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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und bestimmen ließ. Naturgemäß kamen auch zwischen ihnen zuweilen Meinungsdifferenzen, kleine Mißhelligkeiten und Eifersüchteleien vor, aber sie wurden stets bald ausgeglichen, indem der weiche versöhnliche Braun meist zuerst den starren zürnenden Freund aufsuchte und ihm die Bruderhand bot.

Wenn Braun an Kenntnissen und Talenten reicher war, so überragte ihn Lang durch Energie, Menschenkenntniß und Scharfblick. Auf diesen Scharfblick legte Braun auch jetzt, als er mit mir von dem todten Freunde sprach, den Hauptaccent; und wirklich hat er die Richtigkeit und Sicherheit dieses Blicks zu erproben oft Gelegenheit gehabt, ihn wider Wunsch und Vermuthen oft hinterher bestätigt gefunden und schließlich daran glauben gelernt. Lang’s Blick und Urtheil bewährten sich an den meisten Persönlichkeiten, mit denen die Freunde in ihrer politischen Thätigkeit freundlich oder feindlich zusammentrafen; beispielsweise auch an dem Prinzen Nikolaus. Dieser, Halbbruder des Herzogs und Präsident der ehemaligen ersten Ständekammer, ein junger, schöner, eleganter Herr, Liebling der Damen und von etwas großen Bedürfnissen, dazu nicht ohne Kenntnisse und Talente, spielte zuweilen den Liberalen und liebäugelte dann mit der Opposition. Er lud die Führer der Fortschrittspartei zur Tafel, rauchte mit ihnen gemüthlich eine Cigarre und bedauerte, auf die Regierung so gar keinen Einfluß zu haben, schlug sich jedoch in der letzten Stunde immer auf die Seite des Herzogs. Lang durchschaute bald die zweideutige Rolle, welche der Prinz spielte, und da er sich nicht äffen lassen wollte, zog er sich von ihm zurück, rieth auch Braun, desgleichen zu thun. Aber Braun meinte, sein Freund urtheile zu streng, und versuchte es noch eine Weile mit dem Prinzen, bis er sich denn auch gezwungen sah, ihn aufzugeben. Prinz Nikolaus hat, nebenbei gesagt, sein diplomatisches Talent auch in der neuesten so kritischen Zeit bewährt, wo er, ohne mit dem Herzog zu brechen und ohne andererseits der liberalen Kammermajorität offen entgegen zu treten, geschickt zwischen den Parteien lavirte und sich eine neutrale Stellung gewann, die es ihm jetzt möglich macht, auch bei der preußischen Regierung zwischen dieser und seinem entthronten Bruder den Vermittler zu spielen.

Die Blicke und Hoffnungen des nassauischen Volks sind jetzt vorzugsweise auf Braun gerichtet, ohne Zweifel wird es ihn in’s Norddeutsche Parlament entsenden, und diese Wahl würde eine ebenso verdiente wie glückliche sein; denn mit seinen reichen Gaben wird er dort, wie früher in der nassauischen Kammer, zu den bedeutendsten und angesehensten Mitgliedern gehören.




Auch ein heiliger Stuhl.


Das neue deutsche Parlament weckt aus vieljährigem Schlummer begrabene oder eingekerkerte Hoffnungen. Nachdem uns Preußen mit starken Waffen die Einheit gebracht hat, müssen wir von der Hand dieses lebenskräftigen Staates auch den Ausbau des Freiheitstempels erwarten. Die Hoffnungen und Bestrebungen des deutschen Volks sind auf Verwirklichung beider gerichtet, stehen zu fest und wurzeln zu tief auf geschichtlicher und dichterischer Grundlage in den Herzen aller gesunden Bestandtheile sämmtlicher Classen und Parteien, als daß wir hinreichenden Grund hätten, uns den Hoffnungslosen und Verzweifelten anzuschließen. Kaiser Friedrich der Rothbart hält sich zwar noch tief in seinem Kyffhäuser verborgen und war in Berlin während der Weihnachtszeit in einer Ausstellung als todtes Bild und gegen Entrée zu sehen. Die Raben fliegen und kreischen noch um seine feste, historische Felsenburg herum; allein er ist nicht todt, schlummert nur mit auf- und abzwinkernden Augen, jeder Zeit bereit, dem Rufe des deutschen Volkes zu folgen, als historischer und dichterischer Messias der Einheit und Freiheit in aller seiner Herrlichkeit und Macht hervorzutreten und alle Schätze des deutschen Reiches mitzubringen.

