nicht und brach unter ihren Schritten ein. „Die Boten-Lisel!“ sagte sie dann, als sie der Redenden ansichtig geworden; es war ein altes Mütterchen, über und über und doch nur dürftig verhüllt, das Gewand war bereift und auf dem Tuch vor dem Munde lag eine Eiskruste vom Athem gebildet. In der einen Hand trug die Alte einen starken Stock mit Eisenspitze, mit der andern hielt sie einen Strick, an den ein kleiner Schlitten gebunden war, bepackt mit allerlei Bündeln, Körben und kleinem Geräth, daß es eine ziemliche Beschwer sein mochte, die Last so fortzuschleifen durch den tiefen Schnee und auf all’ den holperigen Wegen. Wohl hatte die Frau sich dabei Hülfe und Unterstützung zu schaffen gewußt, denn neben ihr war ein Hund vor den Schlitten gespannt, ein schwarzes zottiges und unscheinbares Thier, aber was es ihr ersparte, mochte auch nicht viel bedeuten, denn der Hund war als solcher nicht viel jünger als seine Herrin; er schien müde und hatte den Augenblick des Stillstands sofort benutzt, sich ausruhend in den Schnee zu legen.

„Bist auch noch unterwegs?“ fuhr die Hauserin fort. „Du arme Haut! Und in dem dünnen Gewande da! Komm’ doch morgen zu mir – ich hab’ einen alten Mantel liegen und eine warme Hauben – die kannst haben …“

„Vergelt’s Gott!“ erwiderte die Botin, „ich kann’s wohl brauchen. Die inwendige Wärm’, die fangt halt an, so völlig auszugeh’n in mir und da friert’s Eins bis in die Knochen hinein! Hab’ mich in Miesbach verhalten drinnen, weil ich der Wirthin ihr neues Camisol hab’ mitbringen sollen, da hab’ ich warten müssen, bis es fertig geworden ist. Wir kommen alle Tag ein bissel langsamer vom Fleck … ich und mein Bläß da! Gelt, Alter?“ sagte sie und wandte sich nach ihm; der Hund kroch ihr näher, als ob er Wort und Blick verstünde, und leckte der Herrin die magere froststarre Hand. „Ja, ja – das machen die Jahr’ – aber es thät Alles nicht so viel, wenn das arge Wehthun und das Reißen nit wär’ im linken Fuß! Den hab’ ich mir einmal verstaucht und seitdem – auf Lichtmeß jährt sich’s wieder, da sind’s volle sieben Jahr – seitdem spür’ ich das Wetter daran und könnt’ einen Kalendermacher abgeben alle Stund’ … Heut’ ist’s wieder recht bös und drum mein’ ich schier, die Kält’ dauert nimmer lang … Ich will machen, daß ich noch über den See hinüber komm’ …“

„O, damit hat’s keine Gefahr!“ erwiderte die Hauserin. „Der See ist fest zu – sie sind gestern noch drüber gefahren mit einem vierspännigen Holzwagen!“

„Ja, ja,“ sagte die Alte mit bedenklichem Kopfschütteln, „gestern und heut’! Was kann nicht Alles gescheh’n zwischen gestern und heut’! Das Eis kann weich werden über Nacht und es ist mir schon ein paarmal gewesen, als wenn mich so ein warmer flauderischer Wind anblasen thät, und das Reißen, das Reißen! Aber ich muß mich tummeln, daß ich noch in’s Dorf hinüber komm’ … morgen will ich mich schon einstellen, will gute Feiertag wünschen und den Mantel holen und die warme Hauben … Gute Nacht derweil, Hauserin! Gehst doch auch in die Metten hinüber?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_065.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)