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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Blicken aus irgend einen Abfall oder Bissen, der ihnen dann und wann mitleidsvoll zugeworfen wird. Nie aber habe ich die Fraßlechzenden eigentlich unverschämt betteln oder wohl gar stehlen sehen; sie warteten vielmehr immer demüthig, wenn auch sehnsüchtigsten Blickes, ihr kärgliches Almosen ab. Auch waren die Rotten, die sich einmal als zusammengehörig betrachteten, leidlich verträglich untereinander, während allerdings jeder fremde Hund, d. h. einer von einer andern Straße oder einem andern Platz, sofort als unberufener Eindringling behandelt ward und dann schleunigst, jämmerlich zerbissen, die zusammenhaltenden Hunde meiden mußte. Ich habe aus solchen Kämpfen Schwerverletzte hervorgehen sehen, derart, daß man in die bis auf die Knochen gehenden klaffenden Wunden des „Abgebissenen“ füglich die ganze Handschneide hineinzulegen vermocht hätte; ja, hier und da sah man todte Köter auf der Straße liegen, die wohl im Kampfe mit ihres Gleichen geblieben sein mochten.

Eine höchst malerische Staffage bildeten diese Obdachlosen auf den vielen Brandstätten Constantinopels, wo sie, da solche auch als Ablagerungsplätze für Schutt, Kehricht und sonstigen Unrath verwendet wurden, nach allerhand Nahrungsstoffen oder doch irgend annähernd verdaulicher Magenfüllung suchten. Wie wenig Anspruch sie hierbei machen, möge der Umstand bezeugen, daß ich sie an solchen Stellen nicht nur allerlei Vegetabilisches heißhungrig verschlingen, sondern auch an Lederresten, Flederwischen etc. gierig herumnagen sah, ja, einmal beobachtete ich, wie einer der bedauernswerthen Hungerleider die Fragmente einer schmutzstarrenden türkischen Pluderhose verzehrte und dies ihm auch nur erst nach harten Kämpfen mit seiner ihn neidisch umlungernden Cameradschaft gelingen wollte. Ein andermal, ebenfalls auf Brandtrümmern, und zwar noch rauchenden, wo auch einige durch die Flammen verarmte türkische Familien unter einem improvisirten elenden Zelte hausten, vor welchem ihre Kinder im tiefsten Schmutz und zwischen verkohlten Balkenresten herumspielten, ward mir außerdem noch ein höchst interessanter Anblick. Ein ganzes Rudel der rothhaarigen kläffenden Freibeuter aller Altersclassen hatte ein wahrscheinlich beim Brand verunglücktes Schaf aus dem Schutte herausgewühlt und war nun eben darüber, gemeinschaftlich die verkohlten ekeln Ueberreste als köstliches Mahl mit wahrhaft rasender Gier zu verschlingen, so daß in kürzester Frist auch nicht ein Bissen mehr davon übrig war. In solchen Fällen indeß, sowie bei Aufräumung der von der Bevölkerung Constantinopels rücksichtslos auf die Straße geworfenen Cadaver von crepirtem Geflügel und anderem Kleinvieh, werden diese nichtsverachtenden Allesfresser geradezu die Wohlthäter der so vielen Schmutz und Unflath bergenden Stadt, indem sie schnell alles Verpestende, namentlich wenn es von Animalischem herrührt, vertilgen und so die Entwickelung mancher ansteckenden Krankheit verhüten mögen.

Zur ungemein charakteristischen, ganz eigenthümlichen Erscheinung werden unsere Halbwilden aber auf den ernst-schönen, überaus großartigen Kirchhöfen der kolossalen, trotz Schmutz und Verfallenheit wunderbar herrlichen Stadt. Hier, im düstern Schatten Jahrhunderte alter Cypressen, die sich zu weitgedehnten Hainen ausbreiten und in deren Wipfeln es melancholisch rauscht und seufzt, gerade wie in unsern heimischen Nadelwäldern, kauern diese zwar freigeborenen, aber doch den Stempel der Knechtschaft an der Stirn tragenden Geschöpfe zwischen Grabmälern und den knorrigen Wurzeln der geheiligten Bäume. Oder sie schleichen gesenkten Hauptes umher, von ihrem gewählten Asyl aus die nirgends fehlenden Schutt- und Abfallhaufen durchstöbernd, hier ihr kärgliches Mahl zu suchen. Ein glücklicher größerer Fund wird dann wohl in die Einsamkeit der Gräberstätte geschleppt, ohne dabei den lüsternen und neidischen Blicken der minderglücklichen Genossen entgehen zu können.

