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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Nicht meinetwegen brachen mir Thränen aus den Augen – ich glaubte dort das gewöhnliche Ende der Hochgebirgsführer zu finden! – aber meine Gefährten, deren Schicksal lag mir schwer auf dem Herzen. – Da sah ich plötzlich in der Nacht einen Schimmer an einer fernen Bergwand; – ich traute meinen Augen kaum: der Mond konnte es nicht sein, er ging so früh nicht auf – aber woher der helle Schein? – Ich raffte mich noch einmal auf, schleppte mich auf dem mir wohl bekannten Gletscher noch ein Stück weiter hinab, als ich plötzlich – Dank dem Himmel! – diese rettende Flamme erblickte und in der Gewißheit, hier Touristen zu finden, mit erneutem Muthe und allen noch zusammengerafften Kräften hereilte.“ –

Wir drückten dem wackern Alten die Hand und erboten uns, mit allen unsern Mitteln die Rettung der von ihm zurückgelassenen Reisegesellschaft zu versuchen. Ohne Aufschub hätten wir die Tour angetreten, allein die Führer riethen einstimmig davon ab, die gefahrvolle Gletscherfahrt vor dem Aufgange des Mondes zu beginnen. Deshalb theilten wir mit dem braven Michel unsere Decken und überließen uns in der Hütte kurze Zeit der stärkenden Ruhe.

Es war noch nicht zwei Uhr, als Michel Croz uns weckte – die Sorge um seine Unglücklichen schien ihm keine Ruhe zu lassen. Zur mühsamen Fahrt mit Tauen und Schneeschaufeln gerüstet, traten wir hinaus unter den klaren Sternenhimmel, der sich wahrhaft magisch über dem erstorbenen Gletscherbilde wölbte. Die Decorationen der Hochgebirgswelt waren noch dieselben, welche wir am Abend sahen, aber ihre Färbung war so bleich und verschwommen, als ständen nur noch die Geister der Berggipfel vor uns; es waren noch dieselben ungeheuren Klippenreihen mit ewigem Schnee, welche uns anstarrten, doch sie erfüllten uns jetzt mit wundersamem, fast gespenstischem Schauer. Die Welt unter uns verhüllte Nacht; wir standen auf dem schwarzen Plateau des Mont Mulet, wie auf der Thurmwacht eines mächtigen Kuppeldaches, hoch über der todten Welt. Prachtvoll ging endlich am klaren Himmel der Mond zwischen zwei glänzenden fernen Eisfirsten auf, die schon lange vorher von einem wunderbaren Scheine erglühten. Mit einem ernsten „Helf Gott!“ verließen wir unsern Felsen und wanderten über den Gletscher dem Grand-Plateau, dem mächtigen Vorsaale im funkelnden Palaste des Montblanc zu.

Nach Verlauf von vier sauern, aber an über Worte erhabenen Eindrücken reichen Stunden langten wir an dem blendenden Schneeabhange des Corridors an und erblickten vor uns die Schneemauer der Côte. So mühsam auch ihre einhundertundfünfzig Meter hohen steilen Stufen zu ersteigen waren, hatten wir dennoch vor sieben Uhr Morgens die Höhe erklommen und begrüßten von der obersten Stiege die fremde Reisegesellschaft mit freudigem Winken.

Jetzt war es unsere Hauptaufgabe, das Seilende zu erreichen, an dem Michel Croz den größten Theil des gefahrvollen Weges zurückgelegt hatte und das zum Glück noch unberührt, wenig mehr als hundert Fuß von unserer Höhe, entfernt lag. Der Alte ließ es sich nicht nehmen, auch hier wieder den ersten Versuch zu wagen. Wir knüpften ihm daher eines unserer festesten Taue um den Leib und rüstig trat er seine Wanderung an; allein wehe! mit jedem Schritte sank er tiefer in den Schnee, und die trügerische Decke, welche ihn gestern herübergetragen, versagte ihm heute – vom Strahl der Morgensonne mürbe geworden – vollständig den Dienst. Wir eilten daher, den Erschöpften wieder heraufzuziehen, und griffen zum letzten, wenn auch mühsamsten, so doch wenigstens sicheren Mittel, zur Schneeschaufel. Rüstig begannen wir einen kaum zwei Fuß breiten Pfad in der Richtung nach dem Tauende zu bahnen, eine Arbeit, die um so beschwerlicher war, als der angewehte Schnee an den meisten Stellen mehr als die Mannshöhe erreichte. Nach wenigen Stunden war es uns gelungen; wir knüpften eins unserer stärksten, festesten Taue an das der anderen Reisegesellschaft und stellten somit eine sichere Verbindung her zwischen der Expedition auf der einsamen Klippe und dem Mur de la Côte, wo wir das straff angezogene Seil mit großer Sicherheit befestigten.

