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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

ihr. „Den wußt’ ich auch schon längst. Auf Dernot giebt’s eine ‚Herrin‘, wenn kein ‚Herr‘ da, das war so, seit’s den Namen giebt, Ihr seid nicht die Erste. Aber ob er Euch –“ und indem zum ersten Mal durch die starren Züge etwas hinzuckte, was sich freilich auch jetzt nicht näher bezeichnen ließ, setzte er nach einer secundenlangen Pause hinzu: „ob er Euch Glück bringt, das weiß ich nicht. Bis dahin ist auf Dernot davon wenig daheim gewesen, und bei der alten ‚Herrin‘ am allerwenigsten.“

Auf der Wange des jungen Mädchens zeigte sich bei diesen, auch durch den Ton nicht freundlich klingenden Worten eine schnelle, schimmernde Röthe, und das heitere Auge wurde ernst. Etwas zu erwidern fand sie jedoch, selbst wenn sie das beabsichtigt hatte, für jetzt keine Zeit, da Eugenie plötzlich näher trat und mit einer Art von stolzem Blick und in vornehm nachlässigem oder vielleicht auch zurückweisendem Tone sagte: „Daraus schließen wir also, daß wir hier auf der Herrschaft Dernot und bei einem der – Gutsangehörigen sind?“

Des Greises Auge begegnete fest und düster dem ihren, und er versetzte fast hart: „Da irrt die Dame. Die Mühle heißt freilich die Dernot’sche, weil sie hart an der Herrschaft liegt; aber sie ist für sich, und die Besseling sind von Alters her freie Leute gewesen. – Und derweil die Herrschaften ihren Kaffee trinken,“ sprach er jetzt mit einer gewissen Höflichkeit weiter, „will ich den Wagen für sie rufen lassen, werden wohl in ihre Terminei verlangen, und zu gehen ist nach dem Regen schlecht.“

Als sich die Gesellschaft, nachdem er das Gemach verlassen, fast bestürzt einander anschaute, trat der Jäger an den Tisch und sagte in begütigendem Tone: „Halten Sie dem Alten die Barschheit zu gut, meine Damen. Sie ist weniger böse gemeint, als es vielleicht Ihnen erscheint. Ich glaube, seine Vorfahren und auch er selbst noch haben um ihren Besitz und ihre Freiheit mehr als einen Kampf bestehen müssen. Das verbittert und verhärtet solch ein ohnehin hartes Herz noch mehr.“

Die Frau, die mit dem Kaffeebret in der Hand bei den Worten des Greises in’s Zimmer getreten und dunkelroth geworden war, setzte dasselbe jetzt nach des Jägers Rede nieder und meinte hörbar zornig: „Dadurch wird’s nicht anders, Vetter. Frei sind die Besseling freilich von jeher gewesen, aber grob waren sie auch. Die Herrschaften glauben nicht, was das für ein Kreuz mit den Leuten ist. Aber sie sollen es hören von mir, was sich gegen unsere Gäste schickt. – Lassen’s die jungen Herrschaften gut sein,“ fügte sie dann mit einem tiefem Athemzuge hinzu. „Bitte, langen Sie zu, und Gott gesegne es Ihnen. Ich biet’s von Herzen.“

Sie aßen und tranken, wie sie es nach dem Marsch durch den schwülen Tag und das folgende Unwetter wohl bedurften, allein die fröhliche Stimmung war vor diesen letzten, plötzlichen und herben Stößen völlig entflogen und kehrte nicht wieder, obgleich die Frau und der Jäger auf das Redlichste bestrebt schienen, die jungen Leute ein freundlicheres Bild von der in der Mühle und bei ihren Bewohnern herrschenden Gastlichkeit gewinnen und mit sich fortnehmen zu lassen. Der Greis kam ebenso wenig wie sein Sohn wieder zum Vorschein. Trotzdem athmeten die Drei wie erleichtert auf, als nach dem Aufhören des Regens wirklich ein offener Wagen mit zwei stattlichen, glatten Pferden vor die Mühle fuhr, und eilten, die Abfahrt nicht zu verzögern. – „Wenn man wirklich den Wagen benützen muß?“ fragte Esperance, gegen den sie gleichfalls hinaus begleitenden Jäger gewendet.

„Das müssen Sie allerdings, gnädiges Fräulein,“ entgegnete der junge Mann freundlich. „Lang ist der Weg zum Schloß nicht. Aber die Wiesen werden jetzt beinahe überschwemmt sein.“

„Wir haben Ihnen noch gar nicht für Ihre Freundlichkeit gedankt,“ sprach Joseph vom Wagen herunter zu dem treuen Helfer, „und wissen nicht einmal, wem wir zu danken haben, ob –“

„Ein Gutsangehöriger, bin auch ich nicht,“ fiel der Jäger lächelnd ein, „obgleich ich augenblicklich als Gehülfe des herrschaftlichen Försters hier weile. Ich heiße Burgsheim.“

„Wir werden uns hoffentlich noch einmal und in einer besseren Stunde wiedersehen, Herr Burgsheim,“ sagte Esperance freundlich, und über ihre Wange flog wieder das schimmernde leise Roth. „Sie müssen uns kennen lernen, wie wir sind – lustig und keinem Menschen feindlich!“

