Seite:Die Gartenlaube (1867) 144.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

prüft und das leere Glas von Neuem füllt. Die gemüthliche Gruppe wird noch durch die beiden Gelehrten des Kladderadatsch, den liebenswürdigen Dohm und den heiteren Rudolf Löwenstein, vervollständigt. Dies vierblättrige Kleeblatt repräsentirt eine wahre Schatzgrube von Witz, Humor, guter Laune, aber auch ein Arsenal von scharfer Malice und einschneidender Satire, von gefährlichen Spitzkugeln und in ganz Deutschland, selbst in Frankreich von „Ihm“ gefürchteten Zündnadelgewehren.

Immer größer wird das Gewühl, aus dem wir nur die hervorragendsten Persönlichkeiten herausgreifen wollen. Die beiden älteren gesetzten Herren, welche sich so eifrig unterhalten, sind der würdige Zabel, Redacteur der Nationalzeitung, und Director Lehmann, der verdienstvolle Herausgeber des Magazins für Literatur des Auslandes. An demselben Tische bemerken wir noch Guido Weiß. einen der bedeutendsten und schärfsten Publicisten Berlins, der jetzt das von Johann Jacoby neu begründete demokratische Organ „die Zukunft“ leitet, den liebenswürdigen Kletke, als Lyriker und fleißiger Sammler bekannt, den fleißigen Literaturhistoriker und Dichter Pröhle, vor Allen aber Julian Schmidt, dessen Leistungen auf demselben Gebiete nicht erst erwähnt zu werden brauchen. Auch bei dem Letzteren dürfte die äußere, überaus zierliche, fast mädchenhafte Erscheinung kaum den männlichen Kritiker vermuthen lassen, obgleich das scharfe Gesicht und der durchdringende Blick eine gewisse geistige Energie verrathen. Zwei Jünger der Themis, der Herausgeber der deutschen Juristenzeitung, Stadtrichter Hiersemenzel, und Assessor Lasker, als politischer Schriftsteller und Mitglied des Abgeordnetenhauses ausgezeichnet, sind hier die Wächter des Rechts und vertreten den Verein in allen juristischen Fragen und Interessen mit anerkennungswerthem Eifer und Scharfsinn, während das Finanzministerium in den Händen des immerwährenden Cassirers Schweitzer ruht, der die Handelsnachrichten und Börsenberichte für die Nationalzeitung redigirt. Da sind noch Friedrich Adami, der Verfasser manches trefflichen Bühnenstücks, auch als dramatischer Kritiker und populärer Geschichtsschreiber geachtet, Niendorf, der märkische Dichter der reizenden „Hegler Mühle“, der talentvolle Novellist Habicht, der bekannte populäre Geschichtsschreiber und liberale Stadtverordnete Streckfuß mit seinem Collegen Runge, der vielgenannte Nationalökonom Prince-Smith und Maron, dem wir eine treffliche Beschreibung der preußischen Expedition nach Japan zu verdanken haben, ferner der fruchtbare Mützelburg, welcher schon mehr Romanbände geschrieben hat, als er Jahre zählt, Ferdinand Schmidt, der beliebte Jugendschriftsteller und Verfasser einer preußischen Geschichte, der durch populäre Soldatengeschichten bekannt gewordene Ferdinand Pflug und Karl Ruß, dessen gemeinverständliche naturwissenschaftliche Aufsätze zahlreiche Leser und Freunde in den verschiedensten Blättern finden. Drei Buchhändler, Jonas, Simon und Hofmann, der Herausgeber und Besitzer des Kladderadatsch, legen Zeugniß für das gute Einvernehmen zwischen Verleger und Schriftsteller ab, während Professor Stern, einer der ersten Musiker Berlins, die innige Verbindung zwischen Poesie und Musik bekundet, Moritz Gumbinner aber als Vorsitzender der Vergnügungs-Commission sich bei allen festlichen Gelegenheiten als geschickter Anordner bewährt und wesentlich durch seinen Eifer zum Gelingen beiträgt.

