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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

sich vorhin auch über ihn geäußert hatte, der Familie neuerdings so nahe getreten und ein so häufiger Abendgast geworden, daß die formelle Meldung durch einen Diener meistens unterblieb.

Man begrüßte sich – von Seiten der Hausgenossen und selbst des Barons mit einem gewissen erleichternden Aufathmen; Tante Kunigunde fand ein schmeichelhaftes, Treuenstein ein neckendes Wort, der Kammerherr entdeckte zu seiner vollsten Genugthuung, daß die Eltern des Ankömmlings ihm bekannt gewesen und daß seine Mutter für eine der ersten Schönheiten ihrer Zeit gegolten. Der junge Mann ging auf Alles heiter und schicklich ein, und die Hausgenossen fingen an, sich wenn auch nicht behaglich, doch beschwichtigt und von dem verdrießlichen Thema des Tages abgezogen zu fühlen. Man lachte sogar herzlich über ein paar vertraulich vorgetragene neue Hofanekdoten.

In einer kleinen Pause ließ Heimlingen sein Auge suchend das Gemach durchfliegen, und indem er den Blick dann über den Baron hin zu Tante Kunigunde zurückgleiten ließ, sagte er leichthin: „Ihre jungen Damen scheinen von ihrem geheimnißvollen Ausfluge noch nicht zurückgekehrt zu sein, mein gnädiges Fräulein?“

Tante Kunigunde erschrak so sehr, daß sie die Tasse des Kammerherrn, die sie eben von Neuem an der Theemaschine füllte, beinah hätte fallen lassen. Wie kam der Nachbar zu dieser Kenntniß, und nun auch so unglücklich damit heraus? Auf des Bruders Stirn zeigte sich wahrhaftig schon die nur zu wohlbekannte, jähe Röthe, und ein paar tiefe Falten erschienen noch bedenklicher – wenn die während des ganzen Tages angesammelte Gereiztheit nun doch und gerade vor Heimlingen zum Ausbruch kam! –

Sie warf einen flehenden Blick auf den Bruder, zu Brose hinüber, als könne und müsse der eine Diversion versuchen. Aber indem fügte das Unglückskind von Nachbar schon harmlos hinzu: „Das Adieu, das die Herrin von Dernot dem Rittmeister Seebach zurief, war also, wie es scheint, recht ernst gemeint! – Diese Reise ist aber sehr rasch gekommen. Vorgestern wenigstens erwähnte die schöne Herrin –“

„Mein werther Herr Nachbar,“ unterbrach ihn der Baron, und seine Stimme vibrirte so eigenthümlich, daß die Schwester noch stärker zusammenzuckte und der Kammerherr ganz bestürzt aufschaute, „vor Allem bitte ich Sie, diesen albernen Sobriquet aufzugeben; es wird hoffentlich niemand meiner Tochter den Namen Treuenstein streitig machen und sie selbst sich dessen nie zu schämen haben –“

„Aber, Excellenz,“ sagte Heimlingen erschrocken.

„Verzeihen Sie,“ unterbrach der Baron ihn jedoch ungeduldig. „Ich mußte das einmal sagen, das Wort ist mir fatal – freilich, hier im Hause weiß man das längst und ärgert mich dennoch damit. Allein genug davon! Sie sprachen von einem Ausfluge und einem Adieu meiner Tochter zu Herrn von Seebach. Wie habe ich das zu verstehen?“

Wir wissen nicht, ob Heimlingen sich mehr nur bestürzt oder wirklich auch verletzt fühlte durch diesen noch nie vernommenen und sicherlich durch nichts gerechtfertigten Ton des Hausherrn. Jedenfalls klang seine Stimme bewegt, da er entgegnete: „Excellenz, ich bedauere unendlich, ein Ihnen nicht angenehmes Thema berührt zu haben. Ich war heut’ Morgen in der Stadt und erfuhr von Seebach, daß er, ganz früh mit der Schwadron ausrückend, dem Wagen der beiden Damen begegnet sei und von einer derselben – er meinte, von Fräulein von Treuenstein – ein munteres Adieu vernommen habe. Ich wollte ihm das nicht glauben – es war ja bisher gar keine Rede von einem solchen Ausfluge.“

Die verhältnißmäßig lange Rede und der artige Ton des Nachbars, Kunigundens bittender Blick und die sichtbare Mißbilligung Brose’s hatten den Baron vielleicht im Verein mit dem Bewußtsein, daß er zu weit gegangen und obendrein die verlangte Geheimhaltung selber fast unmöglich gemacht, sich inzwischen wieder fassen lassen. „Mein werther Nachbar,“ sprach er daher auch um Vieles milder, „halten Sie mir meine Worte zu gut. Sie finden uns Alle verstimmt, und ich bin es am meisten, weil die beiden thörichten Kinder fast ein wenig gar zu stark auf meine Nachsicht gesündigt haben. Dieser Ausflug war besprochen und auch gewissermaßen erlaubt – zum Vetter Gentheim auf Moosen –, aber erst in einigen Wochen. Und nun fahren sie, ohne uns zu avertiren, schon heut’ und bei Nacht und Nebel davon.“

Heimlingen lächelte wieder. „Wenn man die Ehre hat, Fräulein von Treuenstein und besonders Fräulein von Herrenroth zu kennen, so dürfte –“

„Siehst Du, Bruder, auch Herr von Heimlingen nennt unsere Nichte die Anstifterin!“ rief Kunigunde lebhaft dazwischen.