Die unglückliche Montblanc-Karawane kam nun einzeln, Mann für Mann an dem Tau sich festhaltend, über die nicht tragbare Schneedecke von der Klippe zu uns herüber. An die Gefahren derartiger trügerischer Wege gewöhnt, suchte Jeder nur an solchen Stellen den Schnee mit den Füßen zu betreten, die fest genug erschienen; – sobald aber die Schneedecke zusammenbrach, war es immer das rettende Seil, welches der Gefährdete fest umklammerte und das ihn treulich emporhielt.

Endlich – es mochte fast Mittag sein – war es vollbracht; wir hatten sie Alle glücklich herüber, und Menschen, die sich zum ersten Male im Leben erblickten, lagen sich hier, über dem kalten Grabe, in den Armen, die einen von Dank, die andern von Freude erfüllt. Es war für uns Alle eine selige Stunde, der Glücklichste unter uns war jedoch Michel Croz – der eigentliche Retter seiner Gefährten – der treueste, im schweren Dienst ergraute Führer in der Welt ewiger Gefahren. Nun ging es an ein Erzählen, wie die Unglücklichen die schreckliche Nacht mehr als zwölftausend Fuß über dem Meeresspiegel zugebracht; wie sie sich gegenseitig wach erhalten und durch fortwährende Bewegung der Glieder vor dem Erfrieren geschützt hatten; wie so mancher vergebliche Rettungsversuch gemacht wurde, und wie selbst mit dem aufdämmernden Morgen kaum die schwächste Hoffnung wiedererwachte.

Als Michel sich am andern Morgen in Chamounix von uns trennte, drückte er uns treuherzig die Hand und sagte: „Gott segne Sie! Hätten Sie mir nicht in der verhängnißvollen Nacht mit dem Feuerschein die Nähe hülfsbereiter Menschen verkündet, dann würde es mir nicht möglich gewesen sein, meinen Herren und meinen Gefährten den Dienst zu leisten, für den ich Gott bis an mein seliges Ende danken will.“

Und dies Ende sollte leider so schnell und so furchtbar kommen! Noch hatte ich mit meinem Freunde die Alpen nicht verlassen. Wir saßen, von mühsamer Gletscherfahrt ausruhend, in der armseligen Hütte eines Wildheuers, als mein Freund mir stumm und traurig ein kleines schweizerisches Localblatt zuschob. Es brachte die erschütternde Nachricht vom Matterhorn-Unglück, bei dem Michel Croz, pflichtgetreu in seinem schweren Berufe, sein Ende fand. – Möchten diese Worte eines Wandergefährten sein Andenken wieder auffrischen im Herzen aller der Pilger, die er hinangeleitet zu den Wundern der Hochgebirgswelt und sein Lebenlang sorglich geführt durch das Reich der Gefahren!

R. Bunge.




Die Hunde des „kranken Mannes“.
Von Guido Hammer.


Fast nur noch wie ein schönes Traumbild will mich’s bedünken, wenn ich all’ der Herrlichkeiten gedenke, die sich mir auf meiner jüngst vollbrachten Reise nach Constantinopel offenbart haben; denn schon die Raschheit und Mühelosigkeit, mit welcher unsere moderne Dampfzeit den Reisenden an ein so fernes Ziel trägt, läßt die empfangenen Eindrücke wie über Nacht gekommen erscheinen, zumal wenn diese von dem Gewohnten so gänzlich abweichender Art sind, wie sie der märchenhafte Orient in reichstem Maße bietet. Doch nicht aus all’ dieser Fülle von Großem, Schönem und Wunderbarem, wie es mir schon allein das Meer mit seinem ewig wechselvollen Zauber und der entzückend schöne Formenreichthum der oft schneegegipfelten Gebirgszüge Istriens, Dalmatiens, Griechenlands und Asiens geboten, will ich erzählen; nein, nicht einmal des zaubervoll prächtigen, wahrhaft berauschenden Anblicks der von salziger Fluth umrauschten muhammedanischen Kaiserresidenz, die mit ihren Alles überragenden Kuppeln der Moscheen und deren zinnenvergoldeten, schlanken Minarets, mit ihren Palästen und dunkeln Cypressenhainen das grünwellige Marmarameer und den herrlich gestalteten Bosporus hoch überthront, sei hierbei weiterer Erwähnung gethan. Ebensowenig soll von dem phantastisch-originellen Volksleben des unvergleichlichen Stambul die Rede sein, sondern nur ein bescheidenes Bildchen aus dem Thierleben der gewaltigen Türkenstadt sei geboten; ich meine die verwilderten Hunde Constantinopels.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_140.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)