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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Blätter und Blüthen.


Eine Messe in der Sistina. Der Zutritt zu den Feierlichkeiten einer päpstlichen Messe in der Sixtinischen Capelle ist bei der Beschränktheit des Raumes ein Privilegium der Fremden geworden. Diejenigen, welche im schwarzen Frack erscheinen und sich als Fremde legitimiren, werden eingelassen, Einheimische dagegen zurückgewiesen. Der römische Volkswitz behauptet daher, daß man erst Ketzer werden müsse, um den Papst fungiren zu sehen. Für die Damen besteht der vorgeschriebene Anzug in schwarzseidener hoher Robe, in schwarzem Schmuck und einem schwarzen Spitzenschleier statt des Hutes, ein Costüm, in welchem die Ladies sich theilweise recht sonderbar ausnehmen.

Den Aufgang zur Capelle, welche bekanntlich im Vatican liegt, bildet die sogenannte Scala regia, eine prachtvolle Treppe mit großem Porticus, welche, vom seitwärts einfallenden Sonnenlichte erhellt und von Schweizern, Cardinälen, Pagen und Abbés belebt, ein unvergleichliches Interieur bildet. Beim Eintritt in die Capelle selbst wird man durch deren Einfachheit überrascht. Während die meisten Kirchen Roms mit Gold und Marmor überladen sind, besteht hier der einzige Schmuck in den berühmten Fresken Michel Angelo’s, welche vom Zahne der Zeit schon bedeutend gelitten haben.

Zur Linken des Altars ist ein Thron für den Papst errichtet; an den Wänden umher läuft eine Sitzreihe, welche für die Cardinäle bestimmt ist; die Sänger befinden sich in einem vergitterten Balcon zur Rechten, und das Ganze wird von dem für das Publicum bestimmten Raume durch eine Schranke getrennt, deren Eingang von einer Dragoner-Wache mit gezogenen Schwertern besetzt ist. Im Uebrigen versieht die Schweizergarde den Dienst, große, bärtige Leute im Costüm der Landsknechte des Mittelalters, mit mächtigen Hellebarden bewaffnet. Auch alle übrigen handelnden Personen erscheinen in ihrem alten, historischen Costüm: die camerieri segreti (Kammerherren) im schwarzen, spanischen Anzuge, die Sänger in violetter Seide mit einem Spitzenkragen, der Senator (Bürgermeister) von Rom im langen Purpurgewande mit einem Gefolge von sechs kleinen Pagen. Allmählich kommen die Cardinäle angefahren, jeder in einer schwerfälligen rothen Carosse mit schwarzem Gespann. Die drei Diener, welche vorschriftsmäßig hintenaufstehen müssen, tragen merkwürdigerweise lange Kutschermäntel und haben auf dem schmalen Brete kaum Platz, so daß man jeden Augenblick erwartet, einen herunterfallen zu sehen. In die Capelle folgt der Eminenz nur ihr Hausabbé, welcher die Schleppe trägt, das rothe Gewand und den Hermelinkragen zurechtzupft und dann auf einer niedrigeren Sitzreihe zu den Füßen seines Herrn und Meisters sich niederläßt. Uebrigens sieht man es diesen einst so furchtbaren Kirchenfürsten an, daß ihre Rolle in der Geschichte ausgespielt ist. Nur wenige Gesichter haben noch den Ausdruck geistlichen Hochmuths; die übrigen sind gutmüthige Greise, welche sich kaum die Mühe nehmen, die eingelernte Rolle mit Würde zu spielen. Der einzige bedeutende Kopf ist Antonelli, welcher ohne Affectation seine Ueberlegenheit zur Schau trägt. Wenn die Cardinäle versammelt sind, so treten durch die rechts vom Altare in den Palast führende Thür verschiedene Hausprälaten, Kammerherren und sonstige Würdenträger ein, deren Erscheinen die baldige Ankunft des Papstes verkündet. Endlich erscheint dieser selbst, inmitten eines Schwarmes von geistlichen und weltlichen Hofleuten; die Cardinäle erheben sich, die Operngläser der Fremden richten sich auf die Thür, und die Sänger intoniren ein Halleluja. La santità del nostro Signore (wie der Papst in der officiellen Sprache heißt) trägt ein weißes, goldgesticktes Gewand und ist ein recht gut aussehender alter Mann von einnehmender Gesichtsbildung. Das Haupt schmückt bei dieser Gelegenheit nicht die dreifache Krone, sondern eine Art spitzer Bischofsmütze, welche mit Goldpapier überklebt ist und die ihm während der Ceremonie mindestens zehn Mal abgenommen und wieder aufgesetzt wird. Sobald der Papst auf dem Throne Platz genommen hat, beginnt der Handkuß der Cardinäle, indem diese in langer Procession, jeder mit seinem Schleppenträger hinter sich, die Stufen des Thrones hinansteigen, die vorgestreckte Hand des Papstes küssen und dann auf ihren Platz zurückkehren. Hiernach nimmt der eigentliche Gottesdienst seinen Anfang. Ein Mitglied der Prädicanten-Brüderschaft hält dabei eine lateinische Predigt, welche wegen der fremdartigen italienischen Aussprache unverständlich bleibt, der aber das Hauptverdienst einer Predigt, die Kürze, nicht abzusprechen ist.

