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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

nehmen soll, nur darauf berechnet ist, den Volksunterricht den Jesuiten und anderen Ordensbrüdern in die Hände zu spielen und das Volk zu einer für den ultramontanen Obscurantismus förderlichen Verdummung zu führen, bedarf keines Beweises. Daran schloß sich ferner ein Bericht über die Bemühungen zur Gründung einer freien deutschen katholischen Universität, wofür Sammelvereine in allen deutschen Diöcesen errichtet seien und wofür sich ein Frauenverein unter dem Protectorate einer österreichischen Erzherzogin gebildet habe.

Auch ein Bericht über den Bonifacius-Verein wurde erstattet, woraus sich ergiebt, daß derselbe seine missionirende Thätigkeit besonders in Norddeutschland, in Schleswig-Holstein, Rügen, Pommern, in den Diöcesen Köln und Paderborn ausübt und im Jahre 1864 bei 60,000 Thlr. Einnahme 212 Missionsstellen, und zwar zur Hälfte geistliche und zur anderen Hälfte Lehrstellen, unterhalten hat.

Der Nimbus der Heiligkeit, womit sich die Männerorden zu umgeben wissen, zieht viele Personen, namentlich Frauen, von ihrer in dem Pfarr-Amte geordneten Seelsorge ab und jenen zu, und da wird denn jedes Mittel benutzt, die Gemüther zu erforschen und durch Einwirkung auf den beschränkten Verstand möglichen Schaden von der Kirche abzuwenden. So examinirte ein Ordens-Geistlicher eine bei einer protestantischen Familie in Dienst stehende katholische Magd: ob im Hause auch von religiösen Dingen mit ihr gesprochen werde? Anfänglich verneinte sie dieses, doch schließlich da fiel ihr ein, daß vor einiger Zeit der dreizehnjährige Sohn ihrer Herrschaft ihre Behauptung, daß die heiligen drei Könige katholisch gewesen, bestritten habe. Sie theilte es mit – der gelehrte Herr schüttelte den Kopf und meinte: wenn dergleichen Dinge öfters vorkämen, dann thäte sie doch besser, den Dienst zu kündigen. – So wird das Mißtrauen auch in das Innere der Familie gesäet und auch hier eine confessionelle Scheidewand gezogen.




Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.
Nr. 7. Hercules.

Der König von Hannover hatte während seines achttägigen Aufenthaltes in Langensalza sein Absteigequartier in dem höchst geschmackvoll eingerichteten Schießhause am Mühlhäuser Thore genommen. Zwischen diesem und der Stadtmauer befindet sich in geringer Vertiefung der ehemalige, jetzt ziemlich aufgefüllte Stadtgraben, während des Sommers und bei trockener Witterung von der Garnison als Reitbahn und Exercirplatz benutzt. An dieser sogenannten Reitbahn läuft in einer Höhe von etwa acht bis zehn Fuß ein Fuß- und ein Fahrweg. Der erstere ist als Promenade in seiner ganzen Länge an beiden Seiten mit Lindenbäumen bepflanzt.

Obwohl es im schönsten Sommermonat, im Juni, war, wo Alles grünt und blüht, so bot die lange Baumreihe dennoch einen gar traurigen Anblick. Die unteren Zweige der stattlichen Linden hingen blätterlos und zerknickt herab, der Luftzug schlug sie ächzend, wie klagende Arme, zusammen, die Stämme selbst hatten ihr gesundes Grüngrau verloren und ein schmutziges Braunroth angenommen. Wie geschah das? Es sei in Nachstehendem erklärt.

Die stolzen Sieger in der Schlacht bei Langensalza waren nach kurzer Spanne Zeit nur noch eine ungeordnete Schaar, welche mit Quersack, Mütze und Stock in die Heimath zurückkehrte. Die Capitulation des 29. Juni zwang sie, mit Ausnahme der Officiere, Pferde, Wehr und Waffen in den Händen ihrer Feinde zu lassen und ohne kriegerische Ehren abzuziehen. Viele der Heimkehrenden, darunter besonders die Familienväter, zeigten freudige Gesichter, andere gingen mit tiefbetrübter Seele von dannen. Dieses war besonders mit den meisten Cavaleristen der Fall. Ihr Unmuth war nicht ohne Grund und Entschuldigung.

Als ich an dem genannten Tage nach Langensalza kam, fand ich auf Straßen und Plätzen ein ungewöhnliches Menschengewühl. Ich brauchte nicht lange nach der Ursache zu forschen. Die hannöversche Cavalerie erschien von nah und fern, um ihre Pferde in die Hände der preußischen Commissäre abzuliefern. Vor dem Mühlhäuser Thore, in der Nähe des königlichen Hoflagers, geschah die Uebergabe und hier war das Gedränge von Mensch und Thier am stärksten. In langen, unübersehbaren Reihen, auf Promenade und Fahrweg, standen Roß und Reiter, aber wo war der kecke, übersprudelnde Lebensmuth des Letzteren geblieben und was hatte sein feuriges Roß so still und traurig gemacht? Matt und gleichgültig blickte es in das Gewühl oder nagte, wie unbewußt, an Blatt und Schale des Baumes, unter welchem es gegen den strömenden Gewitterregen nur einen schwachen Schutz fand. Mager, abgefallen und verkommen, im Schmutze starrend – also das sonst so schmucke, glänzende Thier.

