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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Zeichen sind. Es kommen wohl Zeiten, wo dem Waldbach ungewöhnlich viel wilde Gebirgscameradschaft zufließt und wo er die Mühlchen, die wie moosige Nestchen zwischen das graue Felsgestein geklemmt sind, ganz überfluthet; allein das schadet diesen Dingerchen nichts, sie halten etwas aus.

Der Leser geht nun mit uns an den Mühlchen vorüber, deren es in der Glanschlucht wohl an fünfzig giebt, und den steilen Waldweg, den unsere Illustration so verlockend andeutet, hinauf. Hier brachte in der That jeder Schritt uns neues Entzücken. Der Widerhall des Liedes „Du schöner Wald!“[WS 1] kam mir nicht aus dem Herzen. Immer neue Bilder zwischen den alten Stämmen, und immer näher die geheimnißvolle Welt der Sage, denn immer schwerer wird es den Sonnenstrahlen, durch den Blätterdom, den sie von außen schmückt, so daß man die goldgrüne Pracht über sich im Waldesdunkel sieht, bis hinunter zu dringen zu Fels und Moos. Wenn aber dennoch einmal das blaue Auge des Himmels groß hereinsieht, so begrüßt es um so freudiger Jubel. Der Weg an den donnernden Wasserfällen der Glan empor ist manchmal nicht unbedenklich und Vorsicht hier nicht zu verachten. Man thut wohl daran, sich nicht im Steigen zu laut zu freuen, sondern zum Genuß und Bejauchzen der Herrlichkeiten stille zu stehen. So standen auch wir plötzlich in beschauendem Schweigen. Unweit von uns schlich eine der weißen Frauen vorüber; oder war es ein schönes Moosfräulein? Wir sahen ihren blüthenweißen, wallenden Schleier mit goldenem Saume zwischen dem dunkeln Grün dahinwehen. Unser prosaischer Führer meinte zwar, das seien Dünste des zerstäubten Wassers, auf die ein siegreich durch das Blätterdach brechender Lichtstrahl gefallen sei. Aber der Mann hatte offenbar den rechten Glauben an Naturgeister nicht.

Jetzt standen wir vor einer Grotte und sahen tief unten die Wiege der Glan, da wird das Riesenkind ewig neu geboren. Natürliche Marmorstufen führen hinab. Lassen wir die Blicke zwischen den dunkelgrünen Wänden dahin schweifen bis zu der Stelle, wo das Wasser wie ein mattschimmernder Goldstrom in oft fabelhafter Menge hervorbricht, so klingt uns immer deutlicher und volltönender Gesang und Musik in’s Ohr, oft wild unterbrochen oder vermischt mit Seufzen und Kosen, Weinen und Lachen. Und doch liegt der Spiegel der gesammelten Wasser so ruhig da vor unseren Augen. Endlich steigen wir hinab zu ihm, und erst jetzt wird uns der wilde Chor klar, denn je näher wir kommen, desto lauter donnert uns das Brausen großer unsichtbarer Wasserstürze entgegen.

Das Wasser selbst ist ein unbeschreibliches Labsal. Sogar dem verwöhnten Gaumen der geistlichen Gebieter des Landes mundete es, denn reitende Boten mußten einst täglich von diesem Quell den Trunk für die erzbischöfliche Tafel holen, und das blöde Volk glaubte deshalb der erhabenen Geistergrotte eine Ehre anzuthun, daß es sie den „Fürstenbrunn“ nannte.