Das Interessanteste bei der ganzen Ceremonie und ein wirklicher Kunstgenuß ist die Musik der päpstlichen Capelle, welche, wenn auch aus bekannten Gründen nicht mehr so vorzüglich, wie in alter Zeit, doch noch immer vortrefflich geschult ist und nur ausgezeichnete Compositionen alter Meister – Palestrina, Allegri u. A. – vorträgt. Es giebt in der Sistina weder eine Orgel noch Instrumentalmusik. Die Sänger executiren Alles allein, und es ist erstaunlich, wie sie im Stande sind, in langen Fugen, ohne Begleitung, mit größter Sicherheit den Ton zu halten. Dabei werden die einzelnen Figuren, Triller etc. mit außerordentlicher Präcision ausgeführt, und der strenge Stil der Compositionen macht einen um so wohlthuenderen Eindruck, als man bekanntlich sonst in den italienischen Kirchen ganz unpassende Sachen, Opernarien und Tänze, hört. –

Die Messen in der Peterskirche verlaufen in ähnlicher Weise, nur daß Alles noch feierlicher und glänzender ist. Der Papst erscheint hier in Procession, von acht Dienern auf der Sella gestatoria getragen, mit den beiden Pfauenwedeln zur Seite und die dreifache Krone auf dem Haupte. Der feierlichste Moment ist der, wo der Papst den Abendmahlskelch an den Mund setzt, alles Volk auf die Kniee sinkt und aus der Wölbung der Peterskuppel eine unsichtbare Musik wie vom Himmel herabtönt. Uebrigens ist das Ganze etwas anstrengend; denn nur für die Damen sind Sitzplätze reservirt; die Herren müssen während der ganzen Feierlichkeit stehen. Trotzdem verfolgt man die Ceremonie mit dem höchsten Interesse, denn als historisches Bild hat sie noch immer den größten Reiz. Man sieht hier den ganzen äußeren Apparat, womit das Papstthum Jahrhunderte hindurch die Welt beherrschte. Dieser Apparat ist mit einem meisterhaften Geschick zur Hervorbringung der größten Wirkung benutzt. Wie die Peterskirche – Alles in Allem genommen – gewiß das größte Bauwerk ist, welches Menschenhände geschaffen haben, die Pyramiden und die ägyptischen Felsentempel nicht ausgeschlossen, so hat auch kein anderer Cultus die berechnende Feierlichkeit und den mysteriösen Effect der päpstlichen Messen erreichen können. Aber der kritische Geist dringt endlich durch alle Hüllen, womit das Priesterthum sich umgeben mag. Kein theatralisches Gepränge kann zuletzt die Hohlheit des inneren Kernes verbergen, und einst wird die schmucklose Wahrheit den Thron einnehmen, welchen eine schlaue Theokratie so lange mit blendendem Glanze erfüllt hat.


