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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Dies hielt das Volk für eine Aufforderung, sofort selbst König zu spielen, und stürmte jubelnd die Freitreppe hinauf, vertrieb Redner, Sänger und Fahnenträger, wurde aber durch herabströmenden Regen und die noch dichter fallenden Hiebe einer allgemeinen Keilerei verhindert, auf den Königs- und Fürstensitzen die Herrschaft über das deutsche Volk auf längere Zeit zu übernehmen.

Der alte Königsstuhl diente ursprünglich besonders den rheinischen Kurfürsten und Bischöfen als Versammlungsplatz für ihre Berathungen und zur Weihung der aus dem Wahlrecht hervorgegangenen deutschen Kaiser. Man wählte dazu diese Gegend bei Rhense, weil die geistlichen Kurfürsten, nachdem aus dem deutschen Erb- ein Wahlreich geworden war und der Ausfall der Wahlen sehr bedeutend von ihnen abhing, hier einen bequemeren Mittelpunkt fanden, als in Denkelheim, dem Orte des früheren Königsstuhls, und weil sich die Volksmassen in Betheiligung an diesen

Der Königsstuhl bei Rhense am Rhein.

Wahlfeierlichkeiten von Mainz aus, der salischen Hauptstadt, wo sie sich versammelten, leichter anschließen und rings umher gruppiren konnten. Die Grenze der vier rheinischen Kurfürsten zog sich dem Königsstuhle gegenüber mitten durch den Rhein. Vielleicht trug zu dieser Verlegung des Königsstuhls auch der Umstand bei, daß Rhense eine Colonie von Rheims war, wo seit Philipp August alle Könige der Westfranken gekrönt wurden, und daß im Jahre 1308 die Wahlfürsten der Ostfranken zum ersten Male in der Nähe von Rhense zusammentraten. Bald darauf scheint der Königsstuhl gebaut worden zu sein; er wurde einige Jahrzehnte später zu einem der bedeutendsten Denkmäler der deutschen Geschichte, nämlich 1338, als hier eine große Kurfürstenversammlung im stolzen Gefühl ihrer Unabhängigkeit und im heiligen Groll gegen das oft mißbrauchte Nichtbestätigungsrecht des Papstes feierlich erklärte, daß der gewählte deutsche Kaiser als römischer König, wenn einmal in aller Form Rechtens gewählt, der Bestätigung durch den römischen Stuhl nicht mehr bedürfe, sondern berechtigt sei, die Güter und Rechte des Reiches zu verwalten und den Titel eines römischen Königs zu führen. „Darwider soll sich,“ wie es in dem betreffenden Schriftstück wörtlich heißt, „Keiner behelfen, mit keiner Dispensation, Absolution, Relaxation, Abolition, in integrum Restitution.“ Es würde mit Deutschland, namentlich mit den süddeutschen Staaten und Oesterreich, mit ihrer Cultur, mit ihrer Bildung, ihrem Wohlstande, ihrer Reife und Fähigkeit für deutsche Freiheit und Einheit viel besser stehen, wenn sie dieses vor mehr als fünf Jahrhunderten ausgesprochenen und geltend gemachten politischen Protestantismus gegen kirchliche Gewalt in weltlichen Angelegenheiten stets eingedenk geblieben wären.

Wir wollen hier nicht auf Untersuchungen eingehen, in welcher Zeit der Königsstuhl eigentlich gebaut worden sei, und auch die Kaiser nicht aufzählen, die hier gewählt wurden oder wenigstens den Reichseid leisteten, und beschränken uns auf Kaiser Karl den Vierten von Böhmen, 1346, den Pfalzgrafen Ruprecht den Dritten und Kaiser Maximilian, 1486, welche von hier aus ihre Weihe als deutsche Kaiser erhielten.

Die Geschichte ist mit dem Verfalle des deutschen Kaiserreichs aus diesen Säulen und Hallen gewichen und an die Stelle des Geistes sind Geister getreten, die hier spuken; namentlich soll ein böser Kobold noch heute Vorübergehende necken und in Furcht setzen, auch den Hexen des Rheins diente der Königsstuhl einst als Tanzboden, wie der Brocken oder Blocksberg den Schwestern des Nordens. Gleich diesen kamen auch sie auf Besenstielen mit fliegenden Gewändern und Haaren durch Nacht und Sturm herangeritten, um hier ihren Teufelscultus zu treiben und ihre schauerlichen Tänze aufzuführen. Der abergläubische Volksgeist ließ sich durch die wunderliebliche Gegend, aus welcher sich der Königsstuhl hervorhebt, nicht abhalten, sie mit Unholden und Kobolden zu bevölkern, wie er dies mit allen historischen Ruinen zu machen beliebt, aus denen der Geist gewichen ist. Doch wir halten uns an die Wirklichkeit, welche auch hier wieder solides Leben hervorrufen wird. Die große, neue Rheinstraße belebt sich und die Umgegend mit modernen, soliden Gestaltungen und Bestrebungen, mit Reisenden und Wanderern, welche ohne Furcht vor Hexen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_092.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2017)