„Bah, bah! Gleiche Brüder, gleiche Kappen!“ sagte der Baron hörbar von Neuem ungeduldig. „Ich werde ein Exempel statuiren. Die dummen Kinder müssen denn doch ihren Herrn – was giebt es, Ernst?“ unterbrach er sich, gegen den alten, eben eintretenden Kammerdiener gewendet.

„Excellenz, es ist eben ein Feldjäger angelangt mit einem eigenhändigen Schreiben Seiner königlichen Hoheit, das er Befehl hat, Euer Excellenz selber zu übergeben,“ meldete der Diener.

Der Hausherr zuckte die Achseln. „So entschuldigt mich, meine Herrschaften,“ sprach er, „da ist freilich nicht zu säumen, obgleich ich mir nicht denken kann, was Serenissimus mir augenblicklich befehlen könnte. – Ich hoffe in der That nichts Besonderes – es träfe sich in diesem Moment wirklich recht ungeschickt. Ich denke gleich wieder da zu sein!“ und der Gesellschaft zunickend, verschwand er durch die Thür seines anstoßenden Cabinets.

Die Zurückbleibenden, oder vielmehr der Kammerherr und Herr von Heimlingen, setzten die Unterhaltung fort, so gut es gehen wollte, wobei die gedachte Bekanntschaft des Ersteren mit den Eltern des jungen Mannes, so wie allerlei Zustände und Verhältnisse der beiden Höfe glücklicherweise einen ziemlich ausreichenden und unverfänglichen Stoff liefern konnten. Fräulein von Treuenstein zum mindesten dankte ihrem Gott dafür innerlich auf das Innigste, denn sie fühlte sich zu jeder ergiebigen Betheiligung an dem Gespräch beinah unfähig. Heimlingen’s Erscheinen gerade am heutigen Tage hatte schon ihre mühsam errungene Fassung gefährdet, und des Bruders Heftigkeit, des Gastes Erklärung, Leopold’s Ausrede, die sich so leicht als unwahr erweisen konnte, – alles dies hatte bunt durcheinander ihr Stoß auf Stoß gegeben und wirkte, je länger sie es durchgrübelte, desto schlimmer nach.

Dazu kam nun noch die Botschaft des Fürsten, die nicht gerade gewöhnlich genannt werden konnte, und das Ausbleiben des Hausherrn. So still, wie es zuweilen in dem kleinen Kreise wurde, hörte man trotz der festen Bauart des Hauses nicht nur den Hufschlag, da der Bote wieder fortritt, sondern auch den Schritt des Barons, der in seinem Gemach unaufhörlich unruhig auf und ab zu gehen schien. Dies machte nach und nach selbst auf die beiden Herren einen unbehaglichen Eindruck, und Heimlingen schied endlich, für die Hausgenossen kaum zum Trost. Denn Beide sagten sich und sprachen es auch gegen einander aus, daß der Nachbar nothwendig gemerkt haben müsse, wie nicht Alles recht sei. Dazu erinnerte sich die Tante, daß der „Liebling“ Neuigkeiten zu erfahren und auch zu verbreiten liebe – mit dem Geheimniß war es sicherlich also schon morgen zu Ende, denn über Heimlingen herrschte man nicht wie über die Leute im Hause. Das hatte gerade noch gefehlt! Die unseligen Kinder!

Der Hausherr erschien erst zum Abendessen wieder, er war finster und still; und da der Kammerherr einen kleinen Scherz versuchte und fragte, ob man vielleicht zu einer besonderen Gnade gratuliren dürfe, – versetzte der Baron mißmuthig: „Seid nicht thöricht, Brose, und macht mir nicht auch noch den Kopf kraus. Gnade oder nicht Gnade – Erfreuliches kommt mir von dort nicht. Gleichviel aber – sprechen darüber kann ich nicht,“ fuhr er nach einer Weile fort und sein großes braunes Auge heftete sich auf den Gast mit einem, man hätte fast sagen mögen, herzlichen Blick. „Aber etwas Anderes muß ich sagen: Ihr könnt mir einen Freundschaftsdienst leisten – wir sind ja uralte Freunde! – Ich kann morgen diese unsinnige Entdeckungsreise nicht mitmachen – ich muß zum Herzog und weiß nicht, ob ich vor einigen Tagen frei sein werde. Ihr müßt allein fort, Brose – die dummen Kinder müssen wieder her! Ich gebe Euch meinen alten Leibjäger Jonas mit – der ist Beider Vertrauter und kennt sie besser als wir und obendrein Weg und Steg im ganzen Lande.“

„Aber, mein bester Treuenstein!“ wandte der Kammerherr schüchtern ein.

„Machen Sie keine Winkelzüge, Brose,“ unterbrach ihn der Baron entschieden – schon das plötzliche „Sie“ zeigte das Ende der Vertraulichkeit. „Ich muß und Sie müssen. Und wenn Sie wirklich noch der alte Freund sind, sitzen Sie morgen früh sechs Uhr auf dem Wagen. Ritterdienst, Brose!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)