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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

deren Periode damals begann, beeilten sich Meißner als Poeten des Socialismus auszurufen. Darüber schrieb er an mich – denn es hatte sich nach jenen ersten Zeilen ein Briefwechsel zwischen uns entsponnen, der viele Jahre währte – ein literarisch-politischer Briefwechsel, wie dergleichen in unserer immer schneller rauschenden, uns abhetzenden Zeit beinahe zu den Seltenheiten gehört:

„Ich bin von den meisten meiner Kritiker auf das Seltsamste mißverstanden worden. Wie ich dazu gekommen bin, ein socialer Poet zu heißen, ist mir unbegreiflich. Weil Einem die Noth der Erde in’s Herz schneidet, die Rechtlosigkeit und Verwahrlosung von Millionen Einem das Herz mit Erbitterung füllt, weil man den Druck der Reichen haßt, die Lügen der Pfaffen verachtet, ein Herz für’s Volk hat und Reformen wünscht: darum ist man noch kein Communist!“ –

1846 ward Meißner zum Doctor der Medicin promovirt, aber der poetische Drang leitete ihn auf eine andere Bahn. Er hatte sein treffliches Epos „Ziska“ ziemlich vollendet, und der Wunsch, es zu veröffentlichen, was unter österreichischer Censur nicht möglich gewesen wäre, führte ihn im Sommer desselben Jahres nach Sachsen. In Leipzig trafen viele österreichische Schriftsteller zusammen: Herloßsohn, Kuranda, Karl Beck, Moritz Hartmann, Johannes Nordmann, Hermann Rollett, Eduard Mautner u. A. Ein Verleger zu dem „Ziska“ und zur zweiten Auflage seiner Gedichte war schnell gefunden.

In dieser Zeit besuchte mich der Dichter in Meißen. Ich war gerade auch damit beschäftigt, meine Gedichte zu sammeln und sie als „Lieder eines deutschen Mädchens“ herauszugeben. Die persönliche Begegnung entsprach der vorhergegangenen in Briefen und Liedern: Meißner war auch nach Erscheinung und Umgangsform ein echter Poet. Mein Entschluß, ihm meine Gedichte zu widmen, ward damals gefaßt und im folgenden Jahre ausgeführt.

Im Hause seines Oheims, des Herrn von Quandt in Dresden, vollendete Meißner seinen Ziska und erwartete das Erscheinen desselben. Der Erfolg war ein vollständiger, und es zeigte sich wieder einmal, wie der Genius ein leuchtender Stern ist, groß genug, am Dichterhimmel erblickt und bewundert zu werden, ohne daß es erst der geschärften Fernröhre der Reclame bedarf, und wie der echte Dichter, der sich ganz an seinen Stoff und seine Kunst dahingegeben, den Ruhm nicht sucht, sondern von ihm gefunden wird. Man konnte in jenen Tagen kein Journal zur Hand nehmen, in dem nicht von „Ziska“ die Rede gewesen wäre. Dieselbe Freiheitsbegeisterung, die damals eine politische Poesie schuf, in der nur zu oft die „Gesinnung“ die Dichtung retten mußte, – hier hatte sie sich am herrlichsten Stoff zu klaren Krystallen gestaltet; der Dichter bot nicht den mit Schlacken gemischten Gährungsproceß der Freiheitssehnsucht, er zeigte nur die aus solcher Gluth gewonnenen Diamanten – vor einer solchen politischen Poesie mußten selbst die Aesthetiker, die sonst den Stab über die ganze Gattung zu brechen pflegten, verstummen, ja sie als berechtigt constatiren, wenn auch nicht um ihres Inhaltes, so doch um ihrer Form willen.

Die spätere Kritik in ihrer engherzigen Nationalitätensucht mäkelte freilich daran, daß Meißner, ein Deutscher, die Kämpfe der Hussiten besungen. Aber die Principien jener Zeit, in der die Dichtung entstand, lebten ja noch in einer idealen Höhe, von der sie erst langsam herabgekommen. Die demokratische Partei, zu welcher der Dichter zählt, glaubte – und glaubt noch! – an die Wiedergeburt der Völker durch die Freiheit und schwärmte für sie. Die Eroberungs- und Unterdrückungskriege sollten aufhören, die Völker gegen einander gerecht werden; der heiligen Allianz der Fürsten wurde eine heiligere Allianz der Völker als Zweck und Ziel gegenübergestellt.

Wie zu erwarten stand, ward das Buch in Oesterreich verboten und die Auslieferung des Verfassers verlangt. Derselben zu entgehen, begab er sich nach Paris und verlebte dort fast das ganze Jahr 1847. Er trat dort zunächst in die freundlichsten Beziehungen zu Heinrich Heine, dem er nach dessen Tode in seinem Buch „Heinrich Heine“ ein so pietätvolles Denkmal gesetzt. Mit vielen Größen kam er in Berührung, hörte die national-ökonomischen Vorträge Michel Chevalier’s, Physiologie bei Magendie, Astronomie bei Arago, verkehrte mit der Rachel und Alboni, mit A. Weill, Gautier, Gerard de Nerval, Dumas, Balzac, Alfred de Vigny u. A. Dabei studirte er die Schriften A. Comte’s, Proudhon’s, Louis Blanc’s.

