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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

leidend, aber die Muskeln waren doch noch stark genug, um die hohe, kräftige Gestalt in voller militärischer Straffheit aufrecht zu halten. Das war Graf Otto von Bismarck-Schönhausen, des Königs Wilhelm Ministerpräsident. Er hatte den größten Antheil an dem Zustandekommen des Werkes, und darum stand er ja wohl mit vollem Recht dem Thron ein paar Schritte näher als alle Anderen.

Es ist nicht allzu häufig, daß ein bedeutender Mann alsbald durch seine äußere Erscheinung sich als solcher ankündigt. Beim Grafen Bismarck ist dies der Fall. Wer den Grafen Bismarck stehen und gehen sieht, der erkennt sofort an der straffen Haltung und der ungewöhnlichen Energie bei gleichzeitiger maßvoller Eleganz und Leichtigkeit der Bewegungen, daß er es mit einem Manne von entschiedenem Charakter zu thun hat. Der starke Kopf mit den starken Gesichtszügen, die breite Stirn, der fest zusammengepreßte Mund und das leuchtende, lebhafte, wasserhelle Auge verringern auch diesen Eindruck gewiß nicht. Das Gesicht ist nicht schön, aber es ist bedeutend und es gewinnt alsbald, sowie in der Unterhaltung der regelmäßige Ernst, der jetzt auf ihm gelagert ist, der Heiterkeit und Gutmüthigkeit wieder Platz macht, die ursprünglich auf ihm ihren Ausdruck fanden. Denn das muß wahr sein, Gras Bismarck ist von Haus aus eine heitere, freundliche, warme Natur; er hätte sonst nicht so viele treue Freunde von Jugend auf gefunden, er hätte sonst nicht so viele Gewalt über die Menschen erlangen können. Es ist jetzt freilich leicht, sein Loblied zu singen. Aber seine zahlreichen Bekannten aus den Universitätszeiten her haben das immer behauptet. Ein im Bewußtsein der vollsten Jugendkraft übermüthiger, ausgelassener Gesell, sagen sie, sei er freilich auch gewesen, und leidenschaftlich und leicht aufbrausend dazu; aber ein ehrenhafter, flotter Bursch und ein – gefährlicher Schläger auf der Mensur. Nun, das hat er mit Wallenstein gemein, von dem ja unser Schiller auch sagt: „Denn zu Altdorf im Studentenkragen trieb er es, mit Permiß zu sagen, ein wenig locker und burschikos.“ Das Altdorf des Grafen Bismarck heißt freilich Göttingen, wo das Corps der Braunschweiger – ein altes Mitglied desselben ist im Reichstag und kann es mit seinen eigenen Narben belegen – damals von ihm als Senior der Hannoveraner manchen scharfen Hieb zu fühlen bekommen hat. Die Gewohnheit der scharfen Hiebe hat er beibehalten, wenn er sie auch jetzt nur mit der Zunge austheilt. Zutreffender, eleganter, schlagender Gedankenausdruck ist wenigstens seine hervorragendste Eigenschaft als Redner und würde ihm wohl unter allen Umständen die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sichern, auch wenn er nicht zu uns als preußischer Ministerpräsident zu sprechen hätte.

Es kann nicht meine Absicht sein, schon jetzt, bei der Darstellung der Eröffnung des Reichstags in den engen Rahmen meiner Schildereien ein umfassendes Bild des Grafen Bismarck zu zeichnen; der weitere Verlauf meiner Mittheilungen wird mir indeß Veranlassung geben, mit seiner politischen und persönlichen Charakteristik mich eingehender zu beschäftigen. Er gehört für alle Zeit der Geschichte an und es wäre voreilig und unberufen, wollte irgend einer seiner Zeitgenossen, zumal augenblicklich im Höhepunkt seiner glänzenden Laufbahn, der Aufgabe der Geschichtsschreibung vorgreifen. Ich kann hier nur sagen: auf dem Mann, den Hunderttausende in Deutschland noch vor einem Jahre nicht laut genug verwünschen konnten, ruhen augenblicklich die Hoffnungen von ebenso vielen Hunderttausenden. Es ruht vor Allem aber auch auf ihm die Hoffnung des Reichstags, und diese Hoffnungen werden sich erfüllen, wenn sich bewahrheitet, was uns versprochen, daß sein Werk auf den Grundlagen der bestehenden Freiheiten aufgebaut wird. Seinem Tact und Geschick wird und muß es gelingen, die widerstrebenden Elemente, die jeder große, parlamentarische Körper in sich trägt, zu vereinigen. Dafür ist er Graf Bismarck, das heißt, seit dem Freiherrn von Stein unser größter deutscher Staatsmann. Deshalb aber, weil er der eigentliche Eckstein des Reichstags ist, habe ich hier versucht, mit einigen leichten Strichen vorläufig auch seine Person zu skizziren.[1]




Nach Paris!
Praktische Winke für Ausstellungsreisende.
I.
Zwei Hauptgebote aus dem Katechismus der Reisekunst. – Gold-, Silber- und Papiergeld. – Napoleonsd’or und Sovereigns. – Paß. – Kenntniß der französischen Sprache. – Warnung vor dem Verlegenheits-Ouisagen. – Gepäck. – Keine Zeitung im Koffer! – Tabak und Cigarren. – Thunlichst wenig Wäsche!