Farben und Töne spielen eine gewaltige Rolle in diesen Felsen- und Waldeshallen. Wie hoch oben hell und golden die Kuppel erglänzt und tief unten am Riesenfuß finster der Marmor starrt und dunkel Strauch und Moos ihn überschleichen, so klingt das Wald- und Wassergetön hoch oben leise und klagend, oder laut jubelnd und jauchzend, während, je tiefer hinab der Pfad steigt, je mehr die Felsen sich verengen, in desto dumpferes Donnern sich die Musik der Bergromantik verwandelt. Und haben wir[WS 2] endlich den Fuß des Riesen wieder erreicht und treten aus dem Walddunkel heraus in die lichte Ebene – wie still und öde ist’s da plötzlich um uns, wie verwundert blicken wir zum waldgeschmückten Marmorkoloß zurück, der sich in seiner erhabenen und finstern Majestät nach allen Seiten unübersehbar ausdehnt! Wir staunen, wie es möglich ist, daß derselbe Berg so nahe, kaum verdeckt vom grünen Faltenmantel, so großartige und ergreifende Bilder entrollen konnte.

Die meisten Naturfreunde verbinden mit dem Besuche der Marmelmühlen und der Glanquellgrotte gleich eine Besteigung des Untersbergs. Wir übergeben den reiselustigen Leser der Führung Adolph Schaubach’s, des gediegensten Kundigen in den deutschen Alpen, und werfen mit ihm zum Abschied nur einen Blick von dem höchsten, dem Berchtesgadener Hochthron des Untersbergs in die Fernen. Denn der Untersberg scheint ihm recht absichtlich hingestellt als ein Schaugerüste jener Alpenwelt; in alle Hauptthäler dringt der Blick, in das Wimbach- und Hinterseethal wie in den Felsensaal des Königssees. Die Bergriesen stehen wie sichere Wächter in einem Halbkreise umher, während im Norden die blassen blauen und gelben Linien des Flachlandes endlos sich verlaufen und endlich mit dem Himmel da verfließen, wo jetzt Straßen, Canäle und eiserne Wege die deutschen Länder verbinden, für welche der Kanonendonner des Jahres 1866 die Raben von den Kaiserbergen vertrieben hat, und wo Völker und Fürsten ihre Boten aussenden zur Neubegründung eines großen und einigen deutschen Reichs. So wollen die Kaisersagen des Nordens und Südens zur Wahrheit werden: um den Kyffhäuser blüht ein neues Deutschland auf, und vom Untersberg fällt der Blick in die Zukunft zwar nicht auf die untergehende Welt, aber auf einen zerbröckelnden Staat.




Blätter und Blüthen.


