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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

durchaus nicht sagen, daß jeder Hänfling, der über unser erstes Parlament die Achsel zuckt, darum ein Adler geworden. Uebrigens habe ich mich durch Arbeit frisch erhalten.“

„Das Schicksal, als Emigrant von Hoffnungspolitik zu zehren,“ fügte ich hinzu, „und sich allmählich dabei aufzuzehren, war für einen Mann der Wissenschaft überhaupt nicht zu befürchten. Wenn auch von Ihren persönlichen Erlebnissen seit unserer letzten Zusammenkunft gar wenig zu mir gedrungen ist, so habe ich doch manche Ihrer Arbeiten studiren können, und ich habe mich überzeugt, daß Sie nicht müßig gewesen und seitdem manchen Strauß ausgekämpft haben.“

„Das Kämpfen scheint überhaupt meiner Natur angemessen,“ erwiderte Vogt. „Sie erinnern sich vielleicht meines ersten wissenschaftlichen Straußes mit Leopold von Buch[WS 1]?“

„Davon habe ich nie etwas gehört.“

„Dann will sich Ihnen die Geschichte erzählen, denn sie war nicht ohne Einfluß auf meine späteren Lebensschickale. „Schon im Jahre 1840 hatte mich Agassiz zu einer naturforschenden Versammlung nach Erlangen geschickt, um dort die neue Gletschertheorie und die damit zusammenhängende Erklärung der erratischen Blöcke vorzutragen. Der alte Buch, dessen Verdienste um die Wissenschaft ich gewiß zu keiner Zeit verkannt habe, hatte unglücklicherweise in seiner Jugend über jenes Problem eine Meinung ausgesprochen, die heutzutage höchstens noch ein historisches Interesse hat. Er war schwach genug, mir deshalb wie ein grollender Löwe zu begegnen. Im Garten beim Kaffeetrinken griff er mich leidenschaftlich an, machte dann anderen Tages Frieden und sagte mir Abends auf dem Heimweg: ‚Ich gehe jetzt in’s Theater und Sie gehen nach Hause, um sich auf das dumme Zeug vorzubereiten, das Sie uns morgen vortragen wollen.‘ Am nächsten Tage erhielt ich denn das Wort und ging wohlgemuth an meine Predigt. Buch setzte sich mir dicht gegenüber, seinen dicken Stock mit beiden Händen zwischen den Knieen haltend und das Kinn auf den Knopf des spanischen Rohrs gestützt, schaute er herausfordernd zu mir auf und begleitete meine Rede mit Murren und Knurren. Wir kamen indessen in Erlangen noch friedlich genug auseinander. Unangenehmer wurde die Begegnung zwei Jahre später, als ich mit reicheren Resultaten unserer Gletscherforschungen an die naturforschende Versammlung nach Mainz kam. Leopold von Buch hatte in seinem gereizten Gelehrtenstolz etwas von Gelbschnäbeln fallen lassen, die noch nicht trocken hinter den Ohren seien; er suchte mein Auftreten in der Section zu verhindern. Ich setzte es aber bei dem Präsidenten durch, daß die Reihe der eingeschriebenen Redner auch für mich eingehalten wurde; ich hatte widrigenfalls mit Lärm in der allgemeinen Sitzung gedroht. Man rief mich dann zu rechter Zeit auf die Tribüne. Ich aber ärgere mich über den Alten und glücklich am Ende meines Vortrags angelangt, schließe ich in jugendlichem Eifer mit den Worten: ‚Das Lied der Wahrheit dringt doch durch, ob es von grauen oder gelben Schnäbeln gesungen wird!‘ Sie können sich das Aufsehen denken, welches eine solche Abwehr in der Versammlung hervorrief.“

„Inwiefern hatte aber diese Begegnung einen Einfluß auf Ihre späteren Schicksale?“ fragte ich den Erzähler.

„Ich müßte vielleicht etwas weit ausholen, um Ihnen dies zu erzählen.“

„O, thun Sie es nur, denn ich möchte von Ihnen doch ein wenig mehr als Ihre Schriften kennen.“

„Sie wissen, daß ich als Student drei Jahre in Liebig’s Laboratorium in Gießen gearbeitet habe. Es war von 1833 bis 1835. Liebig hatte stets viel Wohlwollen für mich gehabt und mich auch nicht aus den Augen verloren, als ich später mit Desor bei Agassiz in Neuchâtel an dessen großem Werke über die Anatomie der Süßwasserfische arbeitete und mich an den Untersuchungen über die Gletscherbewegung betheiligte. Agassiz wollte mich nach Amerika mitnehmen; ich schlug den Antrag aus, denn die Yankees haben nie zu meinen Liebhabereien gehört. Ich hatte als Doctor der Medicin regelrecht promovirt, ich hätte mich irgendwo als Heilkünstler niederlassen können, doch ist die Medicin mir stets ein Gräuel gewesen. So zog ich es denn 1844 vor, nach Paris zu gehen und mich dort mit meinen Lieblingsstudien zu beschäftigen. Ich arbeitete im Pflanzengarten, schrieb für die Allgemeine Zeitung Correspondenzen über die Sitzungen der Akademie, begann mein Lehrbuch der Geologie und veröffentlichte bei Cotta meine physiologischen Briefe, die ursprünglich für die Beilage der Allgemeinen Zeitung bestimmt waren und jetzt in dritter Auflage erschienen sind. Im nächsten Winter ging ich nach Nizza. Dort entstand mein Buch ‚Ocean und Mittelmeer‘, von dort aus erhielt ich auf Liebig’s Veranlassung einen Ruf als Professor der Zoologie an die Gießener Universität.“