Noch einmal das Thierleben an der Eisenbahn. Ich fuhr vor einigen Jahren sehr oft von der unsrer Stadt naheliegenden Station Bornitz, zwischen Riesa und Oschatz, nach Leipzig. Wie überall, wo die Bahn nicht vor der Thür, sondern entfernt vorübergeht, war auch ich immer zeitiger als nöthig in Bornitz und unterhielt mich bis zur Ankunft des Zuges mit dem freundlichen Bahnwärter Schmidt, der gleichzeitig als Billeteur fungiren muß, weil Bornitz Nebenstation ist. Die Bahn läuft dort eine ziemliche Strecke geradeaus und eines Tages, als ich wieder auf den Zug wartete und aus langer Weile auf einem Schienengleise balancirend hin und her ging, fiel mir in einiger Entfernung vom Bahnwärterhause ein dunkler Punkt in der unmittelbarsten Nähe der Schienen auf; ich befragte hierüber Schmidt, der mir denn sagte, daß dies ein „Lerchennest“ sei und daß die Alten eben jetzt Junge hätten. Ich ging sofort hin und fand seine Aussage zu meinem Erstaunen bestätigt. Das Nest war an der Außenseite der Schienen, wohlweislich, weil innen der Räderfalz geht (ist dies auch blos Instinct?), fest an die Schiene angebaut, und munter flogen die Alten ab und zu und fütterten. Spaßhaft, aber auch zugleich rührend war es, nach Aussage Schmidt’s, wenn ein Zug kam, als die Alte brütete, und später, als die Jungen ausgekrochen waren. Die Frau Mama hat sich beim Kommen des Zuges nicht vom Nest gerührt, sich niedergeduckt und erst nach Hinwegrollen des Zuges das Nest verlassen. Später, als die Jungen größer geworden, die Alte mithin dieselben nicht mehr bedecken konnte, die Jungen auch beim Kommen des Zuges unvorsichtig aus dem Neste guckten, hat Schmidt aus Vorsorge, es möchte einem derselben einmal doch das Köpfchen zerfahren werden, das Nest weggenommen und seitwärts an den Bahndamm gesetzt, wo denn auch sämmtliche Junge glücklich ausgeflogen sind.

Es ist dies jedenfalls ein neuer Beweis von der Vorliebe, mit welcher viele Thiere sich gerade an den Eisenbahnen heimisch machen, ein neues Beispiel zu den neulich in Ihrem Blatte angeführten, und es würde mir unglaublich erschienen sein, wenn ich nicht selbst es gesehen hätte.




Die Pfahlbauten des Neuenburger Sees. Seit einer Reihe von Jahren haben die zunächst in mehreren der Schweizer Seen aufgefundenen sogenannten Pfahlbauten, d. h. Ueberreste von Bauten und Geräthen aus einer vorgeschichtlichen Periode, aus der Stein- und Bronzezeit, das Interesse nicht nur der Gelehrten, sondern der gesammten gebildeten Welt auf sich gezogen und bereits eine förmliche Literatur hervorgerufen. Eine der bedeutendsten Schriften dieser letzteren ist das von dem bekannten Neuchâteler Geologen Professor E. Desor veröffentlichte Werkchen über die Pfahlbauten des Neuenburger Sees, von dem im Adelmann’schen Verlage zu Frankfurt a. M. Friedrich Mayer eine mit sehr gelungenen Holzschnitten ausgestattete deutsche Bearbeitung gegeben und das Smithsonion-Institut in Washington soeben eine illustrirte Uebertragung, der Congreß der Vereinigten Staaten selbst aber eine in zehntausend Exemplaren verbreitete Volksausgabe veranstaltet hat. Nichts dürfte wohl mehr für den Werth dieses Buches sprechen, auf das wir später ausführlicher zurückzukommen denken, als dieser letztere Umstand.




Berichtigung. In unsere kleine Notiz über Koberstein’s vortrefflichen „Grundriß der deutschen Nationalliteratur“[WS 1] hat sich ein recht unangenehmer Irrthum eingeschlichen: der Verfasser des Buches ist nämlich noch nicht todt, sondern erfreut sich glücklicher Weise noch des besten Wohlseins. Allerdings war er aber bedenklich erkrankt, so daß schon verschiedene Blätter von seinem Tode berichtet hatten. Daher auch unser Irrthum. Möge sich der alte Volksglaube, daß ein Todtgesagter dafür um so länger lebe, auch an dem hochverdienten Lehrer der alten Schulpforte bewähren!

D. Redaction.




Inhalt: Die Brautschau. Ein Bild aus den oberbairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Schluß.) – Das Haus mit den drei Leiern. II. Mit Illustrationen. – Hinter der Mainlinie. Kosmopolitische Weltfahrten und Erinnerungen. Nr. 4. Aus der „Sternkammer“ in Wiesbaden. – Auch ein heiliger Stuhl. Mit Abbildung. – Pariser Bilder und Geschichten. Seltsamer Beruf. – Blätter und Blüthen: Eine Messe in der Sistina. – Noch einmal das Thierleben an der Eisenbahn. – Die Pfahlbauten des Neuenburger Sees. – Berichtigung.




Die Deutschen Blätter, Literarisch-politische Feuilleton-Beilage zur Gartenlaube, Nr. 5 enthalten: Ein muhammedanisches Glaubensfest. – Umschau: Eine süddeutsche Stimme über das neue Deutschland. – Das Kaiserreich amüsirt sich. – Dramatischer Zeitstoff. – Krieg und Frieden. – Für die Schillerstiftung. – Ein Kabel-Roman. – Vorträge über den Gang der Weltgeschichte. – Ein glücklicher Gedanke.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_096.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2017)