Seite:Die Gartenlaube (1867) 172.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Eine Freistätte des Glaubens.


Daß zwischen den Höhen des Taunus und des Vogelsbergs und zwischen Main und Lahn das Hügelland der Wetterau sich ausbreitet, weiß Jedermann; aber daß der kühnste ihrer Hügel eine Burg trägt, welche über ein Jahrhundert lang eine gemeinsame Freistätte der Verfolgten jedes Glaubens und der Ausgestoßensten aller Völker war, und daß in dieser Burg noch heute Zeugen aus jenen Tagen leben, das scheint über die Wetterau hinaus nur Wenigen bekannt geworden zu sein.

Oder kennt Jemand irgendwo, in allen Ländern, eine zweite Burg, in deren weiten an Herrenpracht verödeten Flügelbauten hier ganze Geschlechter armer, vom Wahn gehetzter Juden, dort viele Familien von den aus Frankreich vertriebenen Hugenotten, und wieder in einem andern Schloßtheile Horden von Zigeunern und in noch einem andern die Flüchtlinge von Salzburg und von unterdrückten Herrnhuter-Gemeinden zu gleicher Zeit friedlich nebeneinander gewohnt, während von der Welt geflohene und die Welt fliehende Alchymisten und Astrologen in den gemiedenen Thürmen gehaust?

Dies Alles ist geschehen auf der Ronneburg, einem jetzt großherzoglich hessischen Bergschlosse im Landgericht Büdingen, so lange dieselbe unter dem vielverzweigten Dynastenstamme der Isenburger stand, deren mediatisirtem Gebiete sie noch dermalen angehört. Die Burg erhebt sich auf ihrem Basaltkegel an der südlichsten Grenze der darmstädtischen Provinz Oberhessen, etwa anderthalb Meilen südwestlich von Büdingen; wer von Windecken nach Wächtersbach eine Luftreise in gerader Linie machte, würde über ihre Thürme dahinfahren. Vom Thale aus betrachtet, erscheint sie noch heute als ein wohlerhaltenes Denkmal uralter Zeit; erst wenn wir ihre Höfe betreten, sehen wir, wie weit ihr Verfall vorgeschritten ist. Ehe uns aber der Leser auf dem gewagten Gang durch ihre Räume begleitet, lassen wir ihre denkwürdige Geschichte an uns vorübergehen.

Die Ronneburg gehörte ursprünglich einem Rittergeschlechte gleiches Namens und kam nach dessen Aussterben in verschiedene Hände, endlich, im letzten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts, an die Isenburger. Wohl erst, nachdem diese sich in Büdingen, Wächtersbach ec. ihre Residenzen gegründet und das Schloß mit seinen weiten Räumen unbewohnt stand, jedenfalls aber in sehr früher Zeit wurde es seiner unvergleichlich schönen Bestimmung übergeben. Die ältesten Schützlinge der Burg sind die Juden, über welche gerade im nahen Frankfurt am Main stets die entsetzlichsten Verfolgungen ergangen waren. Als der „schwarze Tod“ in den Jahren 1348 und 1349 wohl fünfundzwanzig Millionen Menschen in Europa wegraffte, brachen bekanntlich jene scheußlichen Judenverfolgungen aus, die auf ein Abschlachten des ganzen israelitischen Volks auszugehen schienen und noch über hundert Jahre in einzelnen Gegenden Deutschlands nachwirkten. Mögen aus den früheren Bedrängnissen nur einzelne Familien in der Ronneburg Zuflucht gefunden haben, so öffnete sich 1614 nach einer neuen großen Judenverfolgung in Frankfurt a. M. die Zugbrücke derselben für ganze Schaaren, von denen viele zurückblieben, auch als ihnen Frankfurt seine Judengasse wieder erschloß.

Die Zigeuner mögen viel später, als die Juden, in der Ronneburg Herberge gesucht haben; sie erschienen bekanntlich erst gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in den Main- und Rheingegenden, verstießen aber durch ihr Vagabundenleben wohl erst nach dem dreißigjährigen Kriege gegen die Reichspolizeiordnungen.

Zwischen Juden und Zigeunern fanden Alchymisten und Astrologen, die sich verfolgenden Augen zu entziehen Ursache hatten, den Weg zu den Gemächern der hohen Thürme, in welchen sie ungestört ihr geheimnißvolles Unwesen weiter treiben konnten.

Wollen wir nun auch annehmen, daß solche wunderliche Bevölkerung der Burg nur in Folge eines hochobrigkeitlichen Augenzudrückens im Stillen geduldet worden sei, – was immerhin die Genehmigung erleuchteter oder gutherziger Landesherren voraussetzt, so wird der klare Grundsatz der Glaubensfreiheit an das Thor der Ronneburg geschrieben durch einen Fürsten, der sehr hoch über seiner Zeit gestanden haben muß: durch den Grafen Casimir von Isenburg-Büdingen. Er zuerst öffnete die Hallen der Burg auch den um ihres Glaubens willen verfolgten christlichen Secten. Es thut uns leid, über die Persönlichkeit dieses Edlen vor der Hand nicht Weiteres mittheilen zu können; seine That verdient, daß die Gegenwart ihm mit dem Kranze wahrhafter Humanität, der so selten erworben wird, das Haupt schmücke.

