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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

seitdem nicht aus dem Kopfe: es sei niemals Jemand auf Dernot glücklich gewesen, und seine alte Herrin am wenigsten, sage er.“

„Ja, ja,“ versetzte die Matrone – das Rad stand und ihre Augen hafteten jetzt auf dem schönen Mädchen; „der Augustin ist eben immer hart gewesen und geblieben. Er vergißt nichts.“

„Versteht Ihr seine Worte, Mutter?“ fragte Esperance noch immer gedämpft. „Hat er Recht?“

Das Rad summte wieder. „Recht hat er freilich,“ versetzte sie eintönig, „aber unrecht war es doch.“

„Und wißt Ihr davon, Mutter? Auch von der alten Herrin, wie er sie hieß?“

„Fräulein, ich bin ein Dernoter Kind und sogar hier im Schloß geboren. Meine Eltern und Voreltern sind immer hier gewesen, schon da die rechten Dernot noch hier hausten, ja früher, glaub’ ich. Da hört es immer Einer vom Andern, wie es vordem gewesen sein soll.“

„Erzählt Ihr mir nicht davon, Mutter? ich bin ja eine Dernot und sollte doch auch davon wissen.“

„Fräulein,“ entgegnete die alte Frau in einem beinah schwermüthigen Ton, und der Blick, den sie auf Esperance ruhen ließ, war voll Wehmuth, „es ist nicht viel, was da zu erzählen ist, und dennoch für Sie fast zu viel. Was soll all das traurige Zeug für Ihre frische Jugend und Ihr fröhliches Herz? Das geht besser zu Ende, wie der alte Bau ausgeht, in dem es passirte. Lassen Sie’s ruhen.“

„Bitte, Mutter, bitte!“ sagte Esperance innig. „Erzählt mir etwas, wenn auch nicht Alles. So etwas darf nicht vergessen werden von den Nachkommen, und der Bau hier soll auch nicht ausgehen, so lange ich seine Herrin bin.“

Es fiel von der alten Frau wieder ein tiefer Blick zu dem Mädchen hinüber, und dann fing sie an: „Wenn Sie es also wollen, Fräulein – wem das Land hier vordem gehört, ob hier schon ein Schloß gestanden und wie es geheißen, davon weiß ich nichts. Dann aber – es sind nun wohl dreihundert Jahre, vielleicht auch mehr – zog eine vornehme Familie hieher, weit aus fremdem Land, die hieß von der Not und hatte, wie ihr Name es besagte, draußen viel Noth gelitten um des Glaubens und der reinen Lehre willen. Die kauften das Land zusammen und bauten das Schloß oder hießen es doch nach sich. Aber Glück fanden sie hier auch nicht, nicht Frieden und nicht Gedeihen. Die Eheleute hatten sich nicht lieb und die Brüder haßten einander; die Kinder starben bei der Geburt, oder sie wurden groß mit Kummer und Sorgen, und ihre Eltern hatten keine Freude an ihnen, sie gingen auch wohl trotzig fort in’s weite Land und starben und verdarben. Und die Familie blieb immer klein, wie vornehm sie auch war, und ihr Vermögen wuchs auch nicht. So sagt man davon.

„Sie hießen aber noch immer ‚von der Not‘, bis einmal – es war eine Taufe im Schloß, und der Täufling starb dem Prediger unter den Händen, und die Mutter folgte ihm alsbald nach, – da sagte einer von den Zeugen zu dem armen Vater, was er auch den traurigen Namen trüge; der künde ja schon all das Unglück und binde es an das Haus und die Familie. Das nahm sich der Mann zu Herzen, und machte es so aus, daß man den alten Namen abthun und vergessen sollte, und von der Zeit an lautete es ‚Dernot‘ – es war eins, und doch anders.

„Aber mit ihnen wurde es darum nicht anders, es ging Alles den gleich schweren Weg, Jahr aus Jahr ein, und als dann auch der Feind kam und plünderte und brannte – mein Mann hat Ihnen wohl davon gesagt –, da ging es auch mit ihrer Habe zu Ende: Grund und Boden trug damals nicht viel und hatte sehr geringen Preis. Da verkauften sie dies, da verkauften sie jenes, da kriegten die Besseling die Mühle frei, und der Baron von Treuenstein – sie heißen ihn noch immer den Oberjägermeister – der bekam Deuffingen und dann den ganzen Dernoter Wald und immer mehr, und zuletzt blieb dem alten Anselm Dernot, der hier oben saß, nichts übrig als das Schloß und ein paar Aecker und Matten thalaufwärts.

