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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

eine große Zukunft, allein wir glaubten gegen unsere Pflicht zu fehlen, wenn wir nicht eindringlich auf die unendlichen Mühseligkeiten, Strapazen, Schwierigkeiten und Gefahren hinweisen wollten, welche den deutschen Ansiedler in den mittleren und östlichen Provinzen des großen Russenreiches erwarten – Schwierigkeiten, welche denen einer Ansiedlung im fernsten Westen Nordamerikas sicher die Wage, ja mehr als die Wage halten dürften.

Um einen Blick zu thun nur in einige dieser Schwierigkeiten, folge uns der Leser dahin, wo die östlichste Eisenbahn des Czarenreichs endet, besteige mit uns die Tarantasse mit dem klingenden Dreigespann, durchfliege jenseits des Urals mit uns die berüchtigte Barabasteppe und folge uns bis in die Steppe der nomadisirenden Kirgisen – er wird sich sagen, daß eine solche Steppentour nicht Jedermanns Sache ist und neben vielen anderen Erfordernissen, zunächst neben einem stahlharten Körper und ebenso festen Nerven, auch eine tüchtig gefüllte Börse erheischt. Vor Allem muß der Reisende völlig auf dem Pferderücken zu Hause und dabei wetterfest sein. Es darf ihm keine Beschwerde machen, einige Wochen lang während des ganzen Tages im Sattel zu sitzen, während der Nacht die nackte Erde als Bett, den Himmel zur Decke zu haben. Eine gute Büchse, eine sichere Hand und etwas viel Courage sind ebenfalls wünschenswerth. Ist dies Alles zur Genüge vorhanden, sind eine Anzahl Kosaken als Begleiter angeworben, so kann die Reise beginnen. Es ist russischerseits verboten, in kleineren Trupps als zu acht südlich die Grenzposten zu überschreiten. Eine Anzahl Pferde dient zum Wechseln, andere tragen das Gepäck. Man sage nun aller Cultur und ihren beengenden Fesseln Lebewohl und grüße in gereimten oder ungereimten Ergüssen in gehobener Stimmung die Freiheit der Steppe!

Ja, es liegt eine eigenthümliche Poesie im Steppenleben. Die weite weite Ebene dehnt sich aus, unendlich wie das Weltmeer! Der kleine Mensch verschwindet in Nichts gegenüber der allgewaltigen Natur! Die Pferde traben meilenweit über loses Kieselgeröll, dann Tagereisen weit über Sandflächen, mit Krystallen von Bittersalzen überstreut wie mit Schnee. Kiesel und Sand, zerrissene Granitkämme und Porphyrkuppen bilden den Rahmen um die Oasen der Steppe, um die flachen Senkungen, die zeitweise als grünende und blühende Auen erscheinen.

Der schmelzende Schnee oder wiederholte Gewitterregen erwecken sie zu einem üppigen, wenn auch kurzen Leben. Zahlreiche Gräser bilden die Matten; sie werden durchwebt von blühenden Kräutern und Halbsträuchern: Beifuß- und Wermuthgestrüppen, gelbblühendem, blattlosem Saxaul, gelben Rosen, Traganthstauden, harzreichen Dolden, Verwandten des Vergißmeinnicht, zierlichen Kreuzblumen, Silenen, purpurrothem Esparsett, Melden, niedrigen Robinien und anderem kleinen Gewächs. Dort, wo sich Grundwasser findet, wogen Schilfwälder. Wildschweine haben ihre Kessel darin, Wölfe und Tiger lauern auf sie. Auf der grünenden Steppe weiden die Rudel der Saiga-Antilope, dort sammeln sich Trappen, Wachteln, Fasanen und Steppenhühner. Dorthin treibt der Kirgise seine Heerden: Schafe, Rinder, Ziegen, Pferde und Kameele in ungeheuren Zahlen. Der Hirt liebt die weidereiche Steppe, wie der Araber die Wüste, wie der Schiffer das Meer.

Die nördlich wohnenden Horden treiben im Frühling hinab in die Steppen, beim Anbruch des Winters suchen sie Schutz in den Thälern des Altai. Umgekehrt verfahren die Stämme im Süden. Dort, zwischen dem Balkasch-See und Issik-kul, erstirbt im Sommer im Tieflande jegliche Spur von Graswuchs, der Sand wird nach Mittag so heiß, daß ein Flintenlauf, der dort gelegen, der anfassenden Hand buchstäblich Brandblasen erzeugt, – an den feuchten Stellen schwärmen Wolken von Stechmücken, die Menschen und Vieh zur Verzweiflung bringen können. Dort führt der Kirgise ein Leben ähnlich dem Aelpler der Schweiz, nur in größerem Stile. Tritt der Frühling mit milderem Wetter ein, so ziehen Kundschafter voraus in’s Gebirge, hinauf in die Schluchten des Alatau und Karatau bis zu den Ausläufern des Syanschan, des Himmelsgebirges. Sie überzeugen sich, ob der Schnee im Gebirge so weit zusammengeschmolzen, daß die Passage für das Vieh frei ist und die Weideplätze in den Hochthälern zugänglich sind.