Offenbar war der hochherzige Entschluß des Grafen veranlaßt worden durch die Aufhebung des Edicts von Nantes (1685), denn aus dem Frankreich Ludwig’s des Vierzehnten kamen die ersten christlichen Glaubensflüchtlinge auf die Burg. Diese reformirten „Refugiés“ richteten sofort einen Saal für ihren einfachen Gottesdienst her, und so wurden zuerst die Gebete nach den Formen des alten und des neuen Bundes unter einem Dache laut, denn auch die Juden feierten ungestört ihren Jehovah nach ihrer Weise.

Nach den französischen Reformirten zogen viele Familien der aus Salzburg vertriebenen Protestanten in die Ronneburg ein, und auch sie fanden Raum zum Wohnen und zum Beten, denn es waltete ein beständiger Zu- und Abfluß von Bewohnern der Ronneburg; Manche hatten nur den ersten Schutz hier gesucht und zogen später weiter zu festen Ansiedelungen, Viele fanden in den Thälern der Wetterau ihre zweite Heimath, wohl nur die Aermsten nisteten sich fest ein in den zimmerreichen Gebäuden, immer aber war im Jahre 1736 noch Raum genug für einen neuen Zuzug, welchen Graf Zinzendorf, der Gründer und Beschützer der Herrnhuter-Gemeinden, in die Ronneburg führte. Mit seiner heimischen Landesregierung und Geistlichkeit in Conflict gerathen und ausgewiesen, hatte er sich zu der alten Glaubensfreistatt in der Wetterau gewandt und hier Schutz gefunden.

Mit der Uebersiedlung in die einsam stille Wetterau verband Graf Nikolaus von Zinzendorf wohl nicht allein die Absicht, neue Anhänger zu gewinnen für die alte Lehre der Mährischen Brüder, sondern die Häupter der Separatisten und Inspirirten, Rock, Gruber, Groß, mit denen Zinzendorf seit lange in freundschaftlichsten Beziehungen gestanden, wünschten, daß er ihren Glauben in seinem Cultus sich ansähe und ihre Lehren prüfe. Hatte Zinzendorf die Absicht, seine Lehren in der Wetterau zu verbreiten, so konnte er dazu keine geeignetere Stätte finden, als die Ronneburg, wo finsterer Fanatismus und das mystische Gewebe der Inspiration schon anfingen dunkle Schatten über die Separatistengemeinden zu werfen, die bei ihrem Entstehen sich auf so einfach schönen Bau gegründet hatten.

Es war im Sommer 1736, als Graf Zinzendorf mit Weib und Kind, mit einem Theil der ihm gefolgten Herrnhuter-Gemeinde, auf die Ronneburg kam. Dort, wo die ersten, die israelitischen Heimathlosen und Bedrückten sich in den Häusern des ersten Burghofes und in dem einen der vier Flügel des „inneren“ Schloßhofes angesiedelt hatten und wo neben ihnen, in den andern Flügeln des Vierecks von hohen Gebäuden, sich die Inspirirten, die sich „Streiter Christi“ nannten, niedergelassen, die laut wider Taufe und Abendmahl eiferten, und wo wieder die strengen und fanatischen Separatisten sich gegen alle Gemeinschaft mit Welt und Menschen wehrten und dagegen abschlossen – diesen verschiedenen Glaubenssecten gegenüber nahmen die Mährischen Brüder Besitz von dem Hauptflügel der Burg, und schon am nächsten Tage ihres Einzugs hielt diese kleine Herrnhutergemeinde ihren einfach schlichten Gottesdienst in der alten weiten Ritterhalle des Erdgeschosses und der jubelnd klare Ton ihrer Lobgesänge lockte selbst die Insassen der Ronneburger Thürme in den kleinen Burghof, wo bereits in dicht gedrängten Massen aufmerksam lauschend alle diejenigen standen, die in so anderer Weise zu Gott beteten; wo jene Bewohner der Ronneburg sich aufhorchend zusammengeschaart, die jeden Gottesdienst für überflüssig erachteten und bis dahin Spott mit dem getrieben hatten, was Hunderten der da Versammelten ihr Heiligstes und Höchstes war, um dessenwillen sie Heimath und Vaterland verlassen, um dessenwillen sie freudigen Herzens gelitten und geduldet!

Und nun ist es an der Zeit, die von einer solchen Vergangenheit geweiheten Räume selbst zu betreten. Ich habe bereits angedeutet, daß von Weitem die Ronneburg noch heute einen grandiosen Eindruck macht, und selbst vom Fuße ihres Berges aus gesehen, nahe vor „Haus Ronneburg“, von jener kleinen Brücke aus, die unsere Illustration zeigt, erhält sich nicht nur dieser Eindruck,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_172.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2017)