Gleich in der ersten Reihe erblickte ich einen Schimmel, welcher mir sehr bekannt vorkam. Ich trat näher, richtig: Mann und Pferd gehörten am Tage vor der Schlacht zu meiner Einquartierung; das schöne Thier hatte schon damals meine Aufmerksamkeit erregt, in seiner jetzigen Abgetriebenheit und Lähmung erkannte ich es nur als Schimmel und an seinem Herrn wieder. Bei meiner Annäherung erinnerte sich der Hannoveraner auch meiner Person, streckte mir die Hand entgegen und rief: „Ah, sind Sie nicht mein freundlicher Wirth aus dem Dorfe –“

„N …,“ ergänzte ich, als ihm der Name unseres Ortes nicht gleich beifallen wollte.

„Richtig, N …,“ wiederholte er. „Ich erzählte Ihnen, daß mein Vater ebenfalls ein Bauer sei, ein Ostfriese, was Sie sehr interessirte. Lassen wir das jetzt, aber eine herzliche Bitte: hier ist ein Thaler; hätten Sie wohl die Güte, dafür in dem nächsten Bäckerladen ein Brod, vielleicht auch ein Glas Branntwein zu kaufen? Nicht wahr, du armer Hercules,“ wandte er sich an sein Roß, „hast gestern Abend die letzte Ration bekommen und seitdem nicht ein Körnchen Hafer gesehen. Wir armen Schelme haben keine Fourage mehr und die Preußen geben noch nichts her; so muß ich selbst mich deiner erbarmen. Dein Knappern an der Baumrinde sagt mir zur Genüge, wie es mit dir steht.“

Mit größter Bereitwilligkeit sprang ich nach dem Bäcker und brachte das Verlangte, auch holte ich noch aus dem nahen Gasthofe einen Eimer frischen Wassers. „Dank, tausend Dank,“ rief er, als ich mit dem kühlen Trunke ankam. „Sie sind ein braver Mann und haben auch ein Herz für die unvernünftige Creatur. Was doch das arme Thier so begierig frißt und dabei seine dankbaren Blicke auf uns richtet! O, es ist ein kluges Pferd und weiß so genau, wie ein Mensch, wer es mit ihm gut meint!“ Und in der That, bei jedem Bissen, welchen sein Herr darreichte, bog und bewegte es nach Pferdeart die Ohren, blickte ihn freundlich an, stieß ihn mit dem Kopfe, gleichsam als wollte es Scherz und Kurzweil mit ihm treiben, wieherte, hob die Augen nach seinen vierbeinigen Gefährten mit dem bedeutungsvollen Blicke: Wer von euch hat einen solch’ guten Herrn, der den Bissen des Mundes theilt?

„Sie haben wohl Ihr Pferd recht lieb?“ frug ich den Dragoner, als ich die gegenseitige Zärtlichkeit des Rosses und seines Reiters sah. „Trifft man solche Zuneigung auch bei Ihren Cameraden?“

„Ja,“ antwortete er, „der hannoversche Cavalerist liebt sein Pferd; kann es anders sein? Wer die Einrichtung und Geschichte unserer Cavalerie kennt, den wird das nicht befremden. Cavalerist und Pferd sind zwei Wesen zwar, aber fast wird man versucht, mit dem Dichter[WS 1] zu sprechen: ‚Zwei Seelen und ein Gedanke, zwei Herzen und ein Schlag!‘ Lache man immerhin, aber es ist so. Der Reiter hat nur Sinn für sein Pferd und dieses kennt und liebt nur ihn; auch sieht er es völlig als sein Eigenthum an, denn es ist nicht selten auf seiner väterlichen Besitzung geboren, groß geworden, mit dem Stammerben in’s Regiment getreten. Zwar hat es der Staat käuflich übernommen und seinem zeitherigen Besitzer nur klüglich zum Gebrauch überlassen, denn in dessen Hand scheint es ihm am besten aufgehoben; aber daran denkt der sogenannte ‚Bauernjunge‘ nicht mehr, ihm ist sein Pferd immer noch sein Eigenthum, sein bester Freund. In dieser glücklichen Täuschung erhält ihn der Staat selbst, indem er ihm das Thier, wenn es gehörig dressirt ist, mit auf die väterliche Besitzung

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich Halm (eigentlich Eligius Franz Joseph Freiherr von Münch-Bellinghausen), 1806–1871.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_074.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2017)