Seite:Die Gartenlaube (1867) 225.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 15.   1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.      Vierteljährlich 15 Ngr.      Monatshefte à 5 Ngr.


Die Herrin von Dernot.
Von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung.)


Der Weg, der sich bisher immer im Thale fortgezogen, wand sich jetzt eine leichte Höhe hinan, welche dennoch weit genug emporragte, um der rastenden kleinen Gesellschaft – Eugenie und Joseph, die den Vorausschreitenden nachgeschlendert waren, standen nun gleichfalls bei ihnen droben – eine freiere Aussicht über die Reviere, hier in den Hintergrund des sich immer mehr verengernden Thals, und dort auf die hügelige Gegend zu erlauben, durch welche die Wanderer damals ihrem Reiseziel entgegengezogen waren. Es war wiederum ein reizendes Bild. Dernot’s von der Sonne überstrahlter Bau schaute ernst, fast trotzig, von seiner Höhe herunter; drüben sah man den Hügelrücken, hinter dem die Mühle liegen mußte, und noch weiterhin erkannten Eugeniens helle Augen in dem leisen Duft, der die Ferne erfüllte, die hervorragende Kuppe und die ihre ganze Umgebung überragende alte Eiche des Vorbühl.

Da sie so standen und schauten und Leopold ihnen diesen und jenen Punkt der Gegend nannte, richtete sich Joseph’s Neufoundländer wieder an Esperance’s Seite auf und sah gegen die Fortsetzung des Pfades hinab, der sich nach wenigen Schritten im Gebüsch verlor. Gleich darauf sprang auch der Hühnerhund des jungen Jägersmannes daraus hervor und unmittelbar folgte dieser selber, da er die Gesellschaft sah und erkannte, einen Moment stutzend und dann sie artig mit geschwungenem Hut begrüßend.

„Reinen Mund,“ sagte Leopold leise. „Vergeßt nicht, ich gelte hier für einen Verwandten der Frau Katharina.“

„So haben Sie sich wirklich nicht durch den Regen verscheuchen lassen aus dem alten, unheimlichen Nest da droben?“ redete der Herantretende heiter mit wiederholtem Gruß, und sein dunkles Auge, das die Fremdlinge überflog, heftete sich mit Interesse auf Esperance. „Und wie ich Gott Lob sehe,“ fügte er hinzu, „ist Ihnen unsere Flucht durch das Unwetter nicht schlecht bekommen. Ich fürchtete beinah –“

„Sie leugnen zwar, daß Sie ein Dernoter sind,“ unterbrach Esperance ihn schalkhaft, „aber ich glaube, Sie sind’s dennoch, mein Herr! Ein Fremder wäre sicher nicht so ungalant gewesen, drei, vier Tage lang gar nicht nach seinen Schützlingen zu sehen. Bei euch Dernoter Bären freilich ist das etwas Anderes und ganz hergebracht, Herr Burgsheim – habe ich nicht Recht?“

Der junge Mann vertheidigte sich heiter, die Uebrigen mischten sich in die Unterhaltung, wenn auch Leopold sich meistens schweigend und, wie es Eugenien erschien, beobachtend zurückhielt. Man schritt fröhlich weiter und ließ sich von dem gegendkundigen Begleiter gern auf schöne Punkte und anmuthige Aussichten aufmerksam machen. Und von Schritt zu Schritt, von Wort zu Wort, möchte man sagen, verstärkte sich der angenehme Eindruck, den die erste Begegnung mit dem Fremdling hinterlassen hatte. Wie er sprach und urtheilte, erklärte und harmlos plauderte, alles verrieth neben einer wirklichen und tüchtigen Bildung Kenntnisse, Geschmack und sogar den künstlerischen Blick, einen klaren Kopf und ein warmes, gesundes Herz. Und andererseits bewiesen die Unbefangenheit, mit welcher er sich der Unterhaltung mit seinen Begleitern überließ, und der sichere Tact, mit dem er jede unschickliche Vertraulichkeit vermied, deutlich genug, daß er auch in der Gesellschaft eine gute Schule durchgemacht haben mußte.

Esperance zumal überließ sich diesem ansprechenden Eindruck augenblicklich mit ihrer vollen Fröhlichkeit und Harmlosigkeit, aber auch Joseph und Eugenie fanden sich heiter zu einer freundlichen Hingebung an den neuen Bekannten vermocht, welche, wie leicht Beide im Kreise der Ihren das Leben auch zu nehmen pflegten, Fremden gegenüber sonst kaum in ihrer Weise lag. Die erste Begegnung und der Gang durch den Gewittersturm hatte Alle freilich rasch einander genähert, und die seltsame Situation, in welche die jungen Leute durch ihren Reiseeinfall gerathen waren, erleichterte, neben des Fremdlings durchaus schicklichem Auftreten, auch ihrerseits die Fortsetzung dieses Verkehrs.

Das Beste war jedenfalls, daß selbst Eugenie, in der ein gewisses Standesgefühl vielleicht am stärksten ausgeprägt war, in der Begegnung mit dem Jägersmann nur etwas Ansprechendes und nichts von dem zu empfinden vermochte, was man als unbehaglich hätte zurückweisen müssen oder als bedenklich in der Zukunft zu bereuen haben könnte. Man trennte sich endlich in der Nähe des Schlosses auf das Freundlichste, nachdem man für den folgenden Tag einen neuen längeren Ausflug verabredet hatte.

„Haben Sie eine Ahnung, Cousin, wer oder was dieser Burgsheim eigentlich ist, oder wie er gerade hieher gekommen?“ fragte Eugenie, da sie in der Dämmerstunde bei einander waren – ohne die „Herrin von Dernot“, welche bald nach ihrer Rückkehr in’s Haus zu Frau Katharine gegangen war.

Leopold schüttelte den Kopf. „Sie müssen nicht vergessen, Eugenie,“ versetzte er, „daß ich zwar schon seit einigen Wochen hier, von Anfang an aber aller Welt als ein obendrein kränklicher Verwandter Katharinens entgegengetreten bin. Mit den Leuten im Dorf drunten, mit dem Förster und dem alten Müller hatte ich so gut wie keinen Verkehr und erfuhr von den hiesigen Verhältnissen fast gar nichts – schon weil man auch im Schloß wenig davon redet und ich bei meinen Arbeiten kaum Zeit und

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_225.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)