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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Unter der Maske.
Eine Theatererinnerung.


Die Vorstellung des Shakespeare’schen Othello war beendet; das erschütterte Publicum rief den berühmten Gast, der hier die Hauptrolle zum ersten Male spielte, immer von Neuem mit fanatischer Begeisterung. Da ich mich zu den ältesten Freunden des genialen Künstlers zählen durfte, so eilte ich nach dem Fallen des Vorhangs in seine Garderobe, um ihn zu begrüßen und zugleich ihm meine Bewunderung auszudrücken. Gegen seine mir bekannte Gewohnheit fand ich ihn überaus schweigsam und sichtlich angegriffen. In finsterem Brüten stand er da, aus dem er nach einigen Augenblicken auffuhr, indem er langsam mit seiner Hand

Othello und Desdemona.
Nach einer Sepiazeichnung von Hoffmann in Dresden.

über die hohe bleiche Stirn strich, als wollte er gewisse trübe Erinnerungen verscheuchen. Obgleich meine Theilnahme durch sein seltsames Benehmen auf das Höchste gespannt wurde, wollte ich mich nicht in sein Vertrauen drängen. Auch war er sichtlich mit seinen Gedanken zu sehr beschäftigt, um mich zu beachten. Erst nach einer Pause gewann er wieder die Herrschaft über den stürmisch aufgeregten Geist, so daß er mich bemerkte und mit hinreißender Freundlichkeit seine Zerstreutheit entschuldigte.

„Verzeihen Sie!“ sagte er lächelnd, „mein Benehmen muß Ihnen befremdlich erscheinen, aber wir Künstler sind einmal ein eignes Völkchen. Selbst unsere besten Freunde wissen wenig oder gar nichts von unserem inneren Leben. Niemand ahnt unsere Leiden, unsere tiefen Schmerzen, die wir vor der Welt verbergen. Wir müssen oft lächeln, wenn das Herz uns brechen will, und wie die römischen Gladiatoren empfangen wir den Todesstreich unter dem Jauchzen der Menge. Das Publicum glaubt, daß wir nur mit den Leidenschaften spielen, nur das fremde Unglück darstellen, nur eine auswendig gelernte Rolle mit mehr oder weniger Empfindung wiedergeben, daß wir Liebe und Eifersucht, Haß und Verzweiflung nur heucheln, nur die Zuschauer täuschen wollen. Wer aber, wie ich, einen Blick hinter die Coulissen des Theaters gethan, der weiß, daß nur zu oft sich unter dem gaukelnden Schein der tiefste Ernst, die furchtbarste Wahrheit birgt, daß der lachende Komiker an sein krankes Kind oder an seine sterbende Frau denkt, der angestaunte Held vor dem Schuldgefängnisse zittert, die ausgelassene Soubrette ein armes verrathenes Weib ist, das sich vielleicht nach der Vorstellung vergiften oder mit Kohlendampf ersticken wird. Nicht seitens stellen wir auf der Bühne das eigene Leben dar, wiederholen wir fast Wort für Wort unsere eigenen Gedanken, fühlen wir dieselben Qualen, dieselbe Pein, welche wir in einer uns angedichteten Gestalt darstellen. Und ich selbst will Ihnen die Wahrheit des soeben Gesagten aus meinem eigenen Leben bestätigen. Bin ich doch ebenso selbst Zeuge gewesen, wie ein Schauspieler in der Rolle eines zärtlichen Vaters, der den Tod seines geliebten Kindes erzählt, davon so erschüttert wurde, da er selbst kurz vorher seine blühende Tochter verloren hatte, daß er vom Schlage getroffen sterbend auf den Boden hinsank, während das Publicum, ohne davon eine Ahnung zu haben, der Leiche wegen des ausgezeichneten Spiels Beifall klatschte.“

„Entsetzlich!“ rief ich erschüttert. „Ich fange jetzt an, Ihre eigene Aufregung bei der Darstellung des Othello zu begreifen. Sie müssen, wie ich ahne, alle Qualen der Eifersucht an sich empfunden haben, um sie so meisterhaft darzustellen.“

Er nickte nur einige Male wie zustimmend, sagte aber kein Wort. Währenddem hatten wir das Theater verlassen und waren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_213.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)