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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

wollt Ihr Euch und mich hier auf diesem angenehmen Punkt von dem Wolkenbruch ertränken lassen?“

„Wie unlogisch, Joseph!“ klang die lustige Antwort. „Das würde doch drunten im Thal noch viel früher stattfinden! – Aber Dein Schelten ist ganz überflüssig, denn geht’s uns eine Viertelstunde schlecht, so ist kein anderer Mensch schuld daran als Du.“

„Ich? Wie logisch, Cousine!“ rief er lachend aus.

„Freilich ist’s logisch,“ versetzte die Dame munter. „Hättest Du uns die hübschen Männerkleider anlegen lassen, gestrenger –“

„Damit die Thorheit zur Tollheit geworden wäre und die Leute uns erst recht für Vagabunden gehalten hätten! Sie haben uns, mein’ ich, ohnehin schon mit ganz curiosen Augen angesehen!“

„Wie unlogisch, Joseph! So veraltet ist das Fußwandern doch noch nicht, daß drei junge Burschen –“

„Bursche? Der Teufel hätte Euch für Bursche gehalten! Wäret Ihr wenigstens wie Tante Kunigunde, da hättet Ihr doch einen Bart.“

„Wie unartig, Cousin! Schäme Dich!“

Das Gespräch war lebhaft und rasch geführt worden, trotzdem hatten aber die paar Minuten hingereicht, die Wolken immer drohender heraufrücken und sich entwickeln zu lassen, und da eben einem neuen, grelleren Blitz ein wirklich hörbarer Donner folgte, ließ der junge Mann die letzte Bemerkung der Dame unbeantwortet und sagte eifrig und in besorgtem Tone: „Vorwärts, Kinder, vorwärts – rasch! Es wird mehr als ernst, scheint’s! Und kein Obdach in der Nähe!“

Die dritte Person, welche sich auf der Höhe befand, hatte auf das Gespräch der anderen Beiden anscheinend wenig geachtet. Auf dem Rasen gelagert und den Kopf auf den Arm gestützt, hatte sie schweigend und mit stillem Blick in die Ferne hinausgesehen, die sich auch jetzt noch in fast unheimlicher Klarheit vor ihr öffnete. Bei des Begleiters Mahnung erhob sie, ohne sich sonst zu bewegen, den Arm und ein feiner Finger deutete in die Gegend. „Was ist das?“ fragte sie dabei, – „ein Felsen oder ein Gebäude?“

Die beiden Anderen ließen überrascht ihre Augen der angegebenen Richtung folgen und erblickten bald, was die Fragende gemeint. Dort hinten, allerdings ziemlich entfernt, erhob sich aus dem Thal ein vereinzelter Hügel, der bis an den Gipfel mit Wald bedeckt war. Allein droben standen die Stämme lichter, und zwischen ihnen konnte ein gutes Auge allerdings etwas bemerken, das die Frage rechtfertigte.

Der junge Mann langte rasch ein kleines Fernrohr hervor und brachte es an’s Auge. „Ein Haus – ein Schloß!“ rief er dann, „ich sehe Fenster. Das könnte in der That Dernot sein! Aber, bis wir dahin gelangen –“

„Siehst Du nicht ein weißes Tuch wehen, Cousin?“ unterbrach ihn die erste Sprecherin. „Selinde wird ja, so Gott will, dort in Sicherheit sein und schmachtend nach uns ausblicken!“

In diesem Augenblick wandte der große, weiß und schwarz gezeichnete Neufoundländer, welcher sich bisher neben der munteren Sprecherin gehalten und seine Ohren ihren Fingern willig überlassen hatte, plötzlich mit hastigem Ruck den Kopf und richtete seine Augen mit ernstem Blick bergabwärts. Eine Bewegung in den nächsten Büschen rechtfertigte diese Aufmerksamkeit, und gleich darauf wichen sie auseinander und hervor trat, vom raschen Steigen in der drückend schwülen Luft erhitzt, ein Jägersmann, den kleinen Hut mit einer Spielhahnfeder und die Flinte in der Hand. Er stutzte und stand, die Gesellschaft musternd. Sein Hühnerhund sprang mit sich sträubendem Haar dem Eindringling in sein Regime entgegen, der sich indessen mit vollster Gravität erhob und der anstürmenden Hastigkeit die würdigste Ruhe entgegensetzte.

