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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

zu tragen, ich fühlte einen Stolz darüber, den Schirm über ein solches Haupt zu halten, und trotzdem wir ein wunderlich aussehend Paar vorstellen mochten und allerlei Leute uns begegneten, so sah ich doch keine spöttische Miene; sondern alle zogen ehrerbietig oder freundlich den Hut vor dem Mann mit dem grauen alten Rock unter dem Regenschirm.

‚Also ein Theologe!‘ sagte er, nachdem ich geendet und die üblichen Entschuldigungen ausgesprochen. ‚Das freut mich. Ich bin’s von der Universität her auch. Die theologische Laufbahn stand wie ein heller Weg zum Himmel vor mir, und eine gar würdige Hand, die meines Oheims Weißenborn (erst Superintendent in Allstädt, dann Generalsuperintendent in Eisenach), führte mich auf demselben. Eisenach ist in ganz Deutschland die schönste Geisteswiege für den protestantischen Theologen: Luther läuft als Currentschüler mit uns in den Gassen herum und thront als unsterblicher Reformator auf der Höhe der Wartburg, und gehen wir zu einem Throne hinaus, zu welchem wir wollen, überall predigt die herrliche Natur die Ehre Gottes. Meine besten Predigten sind mir in und um Eisenach gelungen.‘

‚Aber warum sind der Herr Professor nicht bei der Theologie geblieben?‘ fragte ich.

‚Daran ist das Tanzen schuld,‘ erwiderte er lächelnd. ‚Sie staunen? Die Sache ist hier längst bekannt. Ich habe mich als Candidat einmal zu einem Tänzchen verführen lassen, und deshalb nahmen mich die Bauern von Farnrode nicht zum Pfarrer an. Um mich nicht mehr solchen Zurückweisungen auszusetzen, habe ich es vorgezogen, Schulmeister[1] zu werden, und darf doch nun mit Ehrlichkeit fröhlich sein, wie ich’s allezeit gern gewesen bin.‘

Wir standen vor seinem Gärtchen und er hieß mich mit eintreten. Sobald er die Thür hinter sich hatte, knöpfte er seine Weste auf. Dann zeigte er mir sein Gartenhäuschen mit der reizenden Aussicht auf das Thal und die Stadt oder das Städtchen, was Weimar damals noch war. ‚Und dort drüben sehen Sie die Fenster meiner Wohnung,‘ sagte er, mit einem Stock mir die Richtung anzeigend.

‚Der Herr Professor schreiben wohl an zwei Werken zugleich?‘ fragte ich, als ich auf seinem Arbeitstische zwei Schriftstücke sich gegenüberliegen und vor jedem einen Stuhl hingestellt sah.

‚Nein, mein Bester. Hier arbeitet, häufig mit mir zugleich, mein Neveu, ein sehr genialer junger Mann. Es ist gar schön, an einem solchen Kopf gleichsam die Gedanken über die Stirn laufen zu sehen. Er wird noch Aufsehen in der Welt machen; er heißt Kotzebue.‘

Musäus führte mich dann zu seinem Tempelchen unweit des Gartenhäuschens. Es war mit einigen Statuen ausgeschmückt und davor ein freier Platz, der sich durch einen Tisch und einige Stühle als Gesellschaftsplätzchen anzeigte. Auch von hier war der Blick von der Höhe in das belebte Thal sehr reizend.

‚Hier muß sich’s herrlich dichten!‘ meinte ich. Aber er: ‚Mit Nichten! Hier ist gut sein zum Einsammeln von Gedanken und Gefühlen, aber diese trägt man dann ins Gartenhäuschen an den geschützten Schreibtisch, denn der Honig wird im Stock gemacht.‘

‚Und was für Honig!‘ fuhr ich heraus, um dem berühmten Mann auch etwas Schönes über seine Werke zu sagen. Er aber sah mich da mit einem Blicke an, als ob er andeuten wollte: ‚Ei, ei, nun bläst der gar in die Complimententrompeten!‘ Ich fühlte das Rothwerden im Gesicht und da fiel mir gerade das Urtheil der alten Magd über die Volksmärchen ein, so daß ich hell auflachen mußte.[WS 1] Ich hatte nämlich, ehe ich den Besuch bei Musäus wagte, vorher seine bis dahin gedruckten Bücher gelesen. Von dem Volksmärchen waren erst ein paar Bändchen da, die mich damals schon in der Seele erquickten, und daraus las ich auch der Alten einmal vor. Ihre Begeisterung für ihren berühmten Professor hatte sie natürlich nie aus dessen Schriften gesogen, sondern die persönliche Liebenswürdigkeit des Jünglings hatte sie erzeugt und der spätere Ruf des Mannes groß gezogen. Als ich ihr nun aus den Märchen vorlas, gerieth sie geradezu in Entrüstung, glaubte nicht an diese Bücher und blieb dabei: so dummes Zeug könne ihr berühmter Professor gar nicht machen. – Das erzählte ich nun Musäus. Seine Freude darüber war außerordentlich. Er flog vor Lachen zwischen den Blumenbeeten hin und her, daß die Stachelbeeren an den Stauden wackelten. Dann plötzlich zum Ernst übergehend, sprach er fast mit Rührung von der geistigen Armuth des Volkes, das seine schönsten Schätze nicht kenne, und erklärte mir ausführlich Plan und Zweck, die ihn bei der Abfassung seiner Märchen leiteten. Darüber war es Mittag geworden, und ich mußte ihn nach seiner Wohnung begleiten.

