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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

aber wenig Franzosen zu treffen sind und wo man stets eine gute Tafel und leichten Burgunder findet. Ein alter Edelmann, seiner politischen Gesinnung nach Legitimist, sprach sich gegen die herrschende Geschmacksrichtung in Paris aus; er tadelte das einförmige Repertoir der großen Oper, die Unsittlichkeit und Plattheit einiger neuen Dramen und sagte entrüstet: „Nie wäre bei den Bourbons, ja nicht einmal bei den Orleans, eine Therese in die Tuilerien gekommen!“

Mir gegenüber saß ein Herr, dessen Gesicht von einem dunklen Barte fast über die Hälfte beschattet war, seine großen Augen erinnerten mich lebhaft an den Baron und an Albanus; er sprach gar nicht, speiste mit vielem Appetit und während er sich eine Orange schälte (wobei seine aristokratischen Hände und ein Ring mit einem herzförmigen Rubin sichtbar wurden), bestellte er sich eine Flasche Champagner. In diesem Moment brachte ein Kellner dem Herrn ein kleines Billet. Er las es, runzelte die Stirn und zerriß es in kleine Stücke. Rasch stürzte er zwei Glas Champagner hinab und stand auf.

Mein Vetter fragte einen Herrn, in welchem der Theater der Kaiser am häufigsten zu sehen sei.

„Wenn Sie ihn heut’ sehen wollen, mein Herr, so besuchen Sie das Théâtre de la Gaieté,“ bemerkte höflich der Baron, dann verließ er, flüchtig grüßend, den Speisesaal.

„Hm,“ brummte der Edelmann, „woher hat denn dieser Herr so genaue Kunde über die Zeiteintheilung unserer Majestät?“

„Dieser Herr kann das leicht wissen,“ sprach der Hotelbesitzer; „er hat in den Tuilerien einen Cousin, der ist, glaube ich, viel um den Kaiser, einer seiner Lieblingsdiener.“

„Dann wollen wir gehen, ich hoffe, wir finden noch Platz,“ bemerkte ich. „Bitte, wie nennt sich jener Herr, und kennen Sie ihn schon lange?“

Der Hotelbesitzer erwiderte: „Gewiß, er speist schon seit vier Jahren allwöchentlich einmal bei mir; er heißt Herr von Albanus.“

„Ist der Herr Franzose?“

„Seiner Sprache nach, auch sagt er es selbst, doch habe ich ihn schon Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Polnisch sprechen hören, stets sehr geläufig, so weit ich es zu beurtheilen vermag.“

Eine halbe Stunde später saßen wir, mein Vetter und ich, im Théâtre de la Gaieté und zwar auf Plätzen, welche uns gestatteten, den Kaiser, falls er das Theater besuchte, deutlich zu sehen. Kurz vor Beginn der Vorstellung trat Napoleon der Dritte in seine Loge. Er ward mit Enthusiasmus empfangen, man klatschte und rief: „Vive l’Empereur!“ Besonders that sich ein Herr hervor, welcher zwei Ordensbändchen im Knopfloche trug, indem er applaudirte, als ob eine von ihm leidenschaftlich geliebte Theaterkönigin erschienen wäre. Ich faßte ihn scharf in das Auge. Er war es, aber diesmal ohne großen Bart, er, Albanus, der Baron, der Vater der schönen kleinen Julie. An seiner feinen Hand funkelte der herzförmige Rubin, den ich vor einer Stunde im Hotel bewundert hatte. Ob er auch mich sah, konnte ich nicht bemerken; es schien mir aber, als habe er seine Augen überall, wie ein Chef der Claque. Der Kaiser trat an die Logenbrüstung und dankte freundlich nach allen Seiten hin.

Nach dem Theater gingen wir in ein nahe gelegenes Restaurant zum Speisen. Zufällig trafen wir hier auch Gilbert.

„Wissen Sie schon, welch’ ein Glück mir zu Theil geworden ist, Eugen?“ rief er mir entgegen.

„Nein.“

„Ich bin der Lehrer des schönen kleinen Mädchens geworden, das wir neulich in der Galerie sahen; sie hat ein merkwürdiges Talent für Malerei. Ihr Vater hat mich im Louvre malen sehen und gefragt, ob ich seine Tochter unterrichten wolle. Natürlich sagte ich mit Freuden Ja.“

„Wer ist der Herr? wo wohnt er? hat er mehr Familie?“

„Albanus, Herr von Albanus, er bewohnt ein mit Rasenplätzen und blühendem Gebüsch umgebenes Landhaus unweit von der Villa Rossini. Seine Gattin, eine Deutsche, ist ebenso schön, wie das Kind, kaum dreißig Jahre alt. Andere Kinder hat das Ehepaar nicht, welches sich zärtlich liebt. Ich fahre wöchentlich zweimal zu meiner Schülerin, deren erste Versuche mich mit Staunen erfüllt haben.“

„Was ist das Geburtsland des Herrn von Albanus?“

„Ich weiß es nicht, er nennt sich einen Kosmopoliten, Eugen.“

„Im Vertrauen gesagt, Gilbert, ich halte den Herrn, ungeachtet er sicher nicht ohne Gutmüthigkeit ist, für ein Mitglied der geheimen Polizei, deren Dasein man nicht sofort bemerkt, die aber vorhanden ist.“