Der Jägersmann stand und sah die Gesellschaft eine Secunde lang überrascht an. „Was denn – guter Leute Kinder auf dem Vorbühl? Und gar Damen?“ rief er dann, „aber meine Herrschaften –“

„Na Gottlob, doch ein Mensch!“ unterbrach ihn der junge, Joseph genannte Mann. „Und nun, Jäger, ein Obdach, daß wir nicht fortgeschwemmt oder geweht werden!“

„Da wird’s freilich Zeit,“ sprach der Andere lebhaft, dessen blitzendes braunes Auge inzwischen die Gesellschaft von Neuem überflogen hatte und dann mit einem weniger neugierigen als ernst forschenden Ausdruck auf der Dame haften geblieben war, die das Gespräch mit dem Cousin geführt. „Sehen Sie hin – da kommt’s schon!“ fuhr er fort und deutete mit raschem Armschwunge gegen die Wälder im Thal, durch deren Kronen der Sturm brausend daherflog, während hier oben sich kaum ein Blatt rührte. „Und dort hinten schüttet’s schon! Vorwärts! Schürzen Sie Ihre Kleider auf, meine Damen, wir müssen laufen! Achten Sie auf das Fräulein neben Ihnen, mein Herr; ich werde das andere bitten, mir zu vertrauen. Rasch! Vorsicht, den Bühl hinab!“

Und damit eilte er mit festem, sicherem Tritt die ziemlich steile Senkung des Hügels auf dem schmalen Fußsteige hinab, nicht eine Secunde zu früh, da der Sturm eben auch hier angelangt war und die Gebüsche bis zum Boden beugte und selbst die alte Eiche stöhnen ließ. Drunten, hinter ein paar Büschen zeigte der Pfad sich breiter, da hielt er ein paar Augenblicke an und bot seiner ihm nahe folgenden Begleiterin mit ungezwungenem Anstand den Arm. „Fürchten Sie sich nicht,“ sagte er dann und sein Auge traf ermuthigend das ihre, „es wird noch Alles gut gehen; wenn uns nur der Bach keinen Spuk macht, sind wir in zehn Minuten unter Dach.“

Das andere Paar folgte so nahe, daß es die Worte vernahm und den Blick sah, und wie rasch sie auch weiter eilten, sagte die Dame, welche an Joseph’s Arm hing – es war diejenige, welche den Bau in der Ferne entdeckt hatte – doch leise zu ihrem Begleiter: „Ein eigenthümlicher Mensch, Joseph! Fällt Dir nichts auf an ihm?“

„Seine Ungezwungenheit, meinst Du, die Raschheit und doch die guten Manieren, Eugenie?“ fragte er. „Allerdings, es muß eben ein –“

„Nicht doch, nicht doch!“ unterbrach sie ihn lebhaft. „Sahest Du nicht, wie seltsam ähnlich er Esperance ist? Achte einmal darauf. Zug für Zug – Haar, Augen, Alles! Und ich wette, er fand das schon selbst. Er schaute sie gar zu überrascht an.“

„Was Du wieder einmal siehst!“ lachte er.

(Fortsetzung folgt.)




Der Schwärzer.
Reiseerinnerung von Herm. Schmid.


Das Hochgewitter hatte vertobt. Am geröllreichen Ufer der von den Regengüssen rasch angeschwellten wild sausenden Loisach ging die Wanderung wieder im schmalen Gebirgsthale dahin; es war noch am Tage und die Möglichkeit vorhanden, die schöne Ebene, die vor dem Wetterstein und der Zugspitze sich bis zum hohen Kramer hinüber dehnt, noch vor Abend zu erreichen und in dem gastlichen Partenkirchen von den Mühen des Weges zu rasten.

Mit frühestem Morgengrauen und beim herrlichsten Wetter hatten wir die letzten Häuser des freundlichen Marktes Murnau hinter uns gelassen und waren den Bergen entgegen gewandert, die da schon so nahe grüßen, daß man anfängt, das geheimnißvolle Wehen ihres gewaltigen Athems zu spüren. Aber es gab zu allen Seiten, auf Schritt und Tritt so viel des Neuen oder Beachtenswerthen, daß die Fußwanderung mehr das Gepräge eines ziellosen Lustwandelns erhielt: bald setzte irgend ein anziehendes Gewächs unsere Pflanzenkunde auf die Probe, bald forderte ein Stein oder Block am Wege durch Lage oder Form uns zu Vermuthungen heraus, wie der Fremdling sich wohl dahin verirrt haben mochte, und wenn sich nichts Einzelnes fand, was beschäftigte und unterhielt, so gab es der Lockung nur zu viel, bei der Wanderung durch ein Dörfchen oder beim Begegnen eines rüstigen Flößers sich in allgemeine Culturfragen zu vertiefen, oder der geschichtlichen Ereignisse zu gedenken, die hie und da über eine Stelle dahin gezogen, ohne mehr zurück zu lassen, als eine verblichene Erinnerung; oder endlich es galt, mit dem Auge des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_180.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)