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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Brochüren, Mitarbeiter an verschiedenen Journalen, wie „Grenzboten“, „Volkswirthschaftliche Vierteljahrsschrift“, auch an der „Gartenlaube“, und regelmäßiger Correspondent mehrerer Zeitungen, wie der Kölnischen. Und dabei scheint ihm nichts Mühe zu machen, nichts Anstrengung zu kosten, und er findet noch immer Zeit und Muße für alle Genüsse und Ergötzlichkeiten, die das Leben zu bieten vermag. Mit Einem Wort, er ist eine jener vollen glücklichen Naturen, welche die Götter in einer Feiertagslaune erschaffen und mit ihren reichsten Gaben ausgestattet haben.

Seine große Verschiedenheit von Lang trat namentlich auch in den Kammerdebatten hervor. Des Letzteren Reden waren kurz und schmucklos, wenn auch nicht ohne schlagfertige und drastische Wendungen. Braun dagegen liebt Bilder und Gleichnisse, Citate und Sentenzen; auch die trockenste und ernsteste Sache weiß er durch Anekdötchen, historische Parallelen und mythologische Anspielungen zu würzen und zu illustriren. Während Lang seinen Gegnern gerade auf den Leib ging und sie mit Keulenschlägen zu Boden schmetterte, liebkost sie Braun, um ihnen dann ganz unversehens Püffe und Ohrfeigen zu versetzen, doch immer mit Grazie. Lang war ein fester, strenger Demokrat, der von seinen Gesinnungsgenossen gleiche Festigkeit und Strenge verlangte und starr auf das einmal gesteckte Ziel losging; Braun ist neben dem Demokraten zugleich Diplomat und Weltmann, er nimmt Jedermann wie er ist, weiß sich in Zeit und Umstände zu schicken und geht mit der Zeit und den Ereignissen.

„Sind Sie je mit dem Herzog in persönliche Berührung gekommen“ fragte ich Braun im Laufe unserer Unterhaltung.

„Vor Jahren sind Lang, ich und Andere von unserer Partei zuweilen nach Hofe geladen worden; wir folgten auch einige Male, ließen uns aber bald entschuldigen, da wir einsehen mußten, daß mit dem Landesherrn eine Verständigung nicht zu erreichen war. Da kann ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die Zweierlei beweist: einmal, daß der Herzog um Wissenschaften sich gar nicht kümmerte, und zweitens, daß er von jeher eine instinctive Furcht vor dem mächtigen Nachbarstaate Preußen hegte und sich stets mit der dunkeln Ahnung seines nunmehr erfüllten Schicksals trug. Wie Sie wissen, bin ich ein eifriger Jünger der Nationalökonomie und gründete im Verein mit den namhaftesten deutschen Vertretern dieser Disciplin 1858 den volkswirthschaftlichen Congreß zu Gotha. Also eines schönen Tages kommt der Herzog plötzlich auf mich zu und fragt: ‚Sagen Sie ’mal, lieber Braun, was ist denn eigentlich Volkswirthschaft?‘ Sie können sich mein Erstaunen denken, aber ich gab ihm, so gut es mir möglich war, eine kurze Erläuterung. ‚Ah!‘ sagte er sichtlich zufrieden, ‚dachte schon, es wäre wieder so ein preußischer Kniff.‘

„Sobald die Regierung sich den Klerikalen und Oesterreichern in die Arme geworfen,“ fuhr Dr. Braun fort, „betrachtete der Herzog jeden Liberalen als persönlichen Feind und Beleidiger seiner Person. Er duldete es – wenn er’s zuweilen nicht selber that – daß seine Umgebung an offener Tafel und vor seinen Ohren von den ‚Fortschrittsadvocaten‘ sprach und sie ‚Kerls‘ und ‚Canaillen‘ titulirte. Er gab zu, daß die officiösen Blätter den ganzen Stand der nassauischen Anwalte der ‚Beutelschneiderei‘ beschuldigten, ihn eine ‚Landplage‘, einen ‚Krebsschaden‘, ein ‚eiterndes Geschwür‘ nannten. Lesen Sie selber, sonst würden Sie diese Art von officiösem Stil nicht für möglich halten, folgenden Passus der ‚Neuen Wiesbadener Zeitung‘, des damaligen Regierungsblattes, vom Jahre 1863:

‚– – Im Uebrigen halten wir den Tag für den leuchtendsten Glanzpunkt in der deutschen Geschichte, als nach der Schlacht im Teutoburger Walde unsere Altvordern die römischen Advocaten, welche deutsches Recht verdrängt und mit römischen Formeln und Distinctionen in Germanien das Recht gebeugt hatten, abfingen, ihnen die Zungen ausschnitten und an Bäumen aufhängten. Wir selbst würden heute noch mit größtem Vergnügen einige Procuratoren, etwa an der Lichtweißhöhle, eigenhändig abschlachten, der Wissenschaft zum Sühnopfer, den Raben zum Fraß.‘

