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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Das Verständniß begann mir aufzudämmern: es war eine andere Art des Verkehrs, wovon der Alte redete, und eine andere Zeit, aber die Unterschiede verwischten sich in seinem greisen Kopfe und verbanden sich mit der Vorstellung, die wohl das Hauptbild seines Lebens und dessen Mittelpunkt gewesen sein mochte.

„Wenn Du also wirklich bei der Rotte gewesen,“ fragte mein Freund, „warum habt Ihr einen so absonderlichen Weg gewählt, statt der offenen Straße?“

Der Alte sah sich vorsichtig um, ob uns Niemand belausche. „Jetzt kann man schon herausgeh’n mit der Farb’,“ sagte er dann, „jetzt hat’s keine Gefahr mehr … es hat eben heimlich gescheh’n müssen, denn die Mauthner und die Cordonisten haben aufgepaßt auf allen Wegen. Wir haben oft um viele tausend Gulden herübergetragen in unsern Ruckbünkeln, Uhren und Seidenzeug, und ist niemals Einer erwischt worden. Waren unser aber auch ein dreißig Mann in der Rott’, lauter Kerls wie die Bäum’ und Jeder seine Kugelbüchs’ über die Brust …“

„Offen herausgesagt, Du bist also ein Schmuggler gewesen?“

„Ich weiß net, was das ist; aber geschwärzt hab’ ich, daß es nur so eine Freud’ gewesen ist!“

„Ein gefährliches Geschäft und von geringem Gewinn!“

„Ja, viel hat net herausgeschaut dabei, das ist wahr, aber ein lustiges Leben ist’s doch gewesen, fast lustiger als das Wildpretschießen. Freilich, den Schwindel darf Einer net haben und den Zitterer in die Knie’, dafür ist’s aber ein Vergnügen, wenn man die Mauthner gefoppt hat und hat sie auf einen andern Weg hineingenarrt, und während sie gepaßt haben die ganze Nacht, sind wir hoch über ihren Köpfen dahin marschirt; wir haben halt die Weg’ und Steg’ in den Bergen besser gekennt, als die Jäger und Cordonisten und alle die Mauthschnuffler mit einander!“

„Und hast Du das Gewerbe schon lang aufgegeben?“

„Es kann so in die zwanzig Jahr’ geh’n,“ sagte der Alte, „der Verdienst ist alleweil schlechter worden, es hat zuletzt die Nägel an den Schuhen nicht mehr ausgetragen, und nachher … wie ich das letzte Mal dabei gewesen bin, hab’ ich mir völlig einen Grausen davor gefaßt.“

„Warum das?“ fragten wir neugierig, denn in dem harten Gesichte des Alten ward etwas sichtbar wie Trauer und der Widerschein von Dingen, die schlimm genug sein mochten, auch eine solche Eisennatur grauen zu machen.

„Es ist nichts Besonderes gewesen justament,“ erwiderte er, „mein’ besten Cameraden hab’ ich halt ein’büßt dabei!“

„Erzähle doch!“

„Es ist um die Zeit gewesen,“ begann er, „wo der Tag schon kürzer wird – da ist der Stecken herum’gangen bei der ganzen Rott’, das ist das Zeichen gewesen, daß in den Häusern, wo wir unsern Unterschlupf gehabt haben, wieder so viel Waar’ bei einander ist, daß es der Müh’ werth thut, wieder einmal über die Jöcher zu geh’n. Es ist finster gewesen wie in einem Sack, wie wir uns auf den Weg gemacht haben, der Mond ist wohl im Kalender g’standen, aber der Himmel war zu’deckt und der Rottenführer hat nichts hören wollen von Warten. Der Mond kommt heut’ so bald nit durch, hat er gesagt; derweil’ sind wir lang übern Ferner und dort können wir’s brauchen, wenn er uns leucht’t! Aber wie’s halt geht, wenn Einem einmal ein Unglück aufg’setzt ist, – die Mauthner haben Wind gehabt von unserm Zug – wir haben müssen einen Umweg machen an das Gewand’ (Gewände) hin und auf einmal ist der Mond da gewesen, der Broddieb, und der ganze Himmel ist so spiegelheiter worden, daß man Stunden weit hat seh’n können … Hat auch nit lang gedauert, so haben uns die Mauthner erseh’n und haben uns ein Kügerl nachg’schickt nach dem andern … Wir sind gerad’ an der Wand hin – den allerbösesten Weg, wo der Steig oft nit breiter ist als eine Hand; auf der einen Seite geht’s kirchthurmhoch hinauf schier bis in den Himmel hinein, auf der andern geht’s zweimal kirchthurmtief hinunter, … die Stein’ sind mitunter rogel (locker) von die Güss’ und ist nirgends nix zum Anheben als manchmal eine Latschen mit ihren krummen Wurzeln, wann’s hebt (hält) und nicht nachgiebt mitsammt dem Stein … Die Meisten sind schon glücklich hinüber gewest um die Teufels-Schneid’ – ich war der Vorletzte und hinter mir der Anderl ’gangen, mein Camerad, weil wir halt die richtigsten Schützen gewesen sind und die schärfsten Kraxler – weit hinter uns, da sind die Jager nach’kommen … Auf einmal da schallt’s wieder, die Kugel schlagt an der Wand ein, prallt ab und trifft den Anderl mitten in d’Brust … Es hat ihn nieder’geschlagen wie der Blitz, aber er hat sich doch an ein’ Zacken erhalten, daß er net hinunterg’stürzt ist …“

Der Alte hielt an; er mußte Feuer schlagen, die Pfeife wieder anzuzünden; dann begann er wieder und dampfte stärker.