Ja, es ist gut, sich bei diesen Hoffnungen und Bestrebungen auf unsere Dichter und alten volksthümlichen Sagen zu berufen und die Wirklichkeit der Geschichte und die Thaten der Gegenwart damit gleichsam zu bekränzen. Unsere deutsche Kaisergeschichte und selbst die verunglückte deutsche Kaiserwahl des gewaltsam zersprengten deutschen Parlaments in der Paulskirche bilden eine solide historische Vorarbeit zu den jetzt wieder erwachten Hoffnungen des Volkes und den Bestrebungen der nach Berlin berufenen Vertreter des norddeutschen Staatenbundes. Sie finden unter Anderm auch einen historisch ehrwürdigen, frisch geschmückten, sehr soliden Stuhl auf einer malerischen Stelle am Rheine für den alten Rothbart, damit er von da aus die geeinigte deutsche Nation um sich versammele, ihr den Reichseid leiste und den Schwur der Treue und Thatkraft für Wiederbelebung und Ausbildung der deutschen Einheit und Freiheit von ihnen vernehme. Es ist der Königsstuhl bei Rhense am Rhein, unweit des bekannten Stolzenfels, auf welchem einst hoch unter freiem Himmel und mitten unter ihren Wählern die römischen Könige und deutschen Kaiser den Reichseid leisteten und den Schwur der Treue empfingen, das Denkmal eines politischen Protestantismus gegen päpstlichen und kirchlichen Einfluß, schon zwei Jahrhunderte alt, als die ersten Bannstrahlen aus Deutschland von hier aus gegen Papstthum und Concordat geschleudert wurden.

Freilich ist von dem alten Denkmal nur ein einziges Stück Säule übrig geblieben und der ganze Königsstuhl jetzt ein Neubau aus den Zeiten der ersten wiedererwachten deutschen Hoffnungen und Bestrebungen für die neue Erbauung politischer Freiheit und Einheit. Im Jahre 1840 bildete sich zu Coblenz ein Verein zur Wiederherstellung des 1808 abgetragenen Denkmals und sammelte zu diesem Zweck Beiträge in ganz Deutschland, die aber so spärlich flossen, daß König Friedrich Wilhelm der Vierte in seinem poetisch-romantischen Sinne für Erhaltung oder Vollendung historischer Denkmale zwei Drittel zu den auf dreitausend Thaler veranschlagten Kosten beitrug, wofür ihm denn auch der ganze neue Königsstuhl geschenkt ward. Dieser besteht aus einem aus Basaltlava aufgeführten, auf neun Pfeilern ruhenden Achteck und steinernen Sitzplätzen, zu welchen eine große Freitreppe führt, und erhebt sich in wunderschöner rheinischer Landschaftlichkeit hoch über die malerische Umgegend empor. Wir wollen dabei nicht unerwähnt lassen, daß das achtundzwanzigste preußische Infanterieregiment allein einhundertundfünfzehn und einen halben Thaler zu den Baukosten beitrug und zwar unter der Bedingung, daß der Pfeiler für den Sitz des Kurfürsten von Brandenburg mit dem preußischen Adler und der Nummer des Regiments geschmückt werde, welche jedoch von dem Comité, obgleich es das Geld annahm, nicht erfüllt ward.

Von der Gestalt und dem Totaleindruck des neuen Königsstuhls giebt die beigefügte Abbildung eine wahrheitsgetreue Vorstellung. Das einzige Stück von dem alten Denkmal ist der mittleren Säule eingefügt, von welcher die Schwibbogen ausgehen, die den eigentlichen Stuhl tragen und mit den Pfeilern eine zwölf Fuß hohe offene Halle bilden. Das ganze Bauwerk, obgleich noch nicht von dem verschönernden Roste der Jahrhunderte überzogen, macht in der wundervollen Gegend, welche es von seiner einsamen Stätte überschaut, einen inhaltvollen Eindruck und weist zum Theil in glorreiche Vergangenheit der deutschen Geschichte zurück, zum Theil in unsere vielbewegte Gegenwart hinein und in die Zukunft hinaus, welche aus diesen gegenwärtigen Bestrebungen ein neues Oberhaupt für den vereinsamten Königsstuhl und die fürstlichen Sitze daneben erwartet. Der erste Versuch, diese einsame, offene Halle mit frischem politischem Leben, mit dem neuen deutschen Geiste der Einheit und Freiheit zu erfüllen, mißlang, wie alle damaligen architektonischen Bestrebungen für Erbauung des Einheits- und Freiheitstempels. Mögen die jetzt mit andern Mitteln und für andere Formen aufgenommenen Versuche ein schöneres Ergebniß liefern!

Am Eröffnungstage des deutschen Parlaments in der Paulskirche zu Frankfurt, am 18. Mai 1848, zog ein großer Theil der Bevölkerung von Coblenz und der Umgegend nach einem feierlichen Hochamte in der Liebfrauenkirche hinauf zu dem festlich bekränzten Königsstuhl, zum Theil mit Musik, Gesang und fliegenden Fahnen. Es wurden feurige politische Reden und Gesangvorträge gehalten, wobei ein Redner sich als Wiedertäufer offenbarte und vorschlug, man sollte den Königsstuhl fortan Volksstuhl nennen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_091.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2017)