Billig gedenken wir auch der Dahingeschiedenen, unter denen wir zunächst den talentvollen Novellisten und Romanschriftsteller Otto Ruppius und den geistvollen Publicisten Fischel hervorheben, der auf einer Reise nach Paris unter den Rädern eines vorüberfahrenden Omnibus einen unerwarteten und beklagenswerthen Tod fand. Schon dieser flüchtige Blick wird genügen, die Bedeutsamkeit der Berliner Presse zu erkennen. Vermißt man auch in dem Verein noch manchen klangvollen Namen, manche Berühmtheit, haben auch vielleicht andere Städte in Deutschland im Einzelnen größere und um die Literatur verdienstvollere Männer aufzuweisen, so repräsentirt doch die Berliner Presse in ihrer Gesammtheit ein immerhin ansehnliches und gewichtiges Capital von Geist, Bildung und Tüchtigkeit, mit dem sich ein hoher Grad von Streben und Regsamkeit nach allen Seiten verbindet, so daß an dem Gedeihen und Fortschreiten derselben nicht gezweifelt werden kann.

M. Ring.




Blätter und Blüthen.


Noch einmal Fritz Beckmann. Eines Abends sah ich Beckmann auf der Bühne an der Wien in der Generalprobe eines neuen Volksstückes, die der Polizeicommissär des Bezirkes überwachte.

„Es ist mir unbegreiflich, warum diese ganze Scene von der Censur gestrichen ist!“ rief unmuthig der Regisseur.

„Dort Oben weiß man schon warum,“ bemerkte Beckmann zurechtweisend, „denn was kein Verstand der Verständigen sieht, das ahnet in Unschuld des Censors Gemüth!“

Er hatte ein Couplet zu singen, – in der Mitte der ersten Strophe brach er plötzlich ab. „Hören Sie einmal, Capellmeister,“ rief er in’s Orchester hinab, „die Instrumentirung gefällt mir nicht. Ich bitte blos um Streich- und Blechinstrumente, denn die sind am volksthümlichsten und am meisten im Gebrauch – Streichinstrumente bei der Censur und Blechinstrumente bei der ganzen Bevölkerung.“

Alles lachte, sogar der Polizeicommissär schmunzelte ein wenig. –

Einem talentlosen Scribler, der dem beliebten Komiker eine Posse zur Beurtheilung aufgedrungen hatte, gab er das Manuscript mit folgendem Bescheid zurück: „Wenn Sie die beiden ersten Acte zusammenziehen und auf ein Minimum reduciren, den dritten Act ganz streichen, damit man den vierten entbehren kann, dann das ganze Stück streichen und von einem berufenen Schriftsteller ganz neu bearbeiten lassen, kann sich das Ding machen, glaub’ ich.“

Der Dichter dankte verdutzt für den guten Rath, soll aber Beckmann kein Manuscript mehr unterbreitet haben. – Ueber einen bissigen und berüchtigten Recensenten äußerte er sich: „Man mag sagen, was man wolle, uneigennützig ist der Mann, denn so vielen Leuten er auch schon die Ehre abgeschnitten hat, nicht das kleinste Stückchen hat er für sich behalten.“ –

Jemand fragte ihn, ob der erste Tenorist schon seine Kunstreise nach London angetreten habe? „Er ist noch hier, aber seine Stimme ist schon hin,“ lautete die Auskunft. – „Ich werde kein Künstler mehr, wenn ich wieder auf die Welt komme!“ rief ein verkanntes Genie. „Mir scheint, Sie sind schon wieder auf die Welt gekommen,“ bemerkte Beckmann. – Zu einem patriotischen Brauer, der den Truppen im französisch-italienischen Kriege Bier liefern wollte, sagte er: „Schicken Sie den Soldaten Lager-, dem Marschall Plutzer-, den Generälen Bock- und der ganzen Armee Abzug-Bier.“ – Einer seiner Collegen, den wir Julius nennen wollen, hatte in den Provinzen die ersten Heldenrollen gespielt, in Wien war er noch nicht einmal mit Episoden betheilt worden. Sein sehnlichster Wunsch war daher, nur an einem einzigen Abend in den Gesellschaftskreis des Directors gezogen zu werden, um ihn bei dieser Gelegenheit auf sein glänzendes Talent aufmerksam zu machen. „Ich gratulire!“ rief ihm Beckmann eines Tages zu, „Sie stehen am Ziele Ihrer Wünsche. Der Herr Director läßt Sie höflichst bitten, heute Abend an seinem Hausball theilzunehmen.“