Die Pferde griffen tüchtig aus, und da sie, um den Fuß des Hügels, an den die Mühlengebäude sich lehnten, einen weiten Bogen beschreibend, in’s ebene Land kamen, sah man wohl, daß diese Wegstrecke für die Damen unpassirbar gewesen sein würde, denn das Wasser stand hell auf den Wiesen, wie der Jäger es prophezeit, und überfluthete den Weg. Zurückgelegt war derselbe aber bald, und nach kaum einer Viertelstunde fuhren sie bereits langsam den steilen Schloßhügel hinan, einem alten, massiven, neben einem höheren Thurme sich auswölbenden Thore zu. Und nun ging es durch dasselbe auf einen nicht großen, von hohen, alterthümlichen Gebäuden rings umschatteten Hof und vor ein schweres Portal, dessen Thüren geöffnet standen.

„Gott im Himmel,“ rief, da sie hielten, drinnen auf dem dunklen Flur eine erschrockene Stimme, „Mutter, das Frauenzimmer hatte doch Recht – das sind sie – und auf Augustin’s Wagen!“ Und darauf erschien im Portal ein bejahrter, kleiner, aber starker Mann, der eben nur kaum den Rock auf die Schultern gebracht zu haben schien, mit hastigen, tiefen Verbeugungen, und aus dem Hintergrunde eilte eine fliegende Gestalt hervor mit dem klagenden Ruf: „O meine englischen Fräulein, welch’ ein Ort des Schreckens!“

„Da sind wir, wie es scheint, auch nicht willkommen, Esperance,“ meinte Eugenie sarkastisch.

Zudem trat eine dritte Gestalt in die Thür, eine große alte Frau – „Junge giebt’s hier nicht, Dernot stirbt aus,“ sagte Eugenie am Abend einmal lachend –, in würdiger ruhiger Haltung. Ihr Haar war silberweiß, aber ihr Auge noch klar, wenn sein Blick jetzt auch ernst, und das Gesicht zeigte noch jetzt feine stille Züge. „Gott segne Ihren Eingang in Dernot, gnädige Herrschaft,“ sagte sie ehrerbietig. „Hätte die Jungfer da vernünftig gesprochen, statt zu lamentiren und zu zittern, so hätten wir schneller bereit sein können. Aber gleichviel – die Herrschaft kommt immer recht.“

Sie bot den Damen ihre Hand zum Absteigen und führte sie in’s Haus, eine schwere Treppe hinan, in ein weites und hohes, altfränkisch möblirtes und eingerichtetes Gemach. „Haben die Herrschaften nur eine Viertelstunde Geduld,“ sprach sie, sich zurückziehend. „Ich lasse die Zimmer drüben ein wenig lüften.“

„Welch’ ein seltsamer Empfang, welche curiose Menschen!“ sagte Eugenie nach einer Weile kopfschüttelnd.

„Verstehst Du das Alles, Cousin?“ fragte Esperance fast zugleich, – das fröhliche Auge blickte jetzt ernst und die reine Stirn zeigte sich nachdenklich. „Was war das drunten in der Mühle? Und hier oben – weshalb der Schreck des Mannes und diese Haltung der alten Frau, die mich nicht täuscht – willkommen sind wir nicht!“

Joseph ruhte in einem der alten Lehnstühle und zündete sich eine Cigarre an. „Ei nun,“ meinte er in seiner leichten Weise, „die leben eben lieber ohne einen Herrn als mit und unter ihm. Ich fange an zu begreifen, weshalb Onkel Excellenz die Herrschaft Dernot nicht besonders liebt. Und wie ich immer sagte, hohe Herrin,“ fügte er launig hinzu, „diese Eure Thronfahrt erweist sich von Stunde zu Stunde mehr als das schönste Muster eines dummen Streiches der exquisitesten Art!“




4. Auf Dernot.

„Willkommen sind wir hier nicht,“ hatte Esperance gesagt, allein damit schien sie, wie nicht blos sie selbst alsbald erkannte, sondern auch die anderen Beiden zugestehen mußten, auf dieser Stelle nicht das Rechte getroffen zu haben. Der Verwalter, jener kleine starke Mann, zeigte sich so dienstbeflissen und unterthänig wie möglich und wurde sogar für einen Augenblick ganz strahlend, als es sich herausstellte, daß sein Bruder, der Leibjäger Jonas Märzbach, bei den jungen Herrschaften in höchster Gunst stehe. Ja er ließ sich zu der Bemerkung fortreißen – Worte erlaubte er in seiner Ehrfurcht sich sonst nur selten: „Der Jonas hat’s eben immer verstanden; er war nicht blöde. Aber daß er den jungen Gnädigen gefällt, das verwundert mich doch. Denn seine Profession verstand er, aber sonst war er ein Bär. Die großen Reisen freilich und die fremden Städte und das vornehme Leben werden ihn geleckt haben.“

„Nun, was das angeht,“ meinte Joseph, der dies Gespräch mit dem alten Burschen führte, herzlich lachend, „davon ist wenig zu rühmen. Er ist noch immer der alte Bär, allein da er es doch ehrlich und treu meint, so gefällt das den Damen gerade

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