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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Interesse dafür übrig habe. Mit dem Förster und seinem Gehülfen bin ich indessen wohl einmal zusammengetroffen, und der junge Mann hat mir als ein Mensch von Herz, Kopf und Bildung stets einen angenehmen Eindruck gemacht. Weiter hab’ ich über ihn kaum nachgedacht, und noch weniger ihn gefragt, was ihn etwa hierher geführt. In Zeiten, wie wir sie jetzt in Deutschland erleben,“ fügte er mit finsterem Lächeln hinzu, „muß man’s nicht allzu genau mit Jemand nehmen, der sich auf einige Zeit aus eurer großen Welt zurückzieht. Und übrigens, Cousine, giebt es hier ja auch eine völlig genügende Erklärung: daß die Forsten in ausgezeichneter Cultur sind, sieht jeder Fachmann auf den ersten Blick und ebenso, daß hier Alles vorhanden ist, was sich ein Lernender für seine Ausbildung nur wünschen kann. Ich glaube nicht, daß Burgsheim es anderswo besser treffen könnte.“

„Er ist ja obendrein ein Verwandter des Müllers,“ bemerkte Joseph.

Leopold sah lebhaft auf. „Woher wissen Sie das, Vetter?“ fragte er.

„Der alte Bär nannte ihn Du und verkehrte überhaupt mit ihm wie – wie mit einem Kinde des Hauses.“

„Das ist mir neu,“ erwiderte der Andere in nachdenklichem Ton und sein Auge blickte sinnend vor sich nieder. „Danach muß ich mich weiter erkundigen, denn wenn das zuträfe, würden wir, glaub’ ich, allen Grund haben, vor dem Burschen auf der Hut zu sein.“ Und da er die überraschten Blicke der Geschwister bemerkte, setzte er in einem eigenthümlichen, man hätte sagen mögen, abweisenden Tone hinzu: „Ich weiß wenig mehr von diesen Dingen, als daß Augustin Besseling uns Treuensteinern von jeher nicht freundlich gesonnen war und nicht nur mit dem Vater, sondern auch schon mit dem Großvater ein Mal über das andere in Streit gerieth – weshalb, ob ursprünglich mit Recht oder Unrecht von seiner Seite, ist mir nicht genau bekannt. Das ist indessen auch ziemlich gleichgültig, da seine Feindschaft und seine fortgesetzten – sage ich Wühlereien und Chicanen unableugbar sind.“

Als die beiden Vettern später allein waren, fragte auch Joseph in einem fast verlegenen Ton und mit forschendem Blick auf den Verwandten: „Cousin, ist Ihnen die Aehnlichkeit zwischen Esperance und dem Jäger nicht aufgefallen?“

Und Leopold entgegnete achselzuckend: „Ich bin zu kurzsichtig, um dergleichen leicht zu bemerken, doch schien es auch mir heut’ Nachmittag so zu sein und ich dachte einen Augenblick – vollends, da Sie der Verwandtschaft mit dem Müller erwähnten, – an eine alte verschollene Geschichte, allein ich kam sogleich wieder davon zurück. Es muß doch wohl nur ein Spiel der Natur sein. Denn der Burgsheim ist nach meiner Schätzung fünf-, vielleicht sechsundzwanzig Jahre alt, und das – stimmt nicht zu jener Sage, ja es widerspricht ihr beinah.“

„Und diese – Sage?“ fragte Joseph voll Interesse. „Hängt sie auch mit dem Müller und seiner Feindschaft zusammen?“

Leopold wiegte ablehnend das Haupt. „Lassen wir das,“ sagte er. „Das sind Dinge, die keinenfalls uns angehen, und von denen man überhaupt nicht mehr spricht. – Es ist aber wunderlich,“ fügte er munterer und einigermaßen spöttisch hinzu, „wie Ihr Alle auf diesen Burgsheim versessen seid; als ob es etwas ganz Unerhörtes, daß man einmal in einfachen Verhältnissen einem gebildeten und höflichen Menschen begegnen könne! – Ich bin wirklich neugierig, ob jetzt nicht auch meine Schwester mit einer Frage herausrückt.“

Aber Esperance fragte nicht und erwähnte des Fremdlings überhaupt kaum vor den Ihren, oder doch nur in der gleichgültigsten Weise.

Ob Leopold sich, wie er es verheißen, bei Frau Katharine nach Burgsheim weiter erkundigt, erfuhren die jungen Leute nicht – er äußerte sich in keiner Weise mehr über den Jägersmann oder den Müller, obgleich der Erstere an den beiden folgenden Tagen viele Stunden lang in ihrer Gesellschaft war. Doch bemerkten die Geschwister, daß Leopold nicht nur auf all ihren kleinen Streifzügen und beinah bei jedem Schritt ins Freie beharrlich dabei war, sondern daß er auch in der Stille den Jäger aufmerksam beobachtete, sich bei weitem häufiger als am ersten Tage an der allgemeinen Unterhaltung betheiligte, ja auch allein mit Burgsheim und zwar so munder plauderte, wie man’s dem ernsten und meistens einsilbigen Mann kaum zugetraut hatte. Was und ob er überhaupt etwas dabei erkundete, erfuhr man von ihm ebensowenig, als ob er zu einem anderen Urtheil über den Fremden gelangt sei.

