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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

fast unmerklich in die Wohnung des Künstlers gekommen, wo uns ein gedeckter Tisch erwartete. Er selbst genoß so gut wie nichts und auch ich war zu gespannt, um mich mit dem elegant servirten Souper aufzuhalten. Nachdem der Diener abgeräumt und sich entfernt hatte, nahm mein Freund die unterbrochene Unterhaltung wieder auf.

„Ich weiß nicht, ob Sie die Geschichte meiner Jugend kennen. Wenn ich nicht irre, so habe ich Ihnen einmal mitgetheilt, daß ich von jüdischen Eltern abstamme und unter den ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen bin. Wie der Mohr, gehörte auch ich einer fremden, verachteten Nation an, traf auch mich der Fluch des Vorurtheils, unter dem ich schwer gelitten habe. Doch ich überwand mit der Zeit alle Hindernisse und wenn ich auch nicht, wie Othello, General geworden bin, so wurde ich doch wenigstens ein passabler Schauspieler.“

„Sagen Sie, ein Künstler im schönsten Sinne des Wortes.“

„Wenn ich ein solcher bin, so hat mich Othello dazu gemacht, oder vielmehr die Liebe und die Eifersucht, die miteinander wie Licht und Schatten verbunden sind. Es ist das eine seltsame Geschichte, die Sie von mir heute erfahren sollen, obgleich die Erinnerung daran mir noch immer schmerzlich ist.“

Bevor er seine Erzählung begann, schenkte er das vor ihm stehende Glas mit duftendem Rheinwein voll und leerte es auf einen Zug, als wenn er sich zu einem schweren Werke stärken wollte.

„Nach langen Irrfahrten,“ begann er nach einer Pause, „hatte ich endlich ein festes Engagement in B. gefunden, wo der Zufall damals einen seltenen Verein von ausgezeichneten Kräften zusammenführte. Es war eine Freude und ein Glück, einer solchen Bühne anzugehören, in den Vorstellungen mitzuwirken, wie es kein glänzend dotirtes Hoftheater besser aufweisen konnte. Sämmtliche Schauspieler waren von gleichem Eifer beseelt und das Publicum belohnte dieses Streben durch seinen zahlreichen Besuch und seinen stets wachsenden Beifall. Für mich wurde diese Bühne im eigentlichen Sinne eine Bildungsschule und ich machte in kurzer Zeit so bedeutende Fortschritte, daß mir größere Rollen anvertraut wurden, obgleich ich nur ein junger Anfänger war und mir die echte Künstlerweihe noch fehlte, die mir erst das Unglück geben sollte.

Unser Director, selbst ein trefflicher Charakterdarsteller, interessirte sich für mich und gab mir stets die Gelegenheit, mein Repertoir zu bereichern, mein Talent zu entwickeln. Auch die übrigen Mitglieder erwiesen sich mir überaus freundlich und collegialisch. Besonders fühlte ich mich zu unserem Regisseur hingezogen, der zwar weniger als Schauspieler glänzte, aber dafür sich um so mehr durch seine hohe Bildung und seine Herzensgüte auszeichnete. Er nannte mich nur seinen Sohn, und seine Tochter, welche dem Vater auch darin ähnlich sah, daß sie mehr durch Geist und Liebenswürdigkeit, als durch Schönheit und Talent mich anzog, liebte mich mit der reinen Neigung einer zärtlichen Schwester. Mit jedem Tage wurde mir die Familie theurer und ich dachte manchmal wohl ernstlich daran, die gute Bertha als meine Gattin heimzuführen, obgleich ich sie damals weniger liebte, als sie es um mich verdiente.

So lebte ich still und zufrieden im Kreise ehrenwerther Freunde, nur mit meiner Kunst beschäftigt, und empfand zum ersten Male nach langer Zeit das Glück, in geordneten Verhältnissen, unter gebildeten Collegen und mit guten, liebenswürdigen Menschen zu verkehren, nachdem ich die Misère des herumziehenden Schauspielers, das Elend der Schmieren und vagabundirenden Gesellschaften bis zum Ekel kennen gelernt hatte. Ich war so glücklich, wie ich es mir nie geträumt, und hätte mit keinem Krösus tauschen wollen. Noch heute denke ich mit Wehmuth an die schöne, schöne Zeit zurück.“

„Und doch,“ unterbrach ich ihn, „war es vielleicht ein Glück, daß Sie diesem Stillleben entrissen wurden. Ich selbst habe manchen tüchtigen Künstler kennen gelernt, der in solchen günstigen Verhältnissen eingerostet ist und sich von der behaglichen Muße einschläfern ließ. Nur im Kampf mit dem Schicksal lernen wir unsere Kräfte, die Tragweite unseres Talentes kennen.“

