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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Die Thomasnacht (21. December) und die Christnacht, in welchen alle Arten von weißem oder schwarzem Zauber am trefflichsten gelingen, werden besonders zu unendlich mannigfaltigen Formen des Liebesaberglaubens – und namentlich von den in dieser Hinsicht auf die Zukunft so neugierigen Mädchen – benutzt.

Die Johannisfeuer in Partenkirchen.
Nach der Natur aufgenommen von Sundblad.

In der Thomasnacht wird Blei oder Eidotter in das Wasser gegossen und aus den seltsamen Gebilden, die dabei entstehen, prophezeit, ob die Dirne in diesem Jahr heirathe oder sterbe oder „einschicht“ fortlebe, wen sie heirathe, einen Alten oder Jungen, Bürger oder Bauer, Reichen oder Armen. Ferner werfen sie den rechten Schuh rücklings über die linke Schulter: fällt die Spitze gegen die Thür, so heirathen sie aus dem Dorf hinaus, wenn nicht, heirathen sie im Dorf ein. Zuletzt entkleidet sich das Mädchen völlig, steigt auf den Bettschemel und bittet den heiligen Thomas, ihr im Traum ihren künftigen Hochzeiter zu zeigen. In der Christnacht (in welcher bekanntlich das Vieh in menschlicher Sprache redet; wer als Kind in einer Wiege aus dem Holz eines Kirschbaums geschlafen, welcher aus einem von einem Sperling auf eine Mauer getragenen Kern gewachsen ist, kann verstehen, was die Rinder und Schafe in diesen heiligen Stunden verhandeln) achtet das Mädchen darauf, wer ihr auf dem Weg in die Mette zuerst begegnet oder sie zuerst anspricht oder ihr zuerst eine Freundlichkeit erweist: er wird unfehlbar ihr Mann. Das „Bescheeren“ an Kinder und Erwachsene am Weihnachtsabend unter dem kerzengeschmückten Christbaum ist auf dem Lande und unter den Bauern nicht üblich; diese protestantische, norddeutsche Sitte ist erst zu Anfang dieses Jahrhunderts von den protestantischen Prinzessinnen, welche die Krone Baierns trugen, in die Kreise des Hofes und der höheren Gesellschaft der Hauptstadt und von da in den Bürgerfamilien auch der Provincialstädte eingeführt worden. Dagegen kommt in ganz Baiern und Schwaben eine höchst merkwürdige Liebessitte am ersten Weihnachtsfeiertag vor: das sogenannte „Kletzen-Schneiden“ oder „Scherzel-Schneiden“. Das Mädchen schenkt ihrem Schatz den „Kletzenweck“, ein Gebäck aus schwarzem Brod mit Mandeln, Dörrobst und Feigen, schneidet das „Scherzel“, das runde Ende, ab und verzehrt es gemeinsam mit ihm. Diese symbolische Handlung bedeutet, daß Mädchen und Bursch sich für das kommende Jahr als zur Treue verpflichtetes Liebespaar feierlich anerkennen und Lust und Leid mit einander theilen wollen. Dieses oder ein ähnliches Gebäck muß in der Heidenwelt zu dieser Zeit als Opferkuchen üblich gewesen sein, denn noch jetzt fürchtet die Bäuerin Krankheit oder Tod, wenn das Gebäck verbrennt oder sonst übel ausfällt. An dem dritten Weihnachtsfeiertag (Johannes Evangelista) wird in der Kirche noch heute der rothe Wein geweiht, welchen die Brautpaare bei der Trauung als „Johannissegen“ trinken und welcher einst unter dem Schutz des Gottes Freyr stand.

Endlich besteht im Lechrain an dem Tag des „unschuldigen Kindermordes“ (28. Decbr.) eine merkwürdige Sitte. Die Burschen schenken ihren Mädchen Kuchen, diese reichen ihnen Branntwein und Brod und lassen sich von ihren Liebhabern mit Weidenruthen Hände, Arme und Nacken peitschen, was man „kindeln“ nennt; wenn die Haut nicht tüchtig roth wird, gilt das Liebesfeuer in den Herzen des Paares als matt und schwach. Ich weiß den eigentlichen Sinn dieses Gebrauchs nicht zu deuten; doch halte ich für ausgemacht, daß eine erotische Beziehung zu Grunde liegt und daß die Ausdehnung der Sitte auf die Kinder, welche an diesem Tage bettelnd und singend durch die Straßen des Dorfes ziehen und die Erwachsenen mit Ruthen schlagen dürfen, wofür sie Obst und Kletzenbrod erhalten, erst später durch die Kirche geschah, die denn auch die Uebung auf den Ehren- und Leidenstag der „unschuldigen Kinder“ verlegt hat.




Meine Flucht von Dresden nach New-York im Jahre 1849.
Von Carl Munde.
(Schluß.)


Während Freund Rittler dergestalt für meine Weiterreise sorgte, versahen mich andere Freunde mit den nöthigen Geldmitteln, von denen ich mehr zusammenbrachte, als ich für mich im Augenblicke brauchte. Mein braver Verleger schickte mir nicht allein mehrere hundert Thaler, sondern eröffnete mir auch in Brüssel einen ansehnlichen Credit. Sobald ich im Stande war, mit Hülfe von Krücke und Stock mir fortzuhelfen, drängte es mich zur Reise. Eine innere Stimme sagte mir, daß Gefahr im Verzug war und daß jeder Tag eine Entdeckung herbeiführen könne. Der brave Hofbrauer Ruoff hatte mir seine Equipage versprochen, und der Tag der Abreise war festgesetzt. Am Abend vorher kam er, um mir zu sagen, daß sein Fuhrwerk noch nicht zurück sei und daß er nur ein Pferd zu Hause habe; ich werde wohl noch einen Tag warten müssen. Ich sprach meine Besorgniß aus, daß ein Tag länger mir verderblich werden könne; ich vermöge es nicht, die Ahnung zu unterdrücken, daß die Polizei endlich auf mich aufmerksam geworden, eine Haussuchung vornehmen werde, um zu sehen, wer denn der mysteriöse Engländer, von dem sie doch wohl eine Spur erhalten haben könne, eigentlich sei. Nach einigem Nachdenken sagte er endlich kurz entschlossen: „Nun gut, so will ich Ihnen mein Reitpferd dazu geben, und morgen zu Hause bleiben. Um vier Uhr Morgens soll der Wagen da sein.“ Ich hoffe, der Gedanke an meine Rettung hat dem biedern Mann sein letztes Stündlein, das viel zu früh schlagen sollte, erheitern helfen.

Der Wagen fand uns Alle lange vor vier Uhr bereit. Die gute Doctorin hatte für Frühstück gesorgt, und so sehr es mich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_168.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)