Für alle Chignons tragenden Damen. In der zweiten Nummer des hundertundeinundvierzigsten Jahrganges der St. Petersburger Zeitung vom 2. (14.) Januar machen wir die Bekanntschaft eines unsichtbaren Ungeheuers, das aber durch seine Massenhaftigkeit wohl noch furchtbarer ist, als das bekannte ähnliche Monstrum, die Trichine. Die St. Petersburger Zeitung gründet ihre Mittheilung auf medicinisch-wissenschaftliche Autorität und Untersuchung, welche in dem zu Petersburg erscheinenden „Archiv der gerichtlichen Medicin und öffentlichen Hygieine“ (Gesundheitspflege) zum ersten Male bekannt gemacht worden ist und zwar von dem deutschen Naturforscher Herrn Lindemann. Er sagt im Wesentlichen Folgendes: daß er ein neues mikroskopisches Schmarotzerthierchen, genannt Gregarine (d. h. in Heerden auftretendes Infusorium), näher beobachtet habe; es sei ein protocoisches Thierchen, ein auf der niedrigsten Stufe der Entwickelung des thierischen Organismus befindliches, komme nur parasitisch vor, nur als Schmarotzerthierchen, und zwar fast in allen Theilen des thierischen und menschlichen Körpers, also auch im Blute. Mit ihm schwimmt es im Körper auf und ab und nimmt, durch das Blut genährt, so zu, daß es nicht mehr seiner Neigung, in die inneren Röhrchen der Haare zu steigen, folgen kann und endlich im Körper oder in den Haaren selbst sitzen bleibt. Hier vermehrt sich die Gregarine dermaßen, daß sie bald ganze Colonien bildet, die Blutgefäße verstopft und dadurch eine ganze Reihe von Krankheiten erzeugt, wie Wassersucht, Engbrüstigkeit, die sogenannte Bright’sche Krankheit u. s. w. Sie kommt am auffallendsten in den menschlichen Haaren vor; aber das mit Gregarinen erfüllte Haar unterscheidet sich nur unter bewaffnetem oder sehr scharfem Auge von dem gesunden und zwar durch dunkelbraune Knötchen, die sich meist an den freien Enden des Haares befinden, Diese Knötchen sind ganze Colonien von Gregarinen. Herr Lindemann ließ sich von einem Friseur in Nishni-Nowgorod dreißig verschiedene Haarproben geben, von denen er zwanzig gregarinös fand. Er forschte nun nach den Orten, aus welchen diese Haare vorzugsweise bezogen werden; so erfuhr er, daß sie meist von den ärmsten Leuten, besonders von den Frauen und Mädchen der Mordwinen und Burlaken an der Wolga stammen. Wenn der Burlake im Frühlinge zur Arbeit auszieht, legt er vielleicht ein reines Hemd an, zieht es aber bestimmt nicht eher aus, als bis er im Herbste zurückkehrt. Daß sich bei dieser Lebensweise Strafthiere der Unreinlichkeit auf seinem Körper einfinden und entsetzlich vermehren, ist natürlich genug. Durch seine letzten Versuche hat Herr Lindemann entdeckt, daß fast jedes solche Strafthier (besonders die Laus, deren Nennung wir wenigstens in Parenthese nicht vermeiden können) in ihrem Darmcanale eine ungeheuere Menge Gregarinen enthält, und er überzeugte sich durch weitere Experimente auf’s Vollständigste, daß die Gregarinen der Menschenhaare von diesem Ungeziefer herstammen.

Wie kommen nun aber die Gregarinen in’s Fleisch und Blut der Menschen?

Hierbei sind die Damen die Hauptschuldigen, wirkliche Damen, reizende Geschöpfe in geschmackvollster Balltoilette, die blumengeschmückt, brillantenstrahlend, heiter, geistreich, im Vollgenusse des Lebens auch nur Glück und Leben um sich her zu verbreiten scheinen. Nein, es klingt zu entsetzlich, als daß wir diese Beschuldigung nicht wenigstens beschränken müßten und zwar auf die zusammengeknäulten Zöpfe von eignen und fremden Haaren, welche die Modedamen in mehr oder weniger großen Wulsten unter dem beschönigenden Namen Chignons auf dem Hinterkopfe tragen.

Die Sache geht so zu. Herr Lindemann überzeugte sich durch viele Versuche, daß die Gregarinen vom Austrocknen nicht sterben und auch nicht ausgekocht werden können. (?) Die Mittel, welche sie tödten könnten, wie Säuren, Alkalien, Aether etc., dürfen nicht angewendet werden, da diese die Haare selbst angreifen. Es bleibt den Friseuren also nichts Anderes übrig, als die zusammengekauften Haare, mögen sie noch so gregarinös sein, zu den Chignons und Lockenbauten der Modedamen zu verwenden. Nun überzeugte sich Herr Lindemann ebenfalls, daß sich die Gregarinen selbst bei einer nur schwachen Erhöhung der Temperatur und namentlich beim Zuströmen von Wasserdämpfen beleben, schnell wachsen und in einigen Stunden zu der vollständigen Entwickelung gelangen, welche ihre schnelle Vermehrung zur Folge hat. Wie kommen sie nun in das Innere des menschlichen Organismus?

Unter den glänzendsten Verhältnissen der modernen Gesellschaft. Man stelle sich einen Ballsaal vor. Die strahlenden Kronleuchter, der Tanz, die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. von Johann Meyer, 1829–1904.
  2. Vorlage: wird
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_079.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)