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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

unausbleiblicher Scheidungsproceß entwickelte, die leider den Austritt einiger seiner geschätztesten Mitglieder zur Folge hatte.

Trotz dieser innern Stürme entwickelte sich die Berliner Presse zwar langsam, aber stetig zu einem gedeihlichen Leben und Wirken. Die Bildung einer Unterstützungscasse für die Mitglieder, die früher zu Differenzen Anlaß gegeben hatte, wurde wieder aufgenommen und jetzt glücklich durchgeführt. Bedürftige Mitglieder erhalten aus der Casse des Vereins im Falle der Noth Darlehen und bei Erkrankungen und dadurch herbeigeführter Arbeitsunfähigkeit namhafte Unterstützungen, während den Hinterbliebenen reichliche Sterbegelder aus einer besonderen Sammlung zufließen. Andere wohlthätige Einrichtungen sind noch in Aussicht genommen, so daß in dieser Beziehung die Berliner Presse wahrhaft Erfreuliches bereits geleistet hat und noch fortwährend leistet. Die nöthigen Geldmittel zu diesen Zwecken werden theils durch die laufenden und freiwilligen Beiträge der Mitglieder, theils durch theatralische Vorstellungen aufgebracht, welche sich bisher einer großen Theilnahme von Seiten des gebildeten Publicums erfreuten. Diese Unterstützungen erstrecken sich in besonderen Fällen auch auf nicht in Berlin ansässige Schriftsteller und erreichen zuweilen eine bedeutende Höhe. So erhielt allein die Familie eines bekannten unglücklichen Dichters die Summe von dreizehnhundert Thalern als Ertrag einer einzigen zu ihrem Besten veranstalteten dramatischen Vorstellung.

Aber auch an den politischen Kämpfen der Gegenwart hat sich der Verein stets mit Eifer und Hingebung betheiligt, indem er mit Wort und That für die Freiheit der Presse und zum Schutz des bedrohten Rechtes eintrat. In den verschiedenen Commissionen wurden die wichtigsten Fragen der Preßgesetzgebung einer gründlichen Prüfung unterzogen und mancher geeignete Schritt zur Wahrung der schriftstellerischen Interessen in politischer und socialer Beziehung veranlaßt und mit Erfolg gethan.

Vor Allem aber hat der Verein sein geselliges Programm fest im Auge behalten und zu immer höherer Bedeutung entwickelt. Die Stiftungsfeste und Gedächtnißtage zur Feier unserer großen Genien legen dafür ein glänzendes Zeugniß ab. Jene Aufführungen zu Ehren Schiller’s, Lessing’s, Uhland’s und Shakespeare’s Jubiläum sind Glanzpunkte in dem Leben der Berliner Presse und geben ihr zugleich Gelegenheit, ihre Wirkung weit über den engen Kreis der Sonderbestrebungen zu entfalten. Manches Wort, das da gesprochen, manches Lied, das da gesungen, hat eine allgemeine Verbreitung und seinen Widerhall in den Herzen von Tausenden gefunden. – An solchen Tagen bietet der Verein ein ebenso belebtes wie interessantes Bild und zugleich die Gelegenheit, die größte Anzahl unserer namhaften Schriftsteller kennen zu lernen. An der Spitze befindet sich der zeitherige Vorsitzende, Herr Alexis Schmidt, der Redacteur der Spenerschen Zeitung, welcher hauptsächlich seiner humanen Liebenswürdigkeit diesen Ehrenposten im Verein zu verdanken hat. Durch seine milde Freundlichkeit weiß er die Gegensätze zu versöhnen und stets den getrübten Frieden wiederherzustellen. Mit schlichten Worten eröffnet er die Versammlung und begrüßt die Anwesenden mit freundlichem, herzgewinnendem Lächeln. An seiner Seite sitzt sein Stellvertreter, eine feine, schmächtige Gestalt von jugendlichem Aussehen, mit fast weiblichen, geistvollen Zügen. Jetzt erhebt er sich, um zu sprechen; seine Worte klingen aber männlich, scharf und klar wie Schwerterhiebe und leuchten wie Blitze. Das ist Karl Frenzel, der bekannte[WS 1] Feuilletonist der National-Zeitung, der Verfasser jener fein ausgeführten Literaturbilder und Studien, außerdem ein beliebter Novellist und Romanschriftsteller. Ihm gegenüber sitzt breit und gedrungen Berthold Auerbach, der Dichter der Dorfgeschichten. Sein schlanker Nachbar mit dem scharf geschnittenen Gesicht und dem sarkastischen Lächeln ist Dr. Lindner, der Chefredacteur der Vossischen Zeitung, ein eifriger Anhänger der Schopenhauer’schen Philosophie und zugleich einer unserer bedeutendsten Musik-Theoretiker, dessen Geschichte der Oper und Abhandlungen über die Tonkunst zu den vorzüglichsten Leistungen auf diesem Gebiete mit Recht gezählt werden dürfen.