„An einem Hausball?“ fragte Julius mit strahlenden Augen.

„Verbunden mit einer musikalisch-declamatorischen Abendunterhaltung. Alles erscheint in alttürkischem Costüme. Sorgen Sie nur für eine interessante Maske.“

„Ich wähle den Soliman!“ jubelte der Glückliche, „der Soliman war eine meiner Glanzrollen. O, der Director soll erfahren, welche Perle er an mir besitzt, die er bis jetzt gar nicht zu schätzen wußte.“

„Nun, viel Glück! Punkt zehn Uhr, versäumen Sie ja die Declamationsstunde nicht!“

Abends nach dem Theater soupirte der Director in seinem Familienkreise, als ziemlich verblüfft der Bediente eintrat.

„Euer Gnaden,“ meldete er, „es ist ein alter Türk draußen.“

„Ein alter Türk?“ fragte der Director befremdet.

„Mit langem, weißem Bart und glänzend gekleidet. Er spricht ganz gut Deutsch und behauptet, von Ihnen eingeladen zu sein.“

„Von mir? Das ist doch sonderbar!“

„Es scheint mit ihm nicht ganz richtig zu sein. Der alte Herr spricht ganz verwirrt, auch kommt er mir ein wenig verdächtig vor, denn er trägt einen Dolch und zwei ungeheure Pistolen im Gürtel.“

„Sage dem alten Türken, ich stehe zu seinen Diensten.“

Der Bediente öffnete die Thür und Julius trat gravitätisch als Sultan Soliman in den Speisesalon. Man kann sich das Erstaunen und die Ueberraschung der Anwesenden denken, als sie in dem grausamen Türkenfeind den harmlosen Schauspieler Julius erkannten und von dem losen Streich in Kenntniß gesetzt wurden, den ihm Beckmann gespielt. Aber Julius hatte sich über den Scherz nicht zu beklagen. Er durfte Soliman’s Monolog declamiren und zog sich so glücklich aus der Affaire, daß er schon im nächsten Schauspiel „Die Pferde sind gesattelt!“ meldete.




Inhalt: Getrennt. Novelle von F. L. Reimar. (Fortsetzung.) – Deutschlands große Industriewerkstätten. Von H. Künzel. 3. Die Griesheimer Klenger. Mit Abbildung. – Rom am Rhein. III. – Ein treuer Führer. Reiseerinnerung aus den Hochalpen. – Die Hunde des „kranken Mannes“. Von Guido Hammer. Mit Abbildung. – Die Berliner Presse. Von Max Ring. – Blätter und Blüthen: Noch einmal Fritz Beckmann.




Die Deutschen Blätter, Literarisch-politische Feuilleton-Beilage zur Gartenlaube, Nr. 8 enthalten: Charakterköpfe des ungarischen Landtags. – Umschau: Ein Apostel der Unwahrheit. – Eine adelige Monomanie. – Wohlverdiente Ruhe. – Ein Bier-Paradies. – Ein norddeutsches Carnevalsfest. – Ein Handbuch für den Beichtstuhl. – Das Gesammtergebniß der Parlamentswahlen. – Zur Statistik der Bibliotheken. – Heine’s Bekehrung. – Zur Geschichte eines Weltbuches. – Noch einmal die Hungersnoth in Indien.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_144.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)