An Burgsheim selber wurde keine Veränderung, geschweige denn etwas bemerkbar, das seine Begleiter hätte zur Vorsicht mahnen sollen. Seine Heiterkeit, seine Einfachheit und Offenheit hier, seine Bildung und sein Tact da zeigten sich zu jeder Stunde und bei jeder Gelegenheit in gleicher, ansprechender Weise, und man durfte es nicht nur Esperance zu gut halten, wenn sie überall durch That und Wort bekundete, daß sie sich glücklich fühle, sondern mußte auch wohl zugestehen, daß man in einer solchen Einsamkeit und einem so engen Kreise schwerlich irgend jemals frohere, weder im Innern noch von außen gestörte, harmonischere Stunden verleben könne.

Wenn einer von allen ohne Betrübniß an das immer näher rückende Ende dieses sorglosen Lebens zu denken schien, so war dies nur Joseph, an dem je länger, desto mehr eine gewisse Ungeduld oder gar Gereiztheit bemerkbar wurde; in seine Neckereien, ja selbst in die einfachsten Gespräche mit seiner schönen Cousine klang zuweilen ein fast scharfer Ton hinein, und gegen Burgsheim ließ er sich ein paar Mal zu Aeußerungen fortreißen, die man, gelinde gesagt, unfreundlich, wo nicht beinah wegwerfend heißen mußte und die nicht blos den Jäger selbst verwundert aufsehen ließen.

Auf Esperance freilich übte das Eine wie das Andere eine durchaus andere Wirkung aus, als Joseph sie vermuthlich beabsichtigt hatte. Sie lachte den Cousin gewöhnlich lustig aus – sie denke nicht an den Aufbruch! – oder wies ihn, wiederum lustig, in seine Schranken zurück; nur die Stellung, die er Burgsheim gegenüber einnahm, schien sie kalt zu lassen, oder vielmehr von ihr gar nicht bemerkt zu werden.

Indessen meinte doch auch Leopold an einem der nächsten Tage, da die Schwester schon wieder Pläne auf morgen machte, einmal kopfschüttelnd: „Für einen Scherz scheint es mir jetzt genug, Kind. Ihr seid nach meiner Rechnung acht bis neun Tage von Hause fort, und der Vater darf –“

Das Blut schoß ihr in die Wangen. „Du bist unbarmherzig!“ rief sie aus und in ihr Auge trat etwas wie ein Schatten. „Wie weißt Du denn, ob es ein Scherz ist, der mich hierher gebracht und mich hier festhält? Ich nehme meine Herrschaft sehr ernsthaft. Gönne mir doch meine junge Herrlichkeit. Es ist daheim so langweilig, so eng; hier bin ich frei. Und sie glauben uns jetzt auch in den besten Händen, drüben bei Schauensteins: ich ließ durch Anna einen Brief an Tante Kunigunde gelangen, der es so meldet. – Fort von hier will ich noch nicht,“ schloß sie. „Ich lebe jetzt erst auf, und dem Bären dort –“ ihre Hand deutete hinab, wo am Fuß der Höhe die Mühlengebäude lagen – „sind wir auch noch einen Besuch schuldig.“

„Den würde ich an Ihrer Stelle unterlassen, gnädiges Fräulein,“ sagte Burgsheim, der eben mit den beiden Anderen herankam. Er hatte auch heut die Gesellschaft geführt, und sie standen nun auf dem sogenannten Mühlenberge, von dem aus man die beiden Thäler überblickte, welche sich dem Schlosse zu vereinigten. Der Jäger setzte seine Rede indessen nicht fort, denn beim ersten Blick hinab, wo die eigentliche Landstraße völlig übersehbar hinlief, rief er verwundert aus: „Die Herrschaften erhalten Besuch. Eine solche Euquipage kann nur zu Ihnen wollen.“ – Und in der That, man sah’s deutlich genug, daß der Wagen, welcher eben die große Brücke des Mühlenbachs passirte, elegant war und von wahren Prachtpferden gezogen wurde.

Indem rief auch schon Eugenie: „Beim Himmel, der da neben dem Kutscher auf dem Bock muß unser alter Jonas sein!“

„Du phantasirst,“ sagte Esperance, welche ihre Augen vergeblich anstrengte, finster. „Sollten sie uns wirklich schon entdeckt haben?“

Es verging eine kleine Pause; der Wagen fuhr diesseits rasch weiter. „Laßt uns heim,“ sprach Leopold; „wer es auch sei – er fährt zum Schloß.“

Und Esperance, in deren Gesicht sich plötzlich ein Zug von überraschender Härte bemerkbar machte, versetzte auch in wunderhartem Tone: „Gut, so laßt uns heim! Bisher spielte ich die Herrin, jetzt will ich sie sein. Von Ihnen nehme ich noch nicht Abschied,“ fügte sie hinzu, Burgsheim die Hand bietend. „Wir sehen uns jedenfalls wieder – ich habe noch viel von Ihnen zu erfragen. – Vorwärts!“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_226.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)