Auf speciellen Befehl des Herzogs wurden gegen mehrere der ‚Fortschrittsadvocaten‘, darunter immer wieder Lang und ich, wiederholentlich Untersuchungen wegen ‚Verletzung der Amts- und Dienstehre‘, ‚Ueberschreitung der Gebührentaxe‘ etc. eingeleitet; einige Amtleute waren auch so gefügig, uns zu verurtheilen, aber das Hofgericht sprach uns in der Appellation jedes Mal frei. Das versetzte den Herzog in Zorn, er ließ die Mitglieder des Gerichtshofes theils durch die officiellen Blätter als ‚ehemalige Advocaten‘ angreifen, theils machte er ihnen persönlich bittere Vorwürfe. Hören Sie ein Beispiel: Einer unserer kenntnißreichsten Juristen, der sich in seinen knapp zugemessenen Mußestunden mit antiquarischen Forschungen beschäftigte, wurde endlich zum Rath am Hofgerichts befördert, und als er, wie es vorgeschrieben war, deswegen dem Herzog zu danken kam, unterbrach ihn dieser: ‚Schon gut!‘ rief er. ‚Höre aber, daß Sie sich mit Nebendingen, Bücherschreiben etc. beschäftigen. Das gefällt mir nicht, führt auf fortschrittliche Abwege.‘ Der junge Rath wagte ehrfurchtsvoll einzuwenden, daß es seiner unterthänigen Meinung nach einem Beamten nur ersprießlich sein müsse, wenn er sich außerhalb seines Dienstes auch um die Wissenschaft kümmere. ‚Ach was!‘ schrie der Herzog, ‚Wissenschaft?! Verlange von meinen Dienern Gehorsam. Aber man gehorcht mir nicht, man verurtheilt meine Feinde, die Feinde des Landes nicht, man läßt sie frei ausgehen.‘

„Unter diesen Verhältnissen,“ fuhr Braun fort, „mußte der Beamtenstand schwer corrumpirt werden, und in letzter Zeit florirte ausschließlich die ‚holde Mittelmäßigkeit‘. Der Aerger und Haß gegen die ‚Fortschrittsadvocaten‘ war dem armen Herzog schließlich zur fixen Idee geworden und versetzte ihn in eine beständige nervöse Aufregung. Er las nichts weiter als die von Herrn Abt, berüchtigten Angedenkens, für ihn eigens geschriebene ‚Nassauische Landeszeitung‘, und als der Biedermann wegen Beleidigung und Verleumdung mehrerer Mitglieder unserer Partei zu einer Menge von Geld- und Gefängnißstrafen verurtheilt war, kam ihm von oben herab der Wink, diesen aus dem Wege zu gehen. Er verließ das Herzogthum und verfügte sich nach dem nahen Frankfurt, wo er in der neubegründeten ‚Kritik‘ seine Schmähartikel gegen uns fortsetzte und dadurch den Herzog auch ferner mit der allein ihm zusagenden Lecture versorgte. Der von der Hofcamarilla gegen sein Volk sorgsam abgeschlossene und so immer ärger verblendete Fürst war zuletzt zu dem Glauben gekommen, die wiederholten liberalen Majoritätswahlen seien nichts weiter als eine Fälschung der Volksabstimmung durch die ‚Fortschrittsadvocaten‘; und als der Krieg drohte und dann wirklich ausbrach, behauptete das Regierungsblatt, wir trügen daran die Schuld, und bot Alles auf, um den Pöbel gegen uns loszulassen. Hier werden Sie finden,“ schloß Braun, und übergab mir eine lange Folge von Nummern der ‚Nassauischen Landeszeitung‘, „wie man uns täglich und auf jeder Seite als ‚Spione‘, ‚Landesverräther‘ etc. bezeichnete.“

Am Abend dieser Unterredung starb Lang, nachdem er noch eine Viertelstunde vorher in der „Sternkammer“ gewesen; und als ich am nächsten Tage wieder zu Braun ging, fand ich diesen gar sehr verändert: mit überwachtem Gesicht, geschwollenen Augen und in nachlässiger Kleidung. Er hatte den Freund verloren, mit dem er von der Schulbank an, seit dreißig Jahren, fast ununterbrochen Hand in Hand gegangen, sowohl was die wissenschaftliche Ausbildung und politische Gesinnung, als die Berufswahl und Carrière betrifft. Beide befanden sich in gleichem Alter, im fünfundvierzigsten Lebensjahre; aber der Eine hatte bereits vollendet und war eine Leiche, der Andere stand noch blühend und kräftig da und ging wahrscheinlich einer noch langen Zukunft mit reicherem, umfassenderem Wirken und steigendem Ruhme entgegen.

Das ganze Land hatte sich daran gewöhnt, diese beiden Männer stets bei einander zu sehen und ihre Namen wurden nur zusammen genannt. Noch heute Morgen war Braun’s kleiner Junge an das Bett seines Vaters gekommen und hatte ihn in kindlicher Naivetät gefragt: „Onkel Lang ist gestorben; wann wirst Du denn sterben, Papa?“

Ebenso verschieden wie die beiden Freunde von einander waren, ebenso sehr ergänzten sie sich auch gegenseitig. Gerade ihre Verschiedenheit führte sie zusammen und ließ sie vereinigt so mächtig wirken und so Großes leisten. Bis in die letzten Tage pflegten sie an jedem Morgen ein paar Stunden mit einander spazieren zu gehen und dabei ihre Gedanken und Erfahrungen auszutauschen; daher konnte es scheinen, als ob sie die Rollen ausdrücklich verabredet und unter sich vertheilt hätten; indeß war das, wie auch Braun versicherte, keineswegs der Fall, sondern jeder handelte nach seiner Neigung und Begabung, wenngleich sich der Eine durch des Andern Ansichten und Rathschläge häufig leiten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_090.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2017)