„‚Ich hab’ mein’ Theil, Brüderl,‘ hat er mir zug’rufen, ‚mach, daß Du den Andern nachkommst – und b’hüt’ Dich Gott! …‘ Man kann auf dem Weg net zurück wie man will – also hab’ ich mich erst vorsichtig und langsam wenden müssen … es ist mir so schwer gewesen um’s Herz, als wenn ich die Kugel selber drinn’ hätt’ … mitten drinn’. ‚Wird ja net so weit gefehlt sein, Anderl,‘ hab’ ich ihm voll Schrecken zug’rufen, ‚halt Dich nur wacker an, ich leg’ mein’ Bünkel ab und nimm’ Dich auf den Rucken und trag’ Dich hinunter …‘

‚Gib Dir kein’ Müh,‘ hat er wieder gesagt, ‚mach’ daß Dich die Mauthner net erwischen und Alles verrathen wird …‘ ‚Aber Du?‘ hab’ ich gefragt, ‚wie ist’s, wenn sie Dich kriegen? …‘ ‚Sorg’ Dich net, Brüderl,‘ hat er g’antwort’t, ‚mit mir ist’s aus – bet’ ein Vaterunser für mein’ arme Seel – das soll kein Mauth-Scherg sagen können, daß er den Anderl g’fangen hat …‘ Drauf hat er sich loslassen und im nächsten Augenblick drunten g’legen in der Klamm, wo nichts hinkommt als das wilde Wasser – und da liegt er noch und wird wohl liegen bleiben bis zum jüngsten Gericht …“

Der Alte bekreuzte sich, nahm das Gepäck wieder auf und schritt schweigend die Straße hin.

Es war Abend geworden; an den Schrofen des Wettersteins leuchtete es wie blutige Gluth. Wir freuten uns, daß die Zeit Menschen und Völker einander näher gerückt und solchem Gewerbe ein Ende gemacht. Jetzt wird auf jenen Straßen und Grenzen nichts mehr geschmuggelt, als hie und da von einem Bauern eine magere Kuh oder von einem Handlungsreisenden im Doppelboden seines Köfferchens eine Partie welscher Seide; früher war vielleicht jeder dritte Mann der Bevölkerung ein Schwärzer, jetzt hat es aufgehört, denn „es trägt das Schuhnageln nicht mehr ein.“ Wir dachten der Zukunft, in welcher manche Schranke gefallen sein wird, die jetzt noch zwischen Menschen aufgerichtet steht und mitunter an die Schäferhürden gemahnt, in welchen jeder Herr seine Schafe einpfercht, um sie besser unter Zucht und Scheere zu haben. Ein großer Zug in der Zeit drängt nach solchem Ziele: sein gedenkend folgten wir dem alten Schwärzer. –




Um ’s Kirchle ’rum.


Wie ’s Dörfle still do drunte liegt
     Im helle Morgensonnenstral,
So feierlich in Friede g’wiegt
     Als gieng a-n Engel über’s Thal!

5
Was moinst, wenn jetzt der Pfarrer wüßt,

     Daß wir um’s Kirchle gange sind,
Und heut, statt z’ bete, g’herzt und küßt,
     Er hielt uns g’wis für gottlos G’sind.

Wär doch für unser heimlich Glück

10
     Just Sonndig net die einzig Zeit;

Denn guck, ’s wurd jeder Augenblick
     Mir ohne di zur Ewigkeit.

Doch isch net Sonndig überal
     So weit’s im Frühling grünt und blüht,

15
Und klingt do drin der Waldchoral

     Ei’m net wie Morgepsalm in’s G’müt?

Wir sind uns gut, was ist derbei?
     Liegt mir und Dir kei Arg im Sinn,
Und guck, daß d’ Lieb a Dodsünd sei,

20
     Stoht au net in der Bibel drin.


I dank mei’m Schöpfer, wo’s au wär,
     Daß er’s so gnädig will mit mir,
Und aber giengs durchs wilde Heer,
     Herzliebster Schatz, i müßt zu Dir.

25
Wär doch schon „Ueber’s Johr“ im Land

     Und unser Lieb kei G’heimniß meh,
Wie wollt i, selig Hand in Hand,
     Mit dir so gern in’s Kirchle geh!

Adolf Grimminger.



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