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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Als Alma allein war, drang der volle Strom der Empfindung auf sie ein und sie jauchzte auf, als sie ihre Seele frei fühlte von dem Druck, der sie so lange belastet hatte. Das Regen des Vorwurfs, daß sie Feldern mit ihrem Verdacht gekränkt, ihm schweres Unrecht gethan hatte, kam kaum gegen das Gefühl ihres Glückes auf. Es lag ja in ihrer Macht, ihn reich für das Alles zu entschädigen, indem sie selbst ihm sagte, daß er vollkommen gerechtfertigt sei, indem sie ihm die ganze, volle Liebe zuwandte, die neu in ihrem Herzen aufgelebt war. Ihr Verlangen zog sie auf der Stelle zu ihm und doch zweifelte sie, ob sie ihn nicht zuvor schriftlich von dem Vorgefallenen in Kenntniß setzen, ihn auffordern solle, zu ihr zu eilen und sich das wärmste Willkommen zu holen. Während sie noch überlegte, wurde ihr ein Brief gebracht, an dessen Aufschrift sie die Hand ihres Gatten erkannte und den sie in der lebhaftesten Aufregung erbrach. Als sie ihn las, taumelte sie. Sie faßte mit der Hand an ihre Stirn, als ob sie an ihrem Verstand zweifle, starrte dann wieder auf den Brief und hätte sich gern überredet, daß ihr Auge von einem Blendwerk berückt, daß dies nicht der wahre Inhalt des Briefes sei. Es war umsonst, die Buchstaben standen scharf und klar auf dem Papier und scharf und klar war auch ihr Sinn. Feldern schrieb ohne alle Leidenschaft, ruhig und bestimmt theilte er Alma mit, daß er sich überzeugt habe, in seiner Seele den einzigen Weg gefunden zu haben, auf dem sie Beide fortwandeln könnten, da ein ferneres Zusammengehen unmöglich geworden: es sei derjenige der Trennung. Die letzte Unterredung habe ihm klar in’s Bewußtsein gerufen, was lange schlummernd in ihm gelegen, und mit schwerem Herzen spreche er das schwere Wort aus: Wir gehören nicht zu einander! „Es war ein edles Gefühl,“ schrieb er, „was Dich einst antrieb, Deine Hand in meine zu legen, aber es hat Dich doch irre geführt, denn es wurzelte nicht in Deinem Herzen, sondern in Deinem erregbaren Temperament. Ich mache Dir keinen Vorwurf – vielmehr tadle ich mich selbst, daß ich damals nicht mit der Einsicht des gereiften Mannes Deiner jugendlichen Schwärmerei entgegengetreten bin, unser Beider Lebensglück geschirmt habe. Darum aber fühle ich es jetzt als eine doppelt heilige Pflicht, den Bund zu lösen, der für uns Beide verhängnißvoll geworden ist, Dir Deine Freiheit und damit die Anwartschaft auf eine glückliche Zukunft zurückzugeben.“ Er setzte hinzu, daß er an ihrer Einwilligung wohl nicht zweifeln dürfe, sie aber bäte, ihm ihre Zustimmung mitzutheilen, damit er die einleitenden Schritte zu ihrer Trennung thun könne.

Als Alma’s Mutter, durch die lange Abwesenheit der Tochter beunruhigt, endlich in deren Zimmer trat, fand sie dieselbe zusammengesunken und in einem Zustand halber Betäubung auf ihrem Sopha. Als sie sich erschrocken über sie beugte, starrten ihr die Augen mit einem fast unheimlichen Ausdruck entgegen und bei allen Liebkosungen, allen Zeichen besorgter Theilnahme wiederholte sie immer nur tonlos und traurig: „Er liebt mich nicht!“ Es dauerte lange, bevor die geängstigt Frau den Sinn dieser Worte enträthseln konnte, und erst als sie einen Blick in den offen daliegenden Brief geworfen hatte, auf den Alma mit zitternder Hand deutete, ging ihr einigermaßen das Verständniß auf. Die Wirkung war aber auf sie eine andere, denn sie gerieth in die äußerste Heftigkeit. „Der Elende!“ rief sie, „jetzt endlich läßt er die Maske fallen!“

Das Wort genügte, um Alma aus der Erstarrung ihrer Seele zu wecken. „Mutter,“ rief sie, „versündige Dich nicht an dem Mann, der rein und makellos ist wie kein anderer! Es ist meine Qual und meine Seligkeit, das zu wissen!“

„Und doch sagst Du mir selbst, daß er Dich nicht liebt?“ entgegnete die Mutter erregt.

„Nein, er liebt mich nicht!“ wiederholte Alma, allein es lag nicht mehr die frühere Trostlosigkeit in ihrem Ton, vielmehr schien eine gewisse Ruhe, die Ruhe eines gefaßten Entschlusses über sie gekommen zu sein, als sie hinzusetzte: „aber vielleicht ist Gott barmherzig und läßt mich wiederfinden, was ich verloren habe.“

„Wie, Alma, verstehe ich Dich recht?“ rief die Mutter, „Du „wolltest – –“

„Ja, ich will zu Feldern, Mutter, ich will versuchen, ob er sein Wort zurücknehmen, ob er vergessen kann, was geschehen ist!“

„Alma, um Gotteswillen, gieb Dich nicht selbst auf! So kann, so darf meine Tochter nicht reden! Ich rufe Deinen Stolz an – –“

„Stolz, Mutter? Ja, Du hast Recht, wenn Du mich an meinen Stolz erinnerst; ich bin Feldern Sühne schuldig für diesen Stolz – und sie soll ihm werden!“

Die Mutter war außer sich, aber alle ihre Bitten und Vorstellungen waren vergeblich: Alma blieb bei dem gefaßten Entschluß und hatte nur das Eine Wort: „Wenn Du mich liebst, so bitte Gott, daß er mit mir sei auf meinem Wege!“

Auch die Vermittlung des Onkels, welche die Mutter zuletzt vorschlug, um Alma doch wenigstens vor der Gefahr einer Abweisung zu sichern, lehnte sie entschieden ab. „Ich allein muß den Weg zu dem Herzen meines Mannes suchen,“ sagte sie.

In rascher Fahrt trug die Eisenbahn sie in der Frühe des nächsten Morgens dem Ziele, ihrem und Feldern’s Wohnorte, zu. Hatte sie jedoch den Weg mit einer gewissen inneren Zuversicht angetreten, so fühlte sie sich allmählich von einer immer wachsenden Beklommenheit ergriffen, und als sie von dem Bahnhof aus ihrem Hause zuschritt, drohte ihr Herz von seinem gewaltigen Klopfen zu zerspringen.

Auf dem Flur kam ihr ein neueingetretenes Dienstmädchen entgegen, das die Herrin nicht kannte, und als ihr Alma sagte, wer sie sei, war es ihr, als träte sie in das eigene Haus als eine Fremde. Mit bebender Stimme sprach sie dann die Frage nach ihrem Gatten aus. Er sei nicht daheim, hieß es, würde indeß in einer Stunde zurückkehren. Eine Stunde sollte sie noch durchleben, ehe sie ihn wiedersah!

Sie ließ sich die Zimmer aufschließen, welche sie früher bewohnt hatte und aus denen ihr eine Luft entgegendrang, wie sie in Räumen zu herrschen pflegt, die lange verschlossen gewesen sind, kalt und unangenehm. Die Ordnung war übrigens unverändert: das Geräth stand und lag genau so, wie sie es vor sechs Wochen verlassen hatte; kein Tisch, kein Stuhl war von der Stelle gerückt. Sie erinnerte sich, die Papiere und Bücher auf ihrem Schreibtisch nach dem letzten Gebrauch gerade so hingelegt zu haben, wie sie dieselben jetzt wiederfand – und doch wagte sie keins davon in die Hand zu nehmen, wagte nicht, irgend etwas zu berühren. Es war ihr, als sei die eigentliche Besitzerin, die, welche einst in diesen Räumen gelebt, gestorben, als sei sie selbst ein Eindringling und habe nicht das Recht, hier zu sein. Sie trat an’s Fenster, um nach den Blumen zu sehen, die sie einst geliebt und sorglich gepflegt hatte; man hatte sie den Hauswirthen empfohlen, aber diese mochten ihr Versprechen vergessen haben, denn die Blumen senkten alle traurig die Köpfe und waren verdorrt. Alma’s Thränen rannen leise nieder auf die welken Blüthen und Blätter. Dann fielen ihre Blicke auf die Stelle, wo der Käfig des Vögelchens gestanden hatte, das einer befreundeten Familie für die Dauer ihrer Abwesenheit übergeben worden war. Es war noch nicht wiedergekehrt – Feldern mochte vergessen oder verschmäht haben, es zurückzufordern. Es wäre ihr ein Trost gewesen, wenn sie das Thierchen gehabt hätte, sie sehnte sich in fast kindischer Weise nach einem lebenden Geschöpf, das früher mit ihr in diesen Räumen gewohnt hatte. Die Stille und Oede lasteten mit bleiernem Druck auf ihr und es war ihr, als müsse ihr Herz brechen vor unsäglicher Traurigkeit.

Da drangen leise Flötentöne aus dem anstoßenden Gemach, die sie als den Gesang ihres Vögelchens unterschied. Feldern hatte es also doch zurückgenommen, vielleicht gar in der Erinnerung an sie, deren Herz – wie er wußte – an dem kleinen Liebling hing. Ein grenzenloses Verlangen überfiel sie, die Thür zu öffnen, nicht wegen des Vogels, sondern wegen des Raums, der ihn beherbergte und in dem Feldern wohnte. Sie legte die Hand an den Drücker und zog sie wieder scheu zurück, als sei sie im Begriff, ein Unrecht zu thun, dann aber nahm sie sich entschlossen zusammen und trat über die Schwelle.

Auch hier war Alles wie sonst, – und doch war es Alma, als sei eben Alles, Alles anders geworden, seit sie das Gemach zum letzten Male betreten hatte. Sie trat an Feldern’s Arbeitstisch, der wie früher mit Büchern und Schriftstücken bedeckt war. Neben denselben lag ein Bild; Alma erkannte es als ihr eigenes, das sonst an einer entfernten Stelle der Wand gehangen hatte. War es denn möglich, daß er sie noch mit anderen als kalten, und gar feindlichen Blicken betrachtete? Ueberwältigt sank sie an dem Sessel, vor dem sie stand, nieder, legte ihr Haupt darauf und weinte.

Nach einer geraumen Weile schreckte sie das Oeffnen der Thür

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_147.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)