Das von mir beigegebene Bild bietet eine solche Scene in der Nähe eines Friedhofes dar, wie ich sie in Pera zu beobachten Gelegenheit fand. Eine Hündin mit sechs ganz behäbigen Jungen war es, die eine todte Truthenne erbeutet hatte und diesen Besitz nun gegen die andern Hunde ihres Rudels energisch zu schützen wußte. Schon der alten Däbe grimmer Blick und knurrendes Zähnefletschen hielt die sie umkreisende Sippe in gemessener Entfernung, während ihre nimmersatte Brut, unbekümmert um den Streit, hastig an der stehenden Mutter säugte. In solcher Stellung behauptete die Erzürnte auch kühn ihre Errungenschaft, ihren Genossen drohend genug bedeutend, daß für sie auch nicht der kleinste Bissen zu erhoffen sei. Traurig resignirt schlichen dann die Lungernden von dannen, um vielleicht anderswo etwas aufzufinden, das ihnen den quälenden Hunger zu stillen im Stande sei, im schlimmsten Falle ihn zu verschlafen. Die Hündin aber hatte in kürzester Zeit ihre stinkende Beute vertilgt, daß ihr dürrer Leib dick anschwoll, ohne natürlich dadurch die vorstehenden Rippen und anderen Knochen weniger sichtbar werden zu lassen. Gesättigt und dadurch träge geworden, streckte sich nun die hellfarbige alte Däbe zwischen die Trümmer marmorner Grabsteine hin, hierbei abermals willig das Gesäuge den Jungen darbietend, bis auch diese sonst Rastlosen endlich, sich dicht an die Mutter anschmiegend, der süßen Ruhe pflogen.

In solchen und ähnlichen Situationen hatte ich am Tage oft Gelegenheit, die „Geduldeten“ zu beobachten, während ich sie des Abends und in der Nacht meist ruhig auf einsamen Winkeln und Schutthaufen, sowie hinter offenstehenden Thüren oder vor deren Schwellen zusammengekrümmt liegend fand, ohne jedoch nur ein einziges Mal von ihnen belästigt worden zu sein, so oft ich auch davon gehört, daß sie, namentlich des Nachts, dem „Fremden“ leicht gefährlich würden. Darum habe ich diese mitten im dichten Städtegewühl lebenden Halbwilden nur lieb gewinnen können; liegt doch bei all’ ihrer Verkommenheit, die sich nicht wegleugnen läßt, noch viel Ursprüngliches, Gutmüthiges und gewiß sehr Bildungsfähiges in ihnen. Und so konnte ich ihnen denn auch meine mitleidsvollste Theilnahme niemals versagen, besonders wenn ich sie in ihrer Dürftigkeit mit den wohllebenden, gutgepflegten und nur zu oft verzogenen Lieblingen ihres Geschlechts in unseren heimischen Städten zu vergleichen mich gezwungen fühlte. Wollten sie mir dann doch so recht wie die Zigeuner der Thierwelt erscheinen: frei geboren und frei lebend – allein gerade dadurch in der sie rings umgebenden Cultur dem tiefsten Elend und der Verachtung preisgegeben.




Die Berliner Presse.[1]


Im Jahre 1862 war in einigen Berliner Schriftstellern der Wunsch aufgetaucht, einen Verein zur Förderung der Geselligkeit und zur Wahrung ihrer literarischen Interessen zu gründen. Man ging dabei von dem Gedanken aus, eine Annäherung der verschiedenen Parteien durch persönlichen Verkehr und lebendigen Meinungsaustausch zu erzielen. Zunächst wurde von den Stiftern ein Aufruf erlassen, der bald die gewünschte Folge hatte, worauf zur Constituirung der Versammlung und zur Entwerfung der Statuten geschritten wurde. In den ersten Sitzungen erblickte man die Redacteure fast sämmtlicher großen politischen Zeitungen, und eine zahlreiche Menge von Schriftstellern, Dichtern und Journalisten. In freundlichem Gespräche saßen an demselben Tisch die Vertreter der entgegengesetzten Richtungen, und die sich sonst öffentlich bekämpften, reichten sich hier in gemüthlichem Verein die Hand. Neben dem geistreichen Redacteur der demokratischen Volkszeitung sah man die conservativen Herren der Kreuzzeitung, neben dem treuherzigen Erzähler der Dorfgeschichten den scharfen, satirischen Kritiker, neben den Gelehrten des Kladderadatsch die verschiedenen Opfer ihres Witzes. Mediciner und Juristen, Staatsökonomen und Socialisten, Anhänger von Hegel und Schopenhauer begegneten sich hier auf neutralem Gebiete und vergaßen beim Glase Wein oder bei einem Seidel Bairisch ihren alten Streit.

Es war das goldene Zeitalter der „Berliner Presse“, wie der Verein genannt wurde, die schönen Tage, wo es nur eine Heerde und einen Hirten gab, wo der Wolf neben dem Lamme ruhte und keine Wolke den blauen Himmel der Gemüthlichkeit trübte. Bald jedoch wurde der Friede gestört und die widersprechenden Elemente traten schärfer und schärfer hervor, so daß sich ein


  1. Durch ihre neulichen in den Zeitungen vielbesprochenen Unterstützungsconcerte für hülfsbedürftige Schriftsteller ist die „Berliner Presse“ wieder in den Vordergrund getreten.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_142.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)