Noch wenige Wochen, und die Völkerwallfahrt zum eisernen Tempel der goldenen Batzenmacherei, oder um mich civilisationsmäßiger auszudrücken, zur zweiten Weltausstellung in Paris, wird beginnen, und beide, nämlich das ansteckende Wanderfieber der Nicht-Pariser, sowie die Börsenzapferei Aller, die zu diesem großen Friedensmanöver in irgend einer Beziehung stehen, werden einen Maßstab annehmen, von dem wir uns heute wohl noch nicht die rechte Vorstellung machen.

Als ich vergangenen Herbst und einen Theil des Winters in der Weltstadt mich aufhielt, um sie zu studiren für meine eigenen Zwecke und im Interesse Derjenigen, welche der großen Völkerwanderung sich anzuschließen beabsichtigten, da versuchte ich mir eine Perspective zu construiren von dem voraussichtlichen tollen Treiben des nächsten Sommers, sowie von den Wirrsalen und den tausendfältigen Verlegenheiten, in die eine gute Anzahl unserer lieben deutschen Landsleute hier kommen werden. Ihnen einige praktische Winke für ihren Pariser Aufenthalt zu geben, die man so einläßlich in einem Reisehandbuche nicht erörtern kann, mag Aufgabe dieser Mittheilungen sein.

Ich habe mir schon lange vorgenommen, aus dem Tornister meiner Wandererfahrungen einmal die zehn Gebote des Reisenden zusammen zu stellen und sie wie weiland Luther mit allgemeinverständlichen Erläuterungen zu versehen. Unter diesen würde, käme es einmal dazu, auch eins der vornehmsten dasjenige sein: „Genire Dich nicht.“ Diese Reiseregel ist vor allen Dingen für Paris fest zu halten. Alles gilt; jeder Anzug, jede Lebens- und Gewohnheitsform, wenn sie nicht absolut incivil ist, hat ihre Freiheit, ihre Existenzberechtigung. Bedenke stets, daß Du für Dich reisest, zu Deinem Nutzen, Deinem Vergnügen, für Dein Geld, also, daß Du Dir selbst der Nächste bist; ohne diesen Grundsatz bist Du in solch’ einer Weltstadt ein in allen Winkeln herumgeschubbter und gestoßener Mensch. Du weißt, schon Goethe sagt: „Nur die Lumpen sind bescheiden“, was nun freilich einerseits heut’ zu Tage nicht mehr durchaus wahr ist, weil sowohl die moralischen wie die politischen Lumpe bekanntlich die arrogantesten sind, andererseits keineswegs eine Aufforderung zur Unbescheidenheit sein soll. Es giebt einen goldenen Mittelweg, welchen das Bewußtsein des wirklichen eigenen Werthes dictirt, und dieser ist der rechte.

Zur Interpretation des gleichen Reisegebotes gehört aber auch noch die Erinnerung: „es kennt Dich Niemand, es achtet Niemand auf Dich“, und wenn Du daheim auch ein Millionär oder ein Prophet unter Deinem Volke wärst.

Ein zweites allgemeines Reisegebot, das übrigens schon eine der ersten und größten Lebensregeln des täglichen Verkehrs ist, würde etwa sein: „Laß Dich nicht anschmieren“. Der Pariser hat einmal gehört, daß irgend ein großer Feldherr gesagt hat: „Im Frieden gilt der Mann, im Kriege gilt er doppelt,“ und das hat er sich gemerkt. Im Frieden, d. h. zu gewöhnlicher Zeit, wenn nicht der Ausnahmezustand der Exposition außerordentliche Maßnahmen und Preise entschuldigt, weiß der Pariser schon den Geldbeutel des Mannes ganz geziemend zu würdigen und in Bewegung zu setzen, um wie viel mehr erst in Kriegszeiten. Denn daß der Sommer 1867 ein Feldzug aller in Paris Diensteleistenden gegen Alle wird, die zur Palastschau kommen, und daß dann der Mann auch doppelt gilt und doppelt zahlen


  1. Durch sich häufende Geschäfte in den Commissionssitzungen sah sich der Verfasser leider genöthigt, seinen ersten Artikel hier abzubrechen. Die zweite und die folgenden Skizzen werden dafür auch stofflicher um so reicher ausfallen.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_218.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2017)