„Der Anselm aber ist auch der letzte Mann seines Stammes gewesen; einen Sohn soll er gehabt haben, der ist aber dem Vater feind geworden, in den Krieg gezogen und man hat nicht wieder von ihm gehört. So blieb ihm nur noch eine Tochter, die hieß Euphemia. Und da es vordem ausgemacht worden war, daß bei den Dernot nicht blos die Söhne erbten, sondern, wenn keine da, auch die Töchter die Erbschaft behielten mit vollem Recht und im festen Besitz, so mußte Alles, was noch übrig, nach Herrn Anselm’s Tode auf die Euphemia übergehen, und wie’s bis dahin ‚Herren‘ von Dernot gegeben, hieß sie dann die ‚Herrin‘. Vordem soll schon einmal eine solche Erbtochter hier gesessen sein, aber von der wissen wir nichts Rechtes, und die meinen wir auch nicht, wenn wir von der ‚Herrin‘ sprechen, sondern die Euphemia.“

„Die Euphemia,“ fuhr die Erzählerin fort, das Spinnrad summte stets gleich eintönig weiter, ebenso rieselte draußen der Regen und im Zimmer wurde es immer dämmeriger – „die Euphemia ist ein Engel auf Erden gewesen, so schön und so gut. Freude auf Erden hat die nicht gehabt; ihre Mutter war früh gestorben, ihr Bruder verschollen, der Vater krank und schwach, und sie waren so arm, daß sie oft zu sorgen hatten, wie sie nur den Hunger stillen sollten. Und nun wurde Herr Anselm immer kränker und legte sich zum Sterben, gramvollen Herzens; wohin er auch sah, für sein Kind fand er nichts als Noth und Elend, jetzt und immerdar, und er wußte keine Stütze für sie und keinen Freund. Der, auf den er noch immer gehofft, sein ältester Freund und treuester Nachbar, der Herr von Oos auf Herzheim, war vor einem halben Jahr gestorben, und sein Sohn Julian stand seit Jahr und Tag beim Heer des Kaisers unter dem Prinzen Eugen gegen die Franzosen, hatte seit lange nichts von sich hören lassen und war auch auf die Nachricht vom Tode seines Vaters nicht heimgekommen. Und das hat sich nicht am wenigsten Euphemia zu Herzen genommen, denn sie und der Julian haben sich lieb gehabt seit ihren Kindertagen.

Da, in den allertraurigsten Stunden, ist der Herr von Treuenstein, der Oberjägermeister, hier eingeritten, und da er ein alter Herr war, ein stolzer Cavalier und hochangesehen, und gegen Herrn Anselm von jeher wie ein Mann von Ehre gehandelt hatte, so nahm’s der Sterbende für einen Wink des Herrgotts an, ward froh, bat den Baron, daß er seines Kindes Ehre und Habe in seinen Schutz nehme als getreuer Vormund, und starb noch in der gleichen Nacht beruhigten Herzens. Der Baron ließ ihn begraben, wie es sich für solch’ einen Herrn schickte, und führte die verwaiste Herrin von Dernot mit sich fort auf seine Besitzungen. Auch bestellte er treue Verwalter, daß sie das Schloß in Obhut nahmen und dem heruntergekommenen Besitz durch rechte Bewirthschaftung wieder aufhalfen.

Der Baron war ein alter Mann, er hatte schon seine zweite Frau begraben und verheirathete Töchter, aber sein Blut war noch nicht ruhig geworden. Und da er nun die Euphemia immer um sich sah und ihre Schönheit anschaute, ihre Lieblichkeit und Güte, da entbrannte sein Herz zu ihr und er warb um sie in Güte und dann mit Härte und Gewalt, und wie sie auch widerstrebte, wie sie bat und flehte, sich zu ihrer alten, treuen Liebe bekannte, – es half ihr alles nichts. Der Herr Julian war nicht da und der Baron wollte auch nichts von ihm wissen, und die Herrin von Dernot mußte die Gemahlin des Oberjägermeisters werden. Glück und gute Tage aber hat sie auch dann nicht gehabt. Herr von Treuenstein war kein milder und freundlicher Mann, und daß die Dame ihm so lange getrotzt und widerstrebt und ihm den ‚verschollenen Bettler‘, wie er Herrn Julian geheißen, immer vorgezogen, hat er ihr nie vergeben und vergessen. Sie ist aber bald gestorben.“

„Als ich ein Kind war, und der Herr Baron August hier noch wohnte,“ sprach die Matrone nach einer kurzen Pause noch einmal weiter, „war in des Herrn Cabinet, wo Sie jetzt schlafen, Fräulein, ein Bild von ihr, darauf war sie als ganz junge Frau, man hat’s nicht ansehen können, ohne daß einem Thränen in’s Auge kamen: so schön war sie, so jung und so sterbenstraurig. Der Herr hat es auch fast immer mit einem Schleier bedeckt gehabt. Als er starb, ist es mit anderen Nachlaßstücken von seinem Herrn Bruder, Ihrem Großvater, fortgenommen worden – es hätte wohl nicht sein sollen, denn hierher gehörte es, auf ihr altes Schloß und Eigenthum, und an keinen anderen Platz. Ich weiß nicht, ob man es aufbewahrt hat. –“

„Das ist es, Fräulein, was ich Ihnen von diesen alten, traurigen Geschichten zu erzählen weiß,“ schloß Frau Katharina mit einem tiefen Athemzuge ihren Bericht.

„Mutter,“ sagte Esperance nach einer langen Pause in gepreßtem

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