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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

jähe Ueberraschung abgespiegelt, haftete noch eine ganze Weile auf der Stelle, wo sie drinnen verschwunden war, bevor er es, langsam den Kopf wendend, auf die beiden jungen Männer richtete, die jetzt neben ihm im Schutz des Hauses standen. Er maß den Fremden mit einem langen, finstern Blick, nickte ihm kurz zu, und indem er dann erst des Jägers Hand schüttelte, sagte er, ohne daß in den starren Zügen des alten Gesichts irgend eine Bewegung sichtbar geworden: „Seid willkommen. Hast’s einmal wieder auf die Minute getroffen, Franz. Sieh’ hin – da geht der Steg zum Teufel.“

Und das war richtig. Das Gewitter war, wie die Frau es gesagt, anscheinend wirklich schon über die Mühle hinaus, aber der Regen strömte noch und der Bach rauschte mit seinen schmutzigrothen Wellen über die Ufer, eben die Balken lüpfend und fortreißend, die vor wenig mehr als fünf Minuten der kleinen Gesellschaft zum Pfade gedient.

Der greise Müller – denn daß dies sein Stand, sah man, obgleich er keinen Rock trug, an der graublauen Weste, und seine ganze Erscheinung, sein ganzes Auftreten ließen darüber nicht im Zweifel, daß er der Herr des Hauses – der greise Müller, sagen wir, sah dem Werk der Zerstörung einen Moment ruhig zu, dann wandte er die Augen auf die beiden jungen Leute zurück, von denen Joseph sich durch Stampfen und Schütteln der größten Nässe zu entledigen suchte, und sprach, indem er ein paar Schritte zurückmachte und die nächste Thür öffnete, einfach: „Tretet ein.“ Und auf eine andere, gegenüberliegende Thür des geräumigen Zimmers deutend, fügte er hinzu: „Da drinnen findet Ihr Kleider von meinem Sohn, Herr, wenn Ihr sie braucht. Du, Franz, ziehst wohl nur den Rock aus.“

„Dabei lass’ ich’s auch,“ versetzte Joseph munter. „Wir sind noch gut davongekommen – gerade vor Thorschluß. Bei den Damen freilich mit ihren dünnen Kleidern wird’s anders stehen.“

„Wie Ihr wollt, Herr,“ sagte der Greis. „Macht es Euch bequem. Ihr habt Recht, es war gut abgepaßt. Der Guß da draußen spaßt nicht. Doch der Franz hat eben immer Glück, aber,“ fügte er hinzu, und sein Ton hatte etwas Freundliches, und da die Augen dennoch auch jetzt noch finster blickten, sah man es wohl, daß dieser Ausdruck kein willkürlicher war, „aber Ihr selbst scheint mir auch kein Unglückskind zu sein, da Ihr gleich auf den da stießet. Wo traft Ihr Euch?“

„Auf dem Vorbühl,“ sprach Franz lustig.

„Auf dem Vorbühl? Wie in des Himmels Namen kamet Ihr dorthin?“ rief der Alte, erstaunt den Kopf schüttelnd. „Ich bin nicht neugierig, junger Herr, der da kann’s Euch bezeugen, und meine Art ist’s nicht, Einen, der bei mir einspricht, nach Wie und Warum zu fragen. Wie Ihr aber zu dem Vorbühl gelangen konntet –“

Joseph – die Leser haben längst begriffen, wen sie in der kleinen, vom Wetter überraschten Gesellschaft vor sich hatten, und daß der von der Excellenz erwartete Neffe keineswegs eine Rheinreise machte, sondern sich, freiwillig oder gezwungen, den beiden Flüchtlingen angeschlossen hatte – zuckte auf diese Frage des Greises die Schultern und meinte fast ein wenig spöttisch: „Ist denn Euer Vorbühl da ein verhexter Platz oder ganz außerhalb der Welt?“

„Beides beinah, mein Herr,“ erwiderte jetzt der Jäger. „Geheuer wenigstens soll es dort bei der alten Eiche zu Zeiten nicht sein, und daß Fremde oder gar Damen auf die Kuppe gekommen, mag kaum jemals der Fall gewesen sein.“

„Weil das Fußreisen abgekommen ist,“ meinte Joseph, von Neuem die Achseln zuckend. „Für uns war es übrigens ganz natürlich, denn wir liefen uns drunten im Walde auf einem Wege müde, von dem man nicht um sich schauen konnte und der obendrein zu Ende ging. Da suchten wir uns eben einen Lugaus.“

Der Greis hatte aufmerksam zugehört, und gerade in dieser Ruhe zeigte sich der finstere Ausdruck des Auges, der tief gefurchten, hohen und kahlen Stirn, des ganzen runzelvollen Gesichts so deutlich und unverstellt, daß der junge Mann in seinem Inneren sich die Frage regen fühlte, ob er seinen alten Wirth bisher nicht gänzlich falsch beurtheilt und statt verhältnißmäßiger Höflichkeit und Dienstwilligkeit von ihm das gerade Gegentheil zu erwarten habe. Der erste, nichts weniger als ermuthigende Empfang an der Thür draußen kam ihm wieder in den Sinn und es tauchte auch der Blick wieder vor ihm auf, der seiner Cousine gefolgt und von ihm wohl bemerkt worden war. Er erinnerte sich an die Worte, welche Eugenie unterwegs zu ihm gesagt; er sah sich den Jäger rasch, aber fest jetzt darauf an: ja, es war unleugbar, es war eine gewisse – nein, überraschende Aehnlichkeit da! Hatte der Alte das junge Mädchen nur darum so scharf angesehen?

