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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Verkehr zusammentraten, nach und nach größere Consortien bildeten, von denen Einzelne als Geschäftsführer von der Gemeinde- oder Domanialverwaltung bestimmte Walddistricte in Pacht nahmen, die Arbeit des Tannenzapfenbrechens bezirksweise verrichteten und dann dem Staate oder größeren Händlern die eingesammelten Zapfen für gemeinsame Rechnung verkauften.

Vor etwa sechszig Jahren hatte im Orte Heinrich Keller, durch seine Kenntnisse in der Botanik und Technik, wie durch seine praktischen Erfahrungen im Samenhandel unterstützt, sich über alle übrigen Bewohner emporgeschwungen. Des Geschäftsbetriebs wegen verlegte er seine Samenhandlung nach Darmstadt, kaufte sich vor der Stadt ein so umfangreiches Besitzthum an, daß er die Reinigungsanstalten von Stufe zu Stufe verbessern und erweitern konnte, scheute weder Opfer noch Mühe und verwandte insbesondere den größten Fleiß und die unerschütterlichste Ausdauer auf die Verbesserung der sehr umfangreichen Feuerungsanlagen und auf die Erfindung solcher Maschinen, welche den Geschäftsbetrieb vereinfachten und erleichterten und so die Production steigerten.

Die großartigen Klenganstalten, welche von dem jetzigen Eigenthümer, Heinrich Keller, dem Sohne des Gründers, im Jahre 1861, nach den neuesten Erfahrungen und Verbesserungen in angemessenem und schönem Baustile umgebaut und bedeutend vergrößert wurden, bilden mit den neuesten Einrichtungen, namentlich der Dampfdarre, in diesem Geschäftszweige nicht allein die größte Fabrikanlage Deutschlands, sondern auch neben Lawson in Edinburg und Villemorin-Andrieux in Paris die größte der Welt. Das Wort „Kleng“ kommt von klingen; ausklengen bedeutet in der forstwissenschaftlichen Sprache, die Nadelholzsamen durch Wärme und nachfolgendes Dreschen aus den Zapfen bringen, klingend herausspringen machen. Wenn man das Ohr an die geschlossenen Räume in der Fabrik legt, worin auf Horden die Samenzapfen der Nadelhölzer eingeschlossen sind, so könnte man beinahe sagen, daß sich bei der Geschwindigkeit und den Veränderungen der Dichtigkeit der Wärme, durch die sich die Samenkapseln unter verschiedenen Klängen öffnen, eine „eigenthümliche Musik“ hören lasse. Keller’s Anstalt befaßt sich hauptsächlich mit dem Ausklengen von Kiefern-, Fichten- und Lärchenzapfen. Diese werden im Herbste und Winter von dem weniger bemittelten Theile der Landbevölkerung, namentlich Griesheims, in den umfangreichen Nadelholzwaldungen gebrochen und zum Verkaufe in die Fabrik gebracht. Zu diesem Zwecke beschäftigt dieselbe während der Wintermonate bei einer vollkommenen Ernte nahezu eintausend Menschen, welche sich über das ganze Großherzogthum Hessen und einen Theil der angrenzenden Länder verbreiten und dabei einen willkommenen und lohnenden Verdienst finden. Mit der Klenganstalt sind mehrere Zweiggeschäfte verbunden, welche für deren Rechnung arbeiten. Diese befinden sich zu Nieder-Ingelheim und Manbach in Rheinhessen, zu Iggelheim und Sand in Rheinbaiern und Lützelwiebelsbach im hessischen Odenwald.

Die Tannenzapfenbrecher, namentlich die Griesheims, die sich in größere und kleinere Genossenschaften in den Kiefernwaldungen zwischen Rhein, Main und Neckar vertheilen, sind in grobe Leinwand gekleidet. Wollene Kleidung würde ihnen bei Besteigung von oft hundert Fuß hohen Bäumen hinderlich sein. Bei rauher und regnerischer Witterung schützt ein ausgetragener Soldatenmantel die Glieder und eine leichte Mütze den Kopf. Mit den an kernhaften Stiefeln oder Gamaschenschuhen angebrachten Steigeisen klettern diese „Tannenvögel“, an Kühnheit, Gewandtheit und Sicherheit mit Eichhörnchen und Spechten wetteifernd, mit kräftigen, weithin hörbaren Tritten pfeilschnell zu den Kronen der Bäume, bis zu den schlankesten Wipfeln empor und das Knicken der Zweige, an welchen die Zapfen sich befinden, verkündet die rege Arbeit. In einem leinenen, über die Schulter geworfenen Sack sammeln sie die Zapfen und die, welche sie mit ihren Armen und Händen nicht erreichen können, werden mit ihrem einzigen Werkzeuge, einer Stange, die einen Zoll dick und acht bis zehn Fuß lang, an einem Ende mit einem Haken versehen ist und beim Steigen im Knopfloch getragen wird, von den schwankendsten und höchsten Zweigen „heruntergeangelt“. Hat der fleißige Arbeiter mit den harzduftenden Tannenzapfen seinen Sack gefüllt, so fährt er von seinem luftigen Throne eben so schnell und sicher wieder zur Erde herab und schüttet seinen Sack voll auf Haufen, wärmt sich an dem mit Tannenzapfen unterhaltenen Feuer, und so geht die Arbeit bis zur einbrechenden Abenddämmerung fort.

