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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

beschreiben, als wir uns auf meinem Lager in fester Umarmung hielten und Keines ein Wort zu sprechen vermochte. Körperliche Schmerzen und Seelenpein, wie ich sie mehrere Wochen lang ertragen, vermögen auch den stärksten Mann bis in’s Innerste zu erschüttern. – Mit zarter Schonung ließen uns unsere Freunde allein, bis wir uns gesammelt hatten, und nun Eines nach dem Andern herzu kam. Die Freude war tief und innig, aber kurz; denn schon am Abend des nächsten Tages trieb Freund Flügel zur Rückkehr. Leider trübte er mir den schönen Tag durch Täuschung einer Hoffnung, welche mich in den letzten Tagen sehr aufgerichtet. Die Sache verhielt sich folgendermaßen:

Der Consul hatte einen Secretär, Karl Schmidt, aus Schmölln, welcher mir sehr ergeben war und der mich nicht nur öfters besuchte, sondern auch tagelang die ihm bekannte Umgegend absuchte, wenn etwas Verdächtiges im Winde war. Dieser brave junge Mann wurde eines Tages mit einem Pelzhändler aus Canada (Karl Meyer aus Montreal) bekannt und nachdem er sich überzeugt, daß dieser mit einem englischen Consulatspasse nach England zu reisen im Begriff stand, wo er den Paß nicht weiter brauchte, bat er ihn, ihm den Paß von England zurück zu schicken, da er damit einen Freund des amerikanischen Consuls aus großer Gefahr retten könne. Herr Meyer versprach mit Vergnügen seine Bitte zu erfüllen, und Schmidt zeigte mir bald an, daß der Paß in Dr. Flügel’s Händen sei, der ihn mir selbst mitbringen werde. Er brachte wirklich den Paß mit, welcher mich sicher über die deutsche Grenze gebracht haben würde; er ließ mich ihn sehen; aber ich konnte ihn weder durch Bitten noch durch Vorwürfe bewegen, mir ihn zu lassen, obschon der Paß nicht von ihm ausgegangen, noch er sonst ein Recht darauf hatte, noch auch ein Mensch erfahren konnte, daß er durch ihn in meine Hände gelangt sei. Denn daß ich eher gestorben sein als einen der Betheiligten genannt haben würde, wußte Jeder der mich kannte. Er wollte mir den Paß nachschicken, wenn ich außerhalb der deutschen Grenzen sein würde. Die übergroße Gewissenhaftigkeit, die der Freund zuweilen walten ließ, war es, die ihn vorspiegelte, er könne seine Stelle als Consul verlieren! – Er verlor sie später dennoch, ohne mein Zuthun. An einem andern Orte habe ich bereits erzählt, wie es mir durch persönliche Verwendung in Washington gelang, sie ihm wieder zu verschaffen.

Rittler schlichtete unsern Streit, worin ich, der dem Freunde so tief Verpflichtete, nur mit schwachen Waffen kämpfte, indem er mir sagte, er habe bestimmte Hoffnung bald einen andern Paß für mich zu erhalten. Und so ging der englische Paß, oder mit einem Schlage den bisherigen Mr. Charles Murray in Mr. Charles Meyer verwandeln sollte, wieder nach Leipzig zurück und mit ihm die gute Absicht des menschenfreundlichen Canadiers verloren. Es ist mir immer leid gewesen, ihm meinen Dank nicht einmal persönlich abstatten zu können; doch habe ich während meines langen Aufenthalts in Massachusetts nie Gelegenheit gehabt, einen Ausflug nach Montreal zu machen.

Ein paar Tage nach der Abreise meiner Frau brachte mir Rittler in der That einen königlich sächsischen Reisepaß in blanco, nebst dem vollständig ausgefertigten Passe eines seiner Freunde, der im Begriff war, mit seiner Familie nach Amerika auszuwandern, von derselben Behörde ausgestellt, so daß das Document in bester Form nach meinem Gefallen ausgefüllt werden konnte. Der Beamte, welcher mir den Paß sandte (nicht den ersten, den Rittler von ihm empfangen), kam später in Untersuchung, entkam aber durch die List und Geistesgegenwart seiner Frau aus dem Gefängnisse, indem sie den ihn verfolgenden Polizeidiener in den Keller fallen ließ und ihn da einsperrte, und ließ sich in Amerika nieder. – Es war ein Glück für mich, daß nicht alle demokratische Beamte so ängstlich waren, wie Freund Flügel, sonst hätte ich, trotz aller Liebe und Freundschaft, die mir sonst erzeigt wurde, zu Grunde gehen müssen. Möge der Retter in der Noth, welcher, so viel ich weiß, in Philadelphia lebt, meinen späten Dank auf diesem Wege nicht verschmähen. Ich und meine Familie haben ihn und die Seinen tausendmal gesegnet.

(Schluß folgt.)




Unter dem Krummstabe.