Dort der alte Herr mit den schneeweißen Haaren und dem charakteristischen Kopf, eine würdige Aufgabe für den Maler, ist Professor Gubitz, der Nestor unserer Kritik und zugleich der Vater der Berliner Holzschneidekunst. Bald achtzig Jahre alt, hat er die verschiedensten Literaturepochen mit durchlebt und zu den bedeutendsten Erscheinungen der Kunst und des Theaters in naher Beziehung gestanden. Der jugendliche Heinrich Heine, Achim von Arnim und Clemens Brentano waren Mitarbeiter an dem von ihm herausgegebenen „Gesellschafter für Geist und Herz“ und verdanken ihm zum Theil ihre Einführung in die Literatur. Karl Maria von Weber, die unvergeßliche Bethmann zählten zu seinen Freunden, und der berühmte Fleck, den Tieck für den ersten Schauspieler Deutschlands hielt und mit Begeisterung verherrlichte, war der Vater seiner Frau, mit der es ihm noch vor Kurzem vergönnt war, die goldene Hochzeit festlich zu begehen. Wie der Nestor Homer’s weiß er uns von alten Zeiten, von schönen Tagen und den großen Erscheinungen seiner Jugend zu berichten, und gern lauschen wir seinen interessanten Erzählungen aus der Franzosenzeit, von Iffland’s Bühnenleitung, von Ludwig Devrient’s genialer Erscheinung, von der ersten Aufführung des Freischütz in Berlin, von dem wunderlichen Treiben der Romantiker, von Zacharias Werner, von der alten Mittwochsgesellschaft, an der sich Chamisso, Hitzig und noch andere bedeutende Persönlichkeiten betheiligten. Mit einer seltenen Rüstigkeit arbeitet der greise Gubitz nach wie vor; er fehlt bei keiner wichtigen Vorstellung im Schauspielhaus und schreibt regelmäßig seine Kritik darüber für die Vossische Zeitung mit genauer Sachkenntniß und in dem ihm eigenen charakteristischen Styl. Jahr aus Jahr ein läßt er auch seinen bekannten Volkskalender, das Original unzähliger Nachahmungen, mit den unter seiner Leitung ausgeführten Holzschnitten erscheinen. Gegenwärtig beschäftigt er sich mit der Abfassung seiner Memoiren, welche gewiß einen wichtigen Beitrag zur Literatur- und Culturgeschichte der Gegenwart abgeben werden.

An den nächsten Tischen finden wir die jugendlichen Kräfte des Vereins vertreten und gemüthlich um die funkelnde Flasche geschaart. Zwei dramatische Dichter sind im eifrigen Gespräch über das Theater begriffen; der ältere von beiden, welcher mit besonderer Lebhaftigkeit seine Meinung verficht und dabei die seltsamsten Anschauungen und Paradoxen entwickelt, ist der Verfasser des „Narciß“, der Dichter Brachvogel, einer der originellsten Autodidakten und schon beim oberflächlichen Anblick auffallend durch seine eigenthümliche Physiognomie, breite Stirn, kleingeschlitzte Augen, die bald dämmernd vor sich hinzuträumen scheinen, bald unerwartet aufblitzen, hervorstehende Backenknochen und das lange, schlichte Haar genial zurückgeworfen. Ursprünglich zum Graveur bestimmt, folgte er seiner Liebe zur Poesie, nicht ohne schwere Kämpfe und Entbehrungen. Einige Zeit war er bei dem bekannten Wolf’schen Telegraphenbureau angestellt; auch bekleidete er den Posten eines Theatersecretairs bei der Kroll’schen Bühne in Berlin. Verschiedene lyrische Versuche, die jedoch eine gewisse Originalität und Gedankentiefe bekundeten, fanden wenig oder gar keine Beachtung. Ebenso war die Aufnahme, welche das Publicum einigen dramatischen Arbeiten auf Bühnen zweiten Ranges zu Theil werden ließ, keineswegs ermuthigend, während die Kritik schon damals das Talent des Dichters anerkannte und auf ihn aufmerksam machte. Da erschien sein Trauerspiel „Narciß“ auf dem königlichen Theater und errang am ersten Abend einen beispiellosen Erfolg, der über Brachvogel’s Ruf und Lebensstellung entschied. Sein jüngerer College, welcher sich durch eine gewisse Eleganz der äußeren Erscheinung hervorthut, ist Karl Heigel, dessen Drama „Marfa“ und kleinere Novellen eine reiche poetische Begabung verrathen und eine schöne Zukunft hoffen lassen, wenn die reiferen Früchte diesen Blüthen einst entsprechen sollten. Als Dritten im Bunde begrüßen wir einen Künstler, der[WS 2] ebenso auf dem Theater wie in der Schriftstellerwelt heimisch ist, den unsern Lesern durch manchen interessanten Beitrag wohlbekannten Hofschauspieler George Hiltl. Zu den Dreien gesellt sich der Lyriker Julius Rodenberg, welcher, mit seinem poetischen Talent einen feinen und scharfen Blick für „Land und Leute“ verbindend, in seinen Reiseskizzen ebenso interessante wie belehrende Bilder, besonders aus England, Schottland, Wales und Irland, veröffentlicht hat.

Wir wissen nicht, ob Zufall oder Sympathie hier die humoristischen und satirischen Elemente der Versammlung zusammengeführt hatte. Da sitzt der gefürchtete Feuilletonist Kossak und seine Rede fließt so sanft und einschmeichelnd, als könnte er kein Wässerlein trüben, während er mit seiner Feder so scharf zu geißeln weiß. Mit jovialem Lachen begleitet Adolf Glaßbrenner die harmlosen Auslassungen des gefürchteten Kritikers, indem er den perlenden Champagner von Zeit zu Zeit mit Kennermiene

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: bebekannte
  2. Vorlage: den
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_143.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)