Seite:Die Gartenlaube (1867) 152.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Nun denn, wir wollen uns von den Amerikanern nicht überholen lassen. Aber nicht nur das Publicum gewinnt, indem es sich so auf die bequemste Weise mit den Fortschritten der Wissenschaft vertraut machen kann; diese Wandervorträge sind zugleich von außerordentlicher Anregung auf den Vortragenden selbst und es ist überhaupt gut, daß Jeder der Apostel seiner eigenen Ideen werde und durch die größere Verbreitung derselben auch einen weiteren Kreis von Menschen für die Wissenschaft gewinne.“

Die Frau Professor hatte sich während unserer Unterhaltung entfernt und trat eben wieder ein, um uns zum Thee zu bitten. Wir folgten ihr in’s Speisezimmer und hier entspann sich die lebendigste Unterhaltung, die mir von Neuem Gelegenheit bot, in Vogt nicht blos den scharfen geistreichen Kopf, sondern den gemüthswarmen Menschen kennen zu lernen. Denn sehr Unrecht haben seine Feinde, wenn sie ihm das Gemüth absprechen wollen, vortrefflich aber charakterisirt ihn der jetzt als Flüchtling in New-York lebende H. J. A. Körner, wenn er in seinen „Lebenskämpfen aus der alten und neuen Welt“[WS 1], seiner Beziehungen zu Vogt gedenkend, von dessen ausgeprägtem Humanitätsinstinct spricht.

„Meine Wahrnehmung dieses seines Humanitätsinstinctes erklärte es mir zuletzt,“ sagt er, „wie Karl Vogt, dieser zeitgeizige und Alles bekrittelnde Mann, mehrere Tage bis in die Nacht hinein an einem Weihnachtsbaum für die Kinder seiner Geschwister arbeiten konnte und dabei selbst meine Kinder nicht vergaß, wie er fähig war Mühe und Zeit zu verwenden, den Flüchtlingen auf dem Kornhause Vorträge zu halten und anderweitig für Alle, und für manche Einzelne noch besonders, ‚Mittel des Lebensunterhaltes‘ herbei zu schaffen und endlich später eine zwar schöne, aber doch sehr einfache und nicht eben reiche ‚Berner Oberländerin‘ zu heirathen, sie zart und liebevoll zu behandeln und sich mit seinen Kindern gleich dem zärtlichst fühlenden Vater herum zu tummeln.“

Das beweist denn doch wohl, daß Vogt nicht blos der ewig schlagfertige und kampflustige Verstandesmensch ist.




Meine Flucht von Dresden nach New-York im Jahre 1849.
Von Carl Munde.[1]


Die Dresdner Ereignisse von 1849 sind bekannt. Ich war Mitglied des Centralausschusses der Vaterlandsvereine, Stadtverordneter, als solcher und als Commandant der gesetzlich organisirten, obgleich durch und durch demokratischen, Turner-Waffenschaar Mitglied des Ausschusses der Dresdner Bürgerwehr und nahm folglich an allen Beschlüssen dieser Körper Theil, während ich mit meiner Schaar, als der einzigen, die an jenem verhängnißvollen zweiten Mai in geschlossener Ordnung und von ihren ordentlichen Officieren geführt vorrückte, zur Unterstützung des Volkes vorzugehen wagte.

Am fünften Mai, nachdem ich eben auf der dem Schloß am nächsten gelegenen Barricade den Soldaten eine kurze Rede gehalten, wurde vom Schloß und den geistlichen Häusern aus ein lebhaftes Feuer auf mich eröffnet, als ich die Barricade hinabstieg und mitten unterm Feuer nach dem Hotel de Pologne zurückging, durch das ich herausgekommen war. Die Kugeln pfiffen rechts, links und über mir vorbei, wohl fünfzig, ehe mich eine traf. Diese eine traf aber! Ich fühlte deutlich, wie sie durch den linken Unterschenkel ging, setzte indeß mit Hülfe eines spanischen Rohres, das ich wegen eines auf der Barricade vertretenen Fußes in der rechten Hand trug, meinen Weg noch um einige Schritte fort, bis ich die Thür des Hotel de Pologne erreichte und dort meinen Leuten in die Armes fiel. Der Blutverlust war so stark, daß ich bald meine Sinne schwinden fühlte und nur eben noch Zeit hatte, anzuordnen, daß man mich durch das Haus des Bankier Kaskel nach der Löwenapotheke tragen solle, wo ein Verbandplatz angelegt war.

Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich, in kaltem Schweiße gebadet, auf einem Strohlager am Boden der Apotheke und rechts und links neben mir andere mehr oder minder schwer Verwundete. Ein junger Arzt kniete zu meinen Füßen und untersuchte, meinen entblößten Fuß in der Hand, meine Wunde. Meine Frage, ob Knochen entzwei wären, verneinte er. Am nächsten Tage brachte jedoch mein Diener Hingst meinen Strumpf, in welchem noch einige Knochensplitter staken. Er sagte, er habe schon eine Menge herausgewaschen. Späterhin fand sich, daß das Wadenbein ganz entzwei und die Hälfte des Schienbeines fort war; daß ich also die letzten Schritte, welche ich nach der empfangenen Kugel noch gethan, blos auf einem halben Schienbein gemacht hatte. Das Bein schwoll schnell an und erschwerte die Untersuchung.

Nachdem ich durch einen Freund meiner Frau einige Zeilen gesandt, ließ ich mich in einem Krankenkorbe durch die Scheffelgasse und, da diese an der Wallstraße von einer Barricade gesperrt war, durch das jetzige Hôtel garni von Meisel nach meiner Wohnung in der Oberseergasse tragen, wo mich mein treues Weib unter Thränen der Freude und des Schmerzes empfing. Welche Freude, daß ich wenigstens nicht todt nach Hause gebracht worden!

Da lag ich nun drei Tages ohne anderen Verband, als nasse Tücher, welche ich oft mit frischem Wasser anfeuchtete, und ohne etwas zu essen. Alles, was ich genoß, war eine Flasche Rothwein, welche mir bei meiner Ankunft Jemand reichte und die ich ohne Absetzen ausleerte, so begierig war ich, das verlorene Blut zu ersetzen. Währenddem wurde der Kampf wilder und wilder. Endlich am achten Nachmittags kam mein Freund Dr. Herz zu mir und sagte mir, er fürchte, wir würden nicht lange mehr Widerstand leisten können; wenn ihn nicht Alles täusche, so werde die Stadt noch in dieser Nacht genommen werden. Das bewog mich denn doch, meinen Diener nach einem Wagen zu schicken, um mich nach irgend einem benachbarten Orte zu führen. Nach vieler Mühe hatte er einen Bauer aufgetrieben, der bereit war mich gegen eine Vergütung nach Tharand mitzunehmen.

Es wurde also eine Matratze auf den Boden des Wagens gelegt, ich hinein gehoben, und einige Kleidungsstücke, nebst meinem Säbel, neben mich gelegt; dann stieg meine Frau mit einem dritthalbjährigen Kinde und einer meiner älteren Söhne von etwa fünfzehn Jahren, Albert, auf den Wagen, und zuletzt der Bauer selbst, und nun ging es, begleitet von vier meiner Scharfschützen mit geladenen Büchsen, zum plauenschen Schlage hinaus nach Tharand zu. Eine Stunde von Dresden schickte ich meine Escorte zurück, erreichte Tharand gegen elf Uhr Abends ohne Unfall und fand bei einer uns befreundeten Kaufmannswittwe gastfreie Aufnahme und Pflege.

Früh am Morgen schickte ich nach einem Wundarzte, um meine Wunde untersuchen und einen ordentlichen Verband anlegen zu lassen. Er hatte eben die Sonde eingeführt, als mein Sohn ins Zimmer stürzte mit der Nachricht, Dresden sei genommen und Zuzügler und Flüchtlinge kämen in großen Massen die Straße hergezogen. Er habe Heubner gesprochen, der sogleich hier sein werde.

Hastig folgte ihm dieser und fragte mit kaum erkennbarer heiserer und rauher Stimme: „Wie geht Dir’s, Munde?“

„Schlecht, wie Du siehst!“

„Es ist Alles vorüber. Du kannst hier nicht bleiben. Komm’ mit uns im Regierungswagen.“

„Ich kann nicht sitzen und muß das Bein hoch liegen haben.“

„Gut, so will ich einen Bauerwagen für Dich requiriren; er soll sogleich hier sein.“

„Was denkt Ihr zu thun?“

„Wir setzen uns in Freiberg.“

„Das geht nicht. Ihr könnt Euch da nicht halten.“

„Wir versuchen es; mit den Zuzüglern haben wir über zehntausend Mann.“


  1. Nicht um alte Wunden wieder aufzureißen, sondern lediglich um der vielen Freunde willen, die Munde durch seine Schriften wie durch sein Wirken diesseit und jenseit des Oceans gefunden, theilen wir die obenstehende interessante Episode aus dessen bewegtem Leben mit, aus deren ganzer Darstellung erhellt, daß dem Verfasser jede Parteigehässigkeit fern liegt.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Herm. Joseph Aloys Körner, Leipzig und Zürich 1865.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_152.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)