Die Frau Professorin erwartete uns an der Treppe, ihre Augen lachten, wie die ihres Mannes, und standen ihrem liebevollen Antlitz gar gut. Sie war mit sonntäglicher Haustracht angethan, Alles reinlich und nett. Musäus stellte mich als einen Abgesandten seiner alten Magd in Jena vor, was mir eine sehr herzliche Aufnahme eintrug. Auch Karl und Gustav, die beiden Söhnchen, von denen das letztere, ein gar feines bleiches Kindchen, bald nachher gestorben sein soll, gaben mir ein Händchen.

Die Wohnstube, in die man mich führte, war sehr einfach ausgestattet, wie bei allen Bürgerlichen damaliger Zeit, aber Alles sah blank aus. Jetzigen Luxus, wie ein Canapee und Fenstervorhänge, habe ich, wenigstens in dieser Stube, nicht gesehen. Am Tisch saßen wir schon wie alte Bekannte beisammen. Während die Frau Professorin ihrem Gemahl die Serviette umband, konnte sie die hausmütterliche Bemerkung nicht unterdrücken: ‚Aber, lieber Musäus, nun bist Du heute an einem Festtag wieder mit der alten Leibwäsche und dem alten Rock fortgegangen; ja, Du hast Dich so eilig fortgemacht –‘

‚Freilich,‘ unterbrach Musäus sie mit triumphirendem Lachen, ‚sonst hättest Du mich herausgeputzt, daß ich mich vor jedem Rosenstock und jedem grünen Sitzplätzchen hätte scheuen müssen.‘

‚Aber hast Du denn an der Coburger Erfahrung noch nicht genug? Man hat Dich gewißlich zu keinem Thore hineingelassen, weil Deine Toilette recht gräulich verwahrlost gewesen …‘

‚Was, in Coburg?‘ fragte ich erstaunt.

‚Jawohl,‘ erwiderte Musäus, ‚aber das hatte mit meinem Exterieur gar nichts zu schaffen. Ich will’s Ihnen kurz erzählen. Ich spazierte über den Thüringerwald und fuhr dann mit der Post nach Coburg, um dort mit einem Freund zusammenzutreffen. Am andern Morgen will ich mir die nächste Umgebung der Stadt besehen. Ich wandele zum ersten besten Thore hinaus und frage die Schildwache nach dem Weg, um bei einem andern Thore wieder hereinzukommen. An diesem andern Thore verweigert man mir aber den Einlaß, weil ich zum Spazierengehen keinen Paß mitgenommen. Ich muß zu dem Thore zurückkehren, zu dem ich herausgegangen bin. Dort ist währenddeß die Schildwache abgelöst und der neue Mann läßt mich ohne Paß auch hier nicht wieder ein. Ich erhalte schließlich die Weisung, mich an das Thor zu begeben, zu dem ich gestern Abend hereingefahren sei. Das war ungefähr das entgegengesetzte Ende der Stadt, und ich hatte nun Gelegenheit, viel freie Natur zu genießen, wenn ich nicht fast ärgerlich geworden wäre. Aber selbst an diesem dritten Thore wollte Niemand mich hereinfahren gesehen haben, ich stand wie für immer herausgesperrt da, bis nach etwa einer Stunde ein Soldat dort auf die Wache kam, der meine richtige Hineinfuhr bezeugte. Und so ging mir denn endlich dieses Thor auf.‘

Das Abenteuer erregte natürlich allgemeine Heiterkeit. ‚Ja, ja,‘ bemerkte die Frau Professorin, ‚Se. Excellenz der Herr Geheimerath von Goethe haben sich halbtodt darüber gelacht.‘[2]

‚Hätt’ es gar nicht nöthig gehabt,‘ scherzte Musäus, ‚das könnte dem Fremden hier ebenso geschehen. Muß doch Jedermann, der durch ein Thor zu Wagen ein- oder auspassirt, auch wenn es ein geborenes Weimarer Kind ist, dem Thorschreiber Namen und Stand angeben, damit es dem Herzog gemeldet werden kann. Sogar der Herr Minister steigen deshalb gewöhnlich mit Frau von Stein vor dem Thore aus und ein, damit nicht alle diese Spazierfahrten zur höchsten Kenntniß kommen.‘

‚Aber sonst,‘ bemerkte ich, ‚soll doch der Hof mit den Herren Gelehrten sehr gut stehen, besonders seitdem Herr von Goethe das fürstliche Privattheater eingerichtet.‘

‚Man hat schon vor Goethe’s Ankunft bei Hof Komödie

  1. Musäus wurde 1763 herzoglicher Pagenhofmeister und 1769 Professor am Gymnasium in Weimar.
  2. Goethe behagte dieses Abenteuer so, daß er es vom Hofmaler Kraus bildlich darstellen ließ und unter dem Gemälde einige Verse anbrachte. Er verehrte es später der Frau Musäus, die ihren Mann am 12. Mai 1786, wie er selbst gesteht, „auf das Angenehmste“ damit überraschte. Er selbst hat sein Coburger Erlebniß unter dem Titel „Die lästigen Polizeianstalten für Spaziergänger“ beschrieben und Kotzebue es in „Musäus’ nachgelassene Schriften“ mit abdrucken lassen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: muße
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_231.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2017)