„Hahaha, Unsinn!“ versetzte er. „Albanus war, auch im Vertrauen gesagt, im Jahre 1848 in Deutschland auf den Barricaden; er ist aus Oesterreich und Preußen verbannt. Uebrigens lebt er zwar sehr anständig, doch durchaus nicht luxuriös, und man darf seine Gattin, sein Kind, ihn selbst nur ansehen, so weiß man, daß dieser Mann nicht fähig ist, einen Andern in’s Gefängniß zu liefern.“

Ich sagte nichts mehr, sondern dachte, was ich wollte. Das herrlichste Aprilwetter lockte meinen Cousin in das Boulogner Wäldchen. Gern begleitete ich ihn, der sehr wünschte, bei dieser Gelegenheit den kaiserlichen Prinzen spazieren reiten zu sehen. Das Glück war ihm günstig; auch der Kaiser kam gefahren, stieg aus und schlenderte sorglos, als habe es nie einen Pianori oder Orsini und ihre Bomben gegeben, zwischen den Lustwandelnden umher, obgleich einige Blousenmänner, wohl auch einer oder der andere den Landmann aus der Provinz verrathende Spaziergänger dem Kaiser ziemlich nahe kamen. Am nächsten betrachtete ihn ein Herr, dessen Anzug und Art, den Hut zu tragen, ihn als Engländer kennzeichneten. Als er dem Beherrscher der Franzosen fast ganz auf den Leib gerückt war, grüßte er ehrerbietig, der Kaiser erwiderte diesen Gruß und lächelte.

Mein Vetter raunte mir in das Ohr: „Der Kaiser ist doch ein Mann voll Muth.“ Ich antwortete nicht, denn ich heftete meine Blicke nur auf den Engländer. Ohne Bart, ohne Brille stand er da, kein Anderer als – Albanus. Unwillkürlich mochte ich ihn ziemlich lange angestarrt haben, denn ich bemerkte, daß er die Farbe veränderte.

Mehrere Abende hintereinander hielt mich Arbeit in meinem Zimmer, erst nach einigen Tagen ging ich wieder in’s Freie. Wie von einem Magnet angezogen, schlug ich den Weg nach der Villa Rossini ein und suchte in deren Nähe mir unter mehreren kleinen Häusern und Villen die auf, welche ich mir als Wohnung der Familie Albanus vorgestellt hatte. Endlich sah ich Rasenplätze, blühende Goldregen-, Schneeball- und Syringenbüsche. Zwischen ihnen spielten zwei anmuthige Gestalten Federball, eine schöne, schlanke Mutter mit ihrem reizenden Töchterchen, mit Julie. Indem ich Beide in einiger Entfernung betrachtete, kam ein Herr aus dem Hause, sah sich forschend nach allen Seiten um, gewahrte mich und ging rasch, ohne Mutter und Tochter bemerken zu wollen, dem Innern der Stadt zu. Um nicht indiscret zu erscheinen, schritt auch ich davon, ohne Albanus zu beachten. Die herrliche Frühlingsluft lockte mich immer weiter. Es war nur angenehm, endlich einmal auf längere Zeit dem Pariser Straßenlärm entronnen zu sein, und ohne mich sonderlich um meine Umgebungen zu bekümmern, ging ich in Gedanken vertieft in’s Blaue hinein. Endlich sah ich mich um und gewahrte ein kleines, einsam stehendes Haus, dessen Schild den Gasthof anzeigte. Ich trat ein; im Zimmer, in das ich kam, sah es nicht eben elegant, aber doch behaglich und sauber aus. An einem Seitentische saßen zwei bärtige Männer, deren Mienen nichts Vertrauenerweckendes hatten, hinter ihrer Flasche. Sie sprachen wenig, Französisch, aber mit ausländischem Accent, ich hielt sie für Italiener. Ich bestellte mir Wein und erhielt vortrefflichen. Der Wirth setzte sich an einen großen Tisch und speiste mit vielem Appetit, ich selbst bekam Hunger und ließ mir die aufgetragenen Speisen schmecken. Auf die Männer am Seitentische achtete ich wenig, und als ich einmal aufblickte, sah ich, daß sie eben aufstanden und fortgingen. Als ich mit dem Wirthe allein war, sagte derselbe zu mir: „Sind Sie nicht ein Deutscher, Herr?“

„Allerdings, mein Herr.“

„Dann sind wir Landsleute,“ gab er mir zur Antwort. „Wüste Gesellen, welche eben fortgingen! denken Sie aber deshalb nichts Uebles von meinem Hause und sprechen Sie wieder zu. Ein Wirth kann eben seine Gäste nicht wählen.“

„Sehr natürlich. Halten Sie jene Männer für gefährlich? Und in wie fern?“

„Hm, man kann freilich nicht immer nach den Gesichtern urtheilen, aber unter zehn Mal trifft es doch neun Mal zu, daß,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_094.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2017)