„Ich muß Ihnen Recht geben,“ fuhr der Künstler fort. „Ohne das folgende Unglück wäre ich nie mehr geworden als ein sogenannter braver Schauspieler, ein guter Lückenbüßer. Doch hören Sie, wie das Alles kam. Unser Director, stets auf die Verbesserung seiner Bühne bedacht, hatte eine neue Liebhaberin engagirt, der ein außerordentlicher Ruf voranging. Ich sah sie zum ersten Male auf der Probe und gestehe Ihnen, daß der Eindruck entscheidend für mein ganzes Leben war. Mit der größten Schönheit verband Auguste D., deren Namen Ihnen gewiß bekannt sein wird, eine hinreißende Anmuth und eine seltene Begabung. Sie zählte zu den Künstlerinnen von Gottes Gnaden, denen die Natur Alles verliehen hat, um zu entzücken, zu bezaubern. Der erste Abend ihres Auftretens war ein Ereigniß für das Theater, das Publicum schwärmte und ich liebte die geniale Künstlerin, in der ich mein Ideal verwirklicht fand. Da ich viel beschäftigt war und öfters mit ihr in denselben Stücken spielte, so fehlte es mir nicht an Gelegenheit, mich der Gefeierten zu nähern. Meine Huldigungen wurden von ihr freundlich aufgenommen, ich durfte mich der Hoffnung hingeben, ihr zu gefallen, und bald erlaubte sie mir, sie nach dem Theater zu begleiten, sie in ihrer Wohnung zu besuchen. Täglich wurde unser Verhältniß vertrauter, so daß ich nach einigen Wochen mich für den glücklichsten Menschen hielt, als ich von ihren bezaubernden Lippen den ersten Kuß empfing und das Geständniß ihrer Liebe hörte. Meinem Glücke fehlte nichts als der Segen der Kirche, allein Auguste verzögerte unter den verschiedensten Vorwänden den ersehnten Tag, der mich mit ihr für immer vereinigen sollte.

Unsere Verbindung blieb jedoch kein Geheimniß, ich empfing die Gratulationen meiner Collegen, die mich um die glänzende Eroberung zu beneiden schienen, die Glückwünsche des Directors, der meinen Contract nicht nur erneuerte, sondern in Anbetracht der Verhältnisse wesentlich verbesserte. Nur mein alter Freund, der wackere Regisseur, war, wie ich bald erfahren konnte, mit meiner Wahl nicht einverstanden, obgleich er nach wie vor das frühere Wohlwollen zeigte. Trotzdem war eine gewisse Entfremdung zwischen uns eingetreten, da ich natürlich jetzt seltener seine Familie besuchte, weil ich jeden freien Augenblick bei meiner angebeteten Auguste zubrachte. Zu meinem Leidwesen scheiterten meine Bemühungen, die Geliebte in das Haus des befreundeten Regisseurs einzuführen, an einer gegenseitigen Antipathie, die ich vergebens zu bekämpfen suchte.

Um so mehr fühlte ich mich zu meiner Verlobten hingezogen, an der ich mit allen Fasern meines Herzens, mit allen Banden meiner Seele hing. Ich liebte sie mit einer Gluth, die ich nie zuvor gekannt, mit einer grenzenlosen Hingebung, mit dem unbedingtesten Vertrauen. Ein Zweifel an ihrer Reinheit wäre mir als ein Verbrechen erschienen, und der Glaube an ihre Unschuld war bei mir so unerschütterlich, wie der Glaube an meinen Gott und an meine Seligkeit. In der That genoß auch Auguste den ausgezeichnetsten Ruf, und selbst die in der Schauspielerwelt nur zu geschwätzige Fama wagte nicht, ihren Lebenswandel anzugreifen. Sie war nach dem einstimmigen Urtheil der Welt ein Muster vollendeter Sittsamkeit und Zurückhaltung, und ihre frommen Taubenaugen, ihr kindliches Lächeln bestätigten nur den allgemeinen Glauben.“

Ueber das ausdrucksvolle Gesicht des Künstlers flog ein düsterer Schatten und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Ich konnte in seinen sprechenden Zügen erkennen, wie sehr ihn selbst nach Jahren diese traurigen Erinnerungen aufregten. Trotzdem war ich auf das Höchste gespannt, erwartete ich begierig die Fortsetzung seiner Erzählung.

„Auf mein wiederholtes Dringen,“ fuhr er nach einer schmerzlichen Pause fort, „hatte Auguste endlich unsern Hochzeitstag bestimmt und ich lernte das seligste Gefühl kennen, als ich unsern häuslichen Heerd für sie und mich einrichten durfte. Jeder Stuhl, jeder Tisch, den ich anschaffte, verursachte mir eine kindische Freude, und mit Entzücken dachte ich an den Augenblick, wo ich das geliebte Weib in unsere gemeinschaftliche Wohnung führen würde. Trotz der vielfachen Beschäftigungen vernachlässigte ich so wenig meine Kunst, daß ich im Gegentheil durch meine Fortschritte das Publicum und den Director täglich überraschte. Ich verdankte der Liebe oder vielmehr der Geliebten eine höhere Begeisterung, eine nie gekannte Leidenschaftlichkeit, die sich in meinen neuesten Rollen bekundete. So kam es, daß mir stets bedeutendere Partien anvertraut wurden, und eines Tages, als unser Heldenspieler plötzlich erkrankte, überbrachte mir der Theaterdiener mit einem verbindlichen Schreiben des Regisseurs die Hauptrolle in Shakespeare’s ‚Othello‘, worin meine Verlobte die ‚Desdemona‘ spielte.

Obgleich ich mich durch eine solche Auszeichnung sehr geehrt fühlte, so übernahm ich die mir gestellte Aufgabe mit einem gewissen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_214.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)