Aber trotz all’ dieser Anregungen fühlte Meißner Heimweh und kehrte in der Hoffnung, daß die drückenden Verhältnisse in Oesterreich nicht von Dauer sein könnten, im November 1847 in die Heimath zurück. Er schrieb mir von da:

„Sie werden sich wundern zu hören, daß ich wieder in Prag bin. Wieder im schwarzen, klösterlichen Prag nach einem reichen bewegten Leben im bunten Paris. Der Sprung ist gewaltig und auch nicht ohne Gefahr. Ich glaubte der Heimath für eine weit längere Zeit Ade gesagt zu haben, aber es giebt Verhältnisse, die stärker sind als Alles: ich konnte den Bitten meiner Mutter nicht widerstehen! Sie ist krank und hat vielleicht nur wenig Jahre vor sich; alle ihre Wünsche liefen darauf hinaus, mich bei sich zu sehen – und ich ging zurück. Wird mir etwas Erhebliches geschehen? ich weiß es nicht; vor der Hand bin ich ganz in der Stille hier und lebe auf Alles gefaßt.“

Ueber denselben Gegenstand berichtete er im Januar 1848: „Mir und Moritz Hartmann wird nebenher der Proceß gemacht, aber das bringt uns nicht aus der glücklichen Ruhe, in der wir leben. Die Sache scheint sehr milde vorgenommen zu werden; auf ein erstes Verhör ist weiter kein zweites und auch noch kein Urtheil erfolgt. Unsre Aussagen waren gleichlautend und liefen auf das alte ‚Gott helfe mir, ich kann nicht anders!‘ hinaus, und daß man unter österreichischer Censur nicht schreiben könne.“

Und nun brach sie an, die Zeit, welche die Jahreszahl 1848 so groß gemacht hat, die Zeit die man erlebt haben muß, wie wir Alle, die wir damals in Jugend und Begeisterung auf sie gehofft, von ihr gesungen und doch ihre Nähe nicht geglaubt hatten – man muß sie mitgelebt haben, um zu wissen, wie Einem zu Muthe war bei all’ den hereinbrechenden Ereignissen! – Meißner schrieb mir Anfang März:

„Was sagen Sie zu der Zeit, in der wir leben? Was sagen Sie zu Frankreich? Seit acht Tagen komme ich nicht zu mir vor Bewunderung dieses Volks, das eine Revolution gemacht hat, so ideal, so schön, wie sie der beste Poet nicht schöner hätte träumen können. Der wäre ein schlechter Mensch, der jetzt ruhig fortschreiben könnte an Büchern, die der Zeit fern liegen. Seit ich die ersten Nachrichten von Frankreich erhalten, sind mir die Finger wie gelähmt zu aller Arbeit.“

Nur wenige Tage noch und die Revolution hielt ihren Siegeseinzug auch in Deutschland, auch in Oesterreich. – Meißner ward in Prag – wo sein Proceß nun natürlich vergessen war – in den böhmischen Nationalausschuß gewählt, verzichtete jedoch im Mai auf seinen Platz darin, begab sich nach Frankfurt a. M., wo er publicistisch thätig war, und stand in engen persönlichen Beziehungen zur demokratischen Partei, dem Club der sogenannten äußersten Linken, bis das große parlamentarische Gebäude in Trümmer ging und er wieder in die Heimath zurückkehrte.

Tieferschüttert durch alle Ereignisse, zunächst durch die Verurtheilung seines Freundes Trützschler, schrieb er mir aus Karlsbad 1849 mit seinem trefflichen Werke „Revolutionäre Studien aus Paris“, der Frucht seines dortigen Aufenthaltes (er war Weihnacht 1848 zum zweiten Male dahin gegangen): „Knüpft sich wirklich noch ein Werth an das geschriebene Wort und ist nicht alles Eitelkeit und Feigheit, was nicht That und praktischer Versuch ist? Ist es nicht beinah Ironie, das Wesen der Revolution darlegen zu wollen, wenn sie verröchelnd sich am Boden windet?“ –

Das ist die Stimmung, in der wir Alle waren, die wir uns in den Dienst der heiligen Sache der Freiheit gegeben – man mußte den Glauben an sie und an sich selbst retten, so gut man konnte. – Meißner schrieb das satirische Gedicht „Der Sohn des Atta Troll“ in schmerzlichem Verzweifeln. 1850 ging er auf einige Zeit nach London und lebte im Hause des Lord Russell, mit dessen Neffen innig befreundet. Hier sammelte er sich wieder zum objectiven Schaffen. Er schrieb das Drama „Das Weib des Urias“ in Opposition zu der hergebrachten Anschauung dieses Stoffes. Es hatte einen starken Reiz für ihn, den heiligen König David so darzustellen, wie er jedem gesunden Auge erscheint, das sich durch die später aufgetragenen Lasuren der Zusammensteller des alten Testaments nicht beirren läßt. Eben deshalb war das Stück nicht aufführbar. Ein zweites Drama „Reginald Armstrong“ oder „die Welt des Geldes“ ward in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_070.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2017)