Indem meinte der Müller auf des Gastes Erklärung ruhig, beinahe phlegmatisch: „Also verirrt.“

„So scheint’s,“ erwiderte Joseph, die Brauen zusammenziehend, denn die Fragen gemahnten ihn nach und nach wie eine Art von wenig angenehmem Inquisitorium, oder die abgeleugnete Neugierde war dennoch in mehr als billigem Maße vorhanden. „So scheint’s,“ wiederholte er noch kälter, „obgleich man mir in Diesenhart, da wir einmal die Fußpartie vorzogen, diese Richtung als die nähere angab und mir alle Wege genau bezeichnete.“

„Wohin?“ fragte der Müller kaltblütig.

Joseph fühlte den Aerger sich zu Kopf steigen und zwar um so mehr, als er auch den Jäger, der, am Fenster lehnend, dem Gespräch schweigend zuhörte, mit einer mißbilligenden Miene den Kopf schütteln sah. Er nahm sich indessen zusammen, und anstatt heftig oder auch nur lebhaft erwiderte er mit einer gewissen vornehmen oder vielleicht auch ein wenig spöttischen Nonchalance: „Dahin, mein lieber Meister, wohin wir wollen und endlich auch wohl gelangen werden: nach Dernot.“

„Da seid Ihr.“ Die Augen des Greises ruhten auf dem jungen Manne mit dem gleichen Ausdruck, und die Falten und Runzeln waren wie erstarrt. Und ebenso fügte er hinzu: „Dort hinten liegt Schloß und Dorf, und hier ist die Mühle, und Augustin Besseling heißt der Müller.“

„Desto besser, Meister Besseling, so werden wir bald in Ruhe sein können,“ sagte Joseph im vorigen Tone. „Man wird drüben hoffentlich auf uns vorbereitet sein.“

„Ei, so, so!“ Und der Alte regte und seine Miene änderte sich nicht, nur der Ton seiner Stimme war ein anderer. „Da haben wir ja wohl am Ende –“

„Ich heiße Herrenroth und begleite mit meiner Schwester unsere Cousine, Fräulein von Treuenstein, welche diese Besitzung ihrer Familie kennen zu lernen wünschte,“ unterbrach ihn der junge Mann noch kälter, als wolle er durch seine Worte dem Gespräch, oder zum Mindesten diesem Theile desselben, ein Ende machen.

„Fräulein von Treuenstein?“ wiederholte der Greis völlig ruhig. „Nun ja, und da es meines Wissens keine andere dieses Alters giebt, so wäre das also die Herrin von Dernot –“

„Wer ruft mich?“ unterbrach ihn in diesem Augenblick die helle, heitere Stimme des jungen Mädchens, das wir nun wohl beim rechten Namen „Esperance“ nennen dürfen, und zugleich trat sie mit der Cousine und von der freundlichen Frau gefolgt in das Zimmer. Die Damen waren, wie wir wissen, vor dem stärksten Ausbruch des Wetters unter Dach gekommen und bis dahin einigermaßen durch ihre Sonnenschirme geschützt gewesen, so daß ihre Toilette schneller und leichter wieder herzustellen war, als man dem ersten Anschein nach hatte fürchten müssen. Nur mit Schuhen und Strümpfen und ein paar Tüchern hatte die Söhnerin des alten Müllers auszuhelfen gehabt, und nun standen die Beiden frisch und munter und durch das kleine Abenteuer ergötzt vor den Männern. Selbst in Eugeniens mehr ernsten blauen Augen regte sich, da sie, vor den Bruder hintretend, die Spitze des jetzt mit einem starken Schuh bekleideten Füßchens leise unter dem Kleidchen hervorschob, eine Schalkhaftigkeit, welche das von Tante Kunigunde gefällte Urtheil wenigstens nicht ganz unbegründet erscheinen ließ.

Aber Esperance stand vor dem Greise, der sich nun langsam und ein wenig steif erhob, und ihr nußbraunes Auge begegnete fröhlich dem seinen, und sie fragte lächelnd: „Meister, woher wissen Sie denn von mir?“

Selbst ihre reizende Erscheinung brachte kein Leben in das Gesicht des Müllers und er versetzte auch in dem bisherigen unbewegten Ton: „Der Herr Vetter nannte Euch, Fräulein – nöthig hätt’ er’s nicht gehabt. Denn da ich Euch sah, wußt’ ich auch von Euch. ’S ist das alte Gesicht.“

„Hat mein Cousin Ihnen auch meinen vornehmen Titel genannt?“ fragt sie neckend.

„Euren Titel?“ wiederholte er, sein Auge ging nicht von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_194.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)