Währenddem nahen aus allen Theilen der Steppe die verschiedenen Auls unter ihren Führern den wenigen Engpässen, welche als Pforten zum Hochgebirge dienen. Erklären die Botschafter die Alp für zugänglich, so einigt man sich über die Marschfolge und über die Zeit des Aufbruchs. Am frühen Morgen wird die ganze Steppe am Fuße des Gebirges lebendig. Ströme von Schneewasser brausen donnernd und schäumend durch die Schluchten hinaus in die Steppe, – lebendige Ströme von großem und kleinem Vieh drängen sich mit noch größerem Lärm von der Steppe her nach dem Gebirge hinauf. Reiter sprengen ordnend hin und her, hier antreibend und dort zurückhaltend. Hunderte von langhalsigen zweibuckeligen Kameelen, Tausende von Rindern und zügellosen Rossen, Zehntausende von Schafen nahen sich blökend, brüllend und wiehernd in allen Tonarten. Sie drängen sich in den schmalen Paß ein, der zwischen senkrechten Felswänden allmählich aufwärts führt, stellenweise sich engt, ja durch herabgestürzte Blöcke hier und da versperrt wird, dann wieder sich weitet. Die Hirten reiten mit ihren Familien und ihrem ganzen Hausrath mitten in diesem wilden Durcheinander und suchen nach Kräften etwas Ordnung herzustellen.

Ein wettergebräunter Kirgise mit der Lanze zur Seite und der Streitaxt am Sattelknopf geißelt eine Heerde Rosse vor sich her, die sich untereinander mit Beißen und Schlagen den Vorrang streitig machen. Ein zweiter hetzt mit einem Rudel starker Hunde eine Heerde kräftiger Ochsen zusammen, die dann gleich einer unerschütterlichen Phalanx mit vorgestreckten Hörnern in den Paß einrückt. Ein Hauptbulle erhielt den großen eisernen Fleischkessel auf den Kopf gebunden; das Thier stolpert, der Kessel fällt ihm dröhnend nach vorn auf die Nase. Der Bulle wird wild, schleudert nach einigen Kreuz- und Quersprüngen die polternde, dröhnende Bürde ab und jagt schnaubend in gestrecktem Galopp davon. Er weist grimmig den Männern die Hörner, wenn sie es versuchen, ihn zu seiner Pflicht zurückzuführen. Es bleibt nichts übrig, als einen geduldigeren Collegen aufzusuchen, der das wichtige Möbel weiter schleppt.

Eine junge, kräftige Dirne sitzt auf einem munteren Roß und regiert es trotz dem besten Manne, eine zweite wählte sich ein Rind zum Reitthier. Halberwachsene Kinder benutzen gleiche Reisegelegenheiten, kleinere werden in Filzsäcke gesteckt und an den Seiten eines ehrwürdigen Trampelthiers aufgehangen wie Pistolen in Halftern. Ein anderes Kameel schreitet mit Filzballen beladen einher, an beiden Seiten sind ihm Bündel der langen Zeltstangen angebunden. Bei jedem Schritte schwanken dieselben hin und her, so daß das Thier von Weitem aussieht, wie ein Riesenengel mit hängenden Flügeln. Ein drittes Trampelthier trägt die Zeltspitze auf dem Buckel und erscheint dadurch wie eine wandelnde Jurte. Andere Kameele und Rinder sind mit den übrigen Geräthschaften der kirgisischen Haushaltung bepackt. Die einen tragen Koffer oder Ballen, Säcke, Teppiche, Brennholz und Kochgeschirr. So ungefähr sieht die Scene aus, die unser Bild darzustellen versucht.

Zwei bis drei Tage lang wälzt sich der lebendige Strom ununterbrochen in den Thälern hinauf. Droben vertheilen sich die Heerden altem Herkommen gemäß in die Seitenthäler, wandern dort in ähnlicher Weise, wie es die Senner unserer Alpen thun, je nach der Jahreszeit höher oder tiefer und ziehen sich am Ende des Sommers wieder nach der Steppe hinab, um in geschützten Senkungen oder an den Seeufern zu überwintern.

Kehren wir am Abend in dem Aul, dem Kirgisenzeltdorfe, ein, dessen aufsteigender Rauch uns seit mehreren Stunden als Wegweiser diente. Der Herr des Auls, der Sultan, wie er sich nennen läßt, heißt uns willkommen. Wir werden ganz in die Vorzeit der Patriarchen, in die Zeit eines Abraham und Jakob versetzt. Der Hirtenfürst prangt in kostbaren Kleiderstoffen. Ein langes, schlafrockähnliches Gewand aus schwarzem oder buntem Sammet bildet sein Oberkleid, ein scharlachrother kostbarer Shawl umgürtet seine Lenden, eine Zobelmütze bedeckt sein Haupt. Auch die erwachsenen Söhne und die Frauen sind in gleiche farbenreiche und theure Stoffe gekleidet, die meistens von China aus eingeführt werden. Das Zelt des Sultans ist schon äußerlich bezeichnet durch die lange Lanze mit schwarzem Roßschweif, die am Eingange aufgepflanzt ist. Der Boden im Innern des Zeltes ist mit kostbaren Teppichen aus Buchara bedeckt. Filzballen liegen ringsum und dienen als Ruhekissen und Schlafstellen. Auf einer Querstange sitzt ein gewaltiger Adler, nicht weit davon ein Habicht, beide zur Beize abgerichtet.

Zum Willkommen bietet man dem Fremden einen großen Holznapf voll Kumis, gegohrener Pferdemilch. Ein mannshoher Ledersack im Zelt enthält jenes Labsal und wird während der geeigneten Jahreszeit nicht leer. Dem Gaste zu Ehren wird ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_198.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2017)