Auch in Thüringen wird dieses Klengen emsig betrieben. „Oftmals rauscht es,“ erzählt Schacht in seinem berühmten Buche ‚der Baum‘, „in der Tanne höchsten Wipfeln (auf dem sogenannten höhern Thüringer Walde, bei Katzhütte, Neuhaus, Igelshieb etc.), man glaubt ein Eichhörnchen dort beschäftigt und sieht statt dessen einen Menschen in schwindelnder Höhe. Es ist ein ‚Kustelnsteiger‘, der mit bewunderungswürdiger Gewandtheit von Zweig zu Zweig, von Baum zu Baum klettert, um Kusteln (Tannenzapfen) zu sammeln. Die Kühnheit dieser Leute geht so weit, daß sie, auf dem Wipfel einer hohen Tanne sitzend, den Baum des dicht geschlossenen Bestandes zum Schwanken bringen und, wenn seine Aeste sich der Krone einer andern Tanne nähern, mit einem schnellen Satz hinüberspringen.“

Der Reiz der Arbeit beruht im freien Leben der Natur, in der Cameradschaftlichkeit, in dem Wechsel von Gefahr, die oft groß, und der Sicherheit der Gewohnheit; dann auch im Lohn, der von einem Gulden bis zu zwei sich steigert. Dieselben Brecher sind auch wieder die Verkäufer der leeren und dürren Tannenzapfen, welche als vorzügliches Mittel zum Feueranmachen in hoch aufgeschichteten Maltersäcken auf Karren in allen Straßen der umliegenden Städte unter dem langgezogenen Ruf „Dannebbel“ (in Mainz „Hackeln“) feilgeboten werden.

Der Ausklengproceß geht auf folgende Weise vor sich. Die Fabrik enthält drei große Luftheizungsöfen; an die Stelle des vierten trat im vorigen Jahre ein Dampfheizapparat, welcher hauptsächlich den Zweck hat, die Feuergefährlichkeit zu beseitigen oder doch zu vermindern und die Keimfähigkeit und Güte des gewonnenen Samens zu erhöhen. Siebenzehn Schichten von Hürden werden durch den ungefähr eintausend vierhundert Quadratfuß Oberfläche haltenden Heizapparat dergestalt durchwärmt und durchtrocknet, daß die Zeit, binnen deren der Klengproceß sich abschließt, d. h. die Kiefernzapfen aufspringen und den Samen fallen lassen, um ungefähr ein Viertel abgekürzt wird, obgleich der verwendete Hitzgrad erheblich niedriger ist, mithin der producirte Samen ungleich mehr Keimkraft erhält, weil der ganze künstliche Klengproceß dem naturgemäßen weit mehr entspricht. Feuer- und Dampfofen nämlich, mit Zapfen von einem und demselben Haufen gleichzeitig gefüllt, ergaben für gleichzeitig entnommenen, sofort in gleichmäßig behandelte Keimprobe eingelegten Samen innerhalb acht Tagen ersterer einundachtzig, letzterer dreiundneunzig Procent keimfähige Körner. Ueberall haben die mit dem von Keller bezogenen Samen angestellten Keimproben das zugesicherte Procentverhältniß übertroffen, ein Umstand, der nach und nach die Geschäftsthätigkeit dieses Hauses bis in die entferntesten Gegenden erweitert hat. Die Schnelligkeit, mit welcher der Hürdenraum in der Dampfdarre sich erwärmt, ist überraschend. In einer Stunde ist derselbe Hitzgrad erzielt, welcher nach dem seitherigen Princip mit geheizter Luft erst nach drei bis vier Stunden sich einstellte. Außerdem ist die Leichtigkeit, mit welcher die Temperatur und der Luftdurchzug jederzeit regulirt werden können, nicht hoch genug anzuschlagen; dazu kommt noch, daß die große Feuergefährlichkeit der seitherigen Einrichtung gänzlich beseitigt ist. Man kann wohl sagen, daß die Wissenschaft auch hier von ihrem Fortschritt Zeugniß abgelegt hat.

Die Zapfen werden, nachdem sie von den Nadeln gereinigt, auf Hürden ausgebreitet, welche über den Oefen und dem Dampfheizapparate angebracht sind. Nach Beendigung des Ausklengprocesses, also etwa nach Verlauf von zwanzig bis vierundzwanzig Stunden, gelangen die Zapfen in die bei den Oefen befindlichen drahtumflochtenen Triller, und hier scheidet sich durch die rotirende Bewegung der Samen aus den Zapfen. Dieser muß nun durch die Manipulation des Abflügelns, Entfernung der Flügel von dem Samen, zur Reinigung vorbereitet werden, welche mit Hülfe von Sieben und Fegmühle bewerkstelligt wird.

Die Ausklengung der Lärchenzapfen ist hiervon etwas abweichend; dieselben kommen von der Darre in eigens erfundene Maschinen, durch welche sie zerrissen werden. Der sehr mit Schuppentheilchen und Holzstückchen untermischte Samen gelangt sodann in Reinigungsmaschinen und wird durch ein Stampfwerk, welches die Holztheilchen zermalmt, vollständig präparirt. Eine Dampfmaschine setzt den ganzen Mechanismus der Anstalt in Bewegung. Im Durchschnitt werden täglich hundertundsechszig hessische

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_134.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)