„Und waren gegen diese Berufung nicht vielfache Bedenken von der Regierung des Großherzogthums Hessen erhoben worden? Ihr Vater war ja lange genug in der Opposition gewesen, bis er sich endlich gezwungen sah, eine Professur an der Berner Hochschule anzunehmen.“

„Und meine Mutter ist eine geborene Follen,“ fügte Vogt hinzu; „so konnte der Sohn freilich nicht auf besondere Gönnerschaft in den regierenden Kreisen zählen. Der Cultusminister Linde wollte auch um keinen Preis meine Ernennung zugeben und begründete seine Weigerung mit der Bemerkung, ich habe mich vor einigen Jahren so unehrerbietig gegen Herrn Leopold von Buch benommen, daß meine Berufung an die Gießener Universität einer Beleidigung jenes Veteranen der Wissenschaft gleichkäme. Der alte Buch aber, als er von dieser Aeußerung des Ministers etwas erfuhr, schrieb diesem einen so entsetzlich derben Brief und verbat sich so ausdrücklich, daß ein hessen-darmstädtischer Cultusminister sich in seine Privatangelegenheiten mische und sie zum Vorwande seiner politischen Maßregeln nehme, daß meine Berufung endlich erfolgte. Indessen hatte ich mir vorgenommen, erst mit dem Beginn des Sommersemesters nach Gießen zu gehen, um dort sogleich nach meiner Ankunft meine Vorlesungen zu beginnen. Den Winter brachte ich in Paris zu. In Gießen hatten die Herren indessen volle Zeit, sich auf das wichtige Ereigniß meines Amtsantritts vorzubereiten. Und wichtig genug war dies Ereigniß, das mögen Sie mir glauben, denn es hatte sich ein unheimliches Gerücht über meine Persönlichkeit verbreitet, ein Gerücht, das die alten Häupter unter meinen zukünftigen Collegen mit Schauder und Grauen erfüllte.“

„Sie erschrecken mich. Hoffentlich wird es keine Criminalgeschichte,“ fiel ich ein.

„In Heidelberg giebt es ein Institut für Zeitungsleser, welches man das ‚Museum‘ nennt, „fuhr Vogt fort. „Dort sitzen an dem einen Tisch die Geheimen Räthe, an dem andern die Geheimen und simplen Hofräthe, am dritten die außerordentlichen Professoren, am vierten die bescheidenen Docenten, und wehe dem Unglücklichen, der es damals wagte, die geheiligte Rangordnung zu verletzen und sich an einem Tisch niederzulassen, der ihm nicht zukam! Im Museum zu Heidelberg war ich im Sommer 1846 auf einer Durchreise gewesen und von dort aus hatte sich das finstre Gerüchte verbreitet, Karl Vogt, der eben nach Gießen berufene Professor, trage – einen Schnurrbart!! Ich trug damals meinen Bart wie heute noch, und Sie sehen wohl, die Natur hat mich in diesem Falle nicht mit außergewöhnlicher Fülle beschenkt. Mein Schnurrbart aber war unter den Posaunenklängen der Fama, bis diese nach Gießen drangen, zu einer entsetzlichen Länge gewachsen. Ja, es hieß, das sei ein Schnurrbart, wie noch kein Sterblicher ihn gesehen, ich könne ihn dreist um den Kopf wickeln und hinten zusammenbinden. Wird er mit dem Schnurrbart auf’s Katheder treten, wird er ihn vorher abrasiren lassen? Diese Frage beschäftigte die gesammte Gelehrtenwelt Gießens während der langen Wintermonate. Wetten wurden eingegangen, von den Alten gegen, von den Jungen für den Schnurrbart. Die Letzteren geriethen in Sorge um ihre Finanzen, sie schrieben mir lamentable Briefe nach Paris, ich solle sie doch um Gotteswillen vor dein Bankerott retten und ja nicht ohne Schnurrbart auf’s Katheder treten. Die Lage wurde schwierig, ich durfte meine jungen Freunde nicht in’s Verderben bringen, mein Schnurrbart mußte vor allen administrativen Gefahren, die ihm von Rector und Senat drohten, geschützt werden. In der äußersten Noth kam mir Erleuchtung. Als ein loyaler Professor hielt ich es für geboten, vor meinem Amtsantritt den regierenden Herrschaften in Darmstadt meine Aufwartung zu machen. Ich fuhr in dem neuesten Frack und in dem vollen Schmuck meines Bartes zum Großherzog, dann zum Erbgroßherzog. Bei Letzterem wurde ich angenommen. Seine Hoheit unterhielten sich mit mir über schweizerische Verhältnisse und die Audienz währte so lange, daß der dienstthuende Adjutant, als ich endlich wieder in’s Vorzimmer trat, sich mit der tiefsten Ehrerbietung von mir verabschiedete. Der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Leopold von Buch, geb. 26. April 1774 auf Schloß Stolpe bei Angermünde in der Uckermark, † 4. März 1853 in Berlin
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_150.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)