Unter den Städten Deutschlands ist die alte Juvavia, wenn nicht eine der schönsten, gewiß eine der interessantesten. Man muß nur so einmal beim Morgengrauen eines Frühlingstages von Berchtesgaden abgereist sein und nun, wenn die Sonne hell emporsteigt, sich der Stadt nähern. Der Untersberg, dessen seltsame Form die Phantasie des Volkes von jeher so sehr beschäftigt, daß sie in ihn bald den Kaiser Karl den Großen, bald ein ganzes Volk von Zwergen versetzt, der Berg mit den blutrothen Marmorwänden will das Auge noch immer festhalten; eine ganze Kette beschneiter Bergriesen schließt sich ihm an. Doch ein Bild von sanfterem Reize läßt den Wanderer bald nur immer vor sich schauen. Aus den weiten grünen Wiesenmatten, aus welchen ein zarter weißer Dunst aufschwebt, um gleich wieder zu zerfließen, tauchen Wäldchen von Ahornen, Buchen, Linden auf, grüne Anhöhen beschränken bald da, bald dort den Blick, nun steigt ein mächtiges Schloß empor und hebt sich mit seiner gelbgrauen Fronte gegen den blauen Himmel ab. Das ist Hohensalzburg. Ein ganzes Geschwader von Krähen, das die Risse und Schornsteine des halbverfallenen Baues verlassen, setzt sich in diesem Moment in Bewegung, zieht kreischend über unsere Köpfe hinweg und seltsame Schatten flattern und huschen über den hellgrünen Plan. Nun zeigen sich Alleen und Avenuen, dahinter glänzende Kuppeln, alte Thürme, neugeweißte Häuser und nach einigem Gepolter über ein schlechtes Pflaster setzt uns der Wagen auf dem Residenzplatz ab.

Ja, auf dem „Residenzplatz“, denn Salzburg hält seine Erinnerungen als Hauptstadt eines geistlichen Fürstenthums fest. An diese Zeit erinnert die ganze Architektur dieses Platzes, erinnern die hohen, vielstöckigen Häuser mit den italienisch platten Dächern, erinnern der majestätische Residenzbau, die Domkirche, vor allem aber der Hofbrunnen. Dieser Brunnen, den Erzbischof Guidobald von Thun um’s Jahr 1668 vom Italiener Antonio Dario ausführen ließ, galt schon im vorigen Jahrhunderte für das schönste Werk dieser Art im ganzen deutschen Reiche; er ist, vom flüssigen Element belebt, wirklich imposant. Vier ungeheure Flußpferde bäumen sich nach den vier Weltgegenden und sprühen das Wasser aus Maul und Nüstern, vier Atlanten tragen keuchend eine riesige überfließende Muschel, oben spritzt ein Triton jauchzend den Wasserstrahl in die Luft. Die Muschel, die Atlanten, die Pferde, alle sind weißer Marmor und Monolithen. Der Cicerone sagt uns, daß das untere Wasserbehältniß, die Stufen nicht mitgerechnet, hundertsiebenundsiebzig Fuß im Umfange habe. Doch wenn schon die Größe imponirt, das Kunstwerk wirkt ganz besonders durch seine Eigenthümlichkeit. Bei der Auszierung eines erzbischöflichen Palastes waren die vollbusige Amphitrite mit ihren üppigen Gesellschaftsdamen nicht vorführbar, die Composition mußte einen ausschließlich männlichen Charakter haben und ihre Wirkung ist nun die einer durch nichts gemilderten Strenge. Doch wenn man beim Eintritt in die Stadt auf den Prunk, den Reichthum, den starren Glanz ihrer Vergangenheit aufmerksam gemacht werden sollte, so war eine passendere Einführung nicht denkbar.

Wenn wir uns nun diese Erzbischöfe aus alter Zeit etwas näher rücken wollen, da müssen wir z. B. in dem so außerordentlich interessanten städtischen Museum vor dem Bildnisse des Erzbischofs Wolf Dittrich Halt machen. Er regierte zu Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts. Ein finsterer, bärtiger Mann im Harnisch, wie ein zorniger Mars. Seine Geliebte ist die schöne Salome Alt, für die er das nahe Schloß Mirabell erbaute. Er hatte mit ihr mehrere Kinder. Sein Werk ist der alte Marstall, für hundertunddreißig Pferde bestimmt. Von jeher nach der Propstei von Berchtesgaden lüstern, machte Erzbischof Wolf Dittrich 1611 einen Einfall in das Ländchen unterhalb des Watzmanns; der Propst von Berchtesgaden jedoch, bairischer Prinz, sammelte seine Mannen, fiel bald über Salzburg her und Wolf Dittrich floh nach Kärnthen. Er wurde eingeholt, zuerst in der Festung Werfen eingekerkert, dann zurückgebracht. Er starb 1612 in einem Kerkerloch der Burg Hohensalzburg und liegt auf dem St. Sebastiansfriedhofe in der Gertrudscapelle begraben.

Dieses Hohensalzburg, das die Stadt überragt, ist das, was man mit dem herkömmlichen Ausdruck „eine ehrwürdige Veste“ bezeichnet. Aber es ist etwas Eigenes um